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Ein Öl-Schönau?

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Während die Panzer rollten und die Bomben heulten, wurde eine der entscheidenden Schlachten des neuen Nahostkrieges auf einem „Nebenkriegsschauplatz“ geschlagen, der so nebensächlich nicht war. Im Kampf um die einhellige Unterstützung des Westens unterlag Israel auf den öl-feldern des Irak. Aber die Verstaatlichung des irakischen Erdöls war nur ein weiterer Schritt auf einem Weg, der die wirtschaftlichen Interessen der westlichen Industrieländer immer stärker mit den politischen Interessen der Araberstaaten verfilzt und Israel, das weder öl noch Stützpunkte zur politischen Beeinflussung des Nahen Ostens zu bieten hat, immer stärker isoliert.

Die ersten Tage des Nahostkonfliktes haben deutlich gezeigt, wie weit dieser Prozeß gerade bei Israels engsten Freunden von gestern gediehen ist. Die Sprache der USA gegenüber den echten Aggressoren war lange nicht so hart wie die der Sowjetunion, Chinas, der DDR und anderer gegen den angeblichen Aggressor Israel.

Denn die westlichen Industriestaaten wissen spätestens seit dem Nahostkrieg von 1967, wie empfindlich sie bereits durch verhältnismäßig geringfügige Verzögerungen der Erdöllieferungen getroffen werden, und sie sind sich ihrer Machtposition als Großkunden der geldhungrigen Erdölländer lange nicht mehr so sicher wie einst im Mai. Mitteilungen wie die Ghaddafis, er werde die libysche Erdölförderung einschränken, um die Zukunft seines Landes für eine längere Periode sicherzustellen, werden heute längst nicht mehr als Ankündigung höherer Preise empfunden, die auch ohne solche Vorgeplänkel kommen, sondern als Umschwung zu einer gewissen Vernunft, freilich auf Kosten der weltweiten volkswirtschaftlichen Unvernunft des Kfz-Verkehrs. 1967 wurde die Meinung kolportiert, die ölländer könnten nicht einmal eine Woche auf ihrem öl sitzenbleiben,

ohne einen Staatsbankrott zu riskieren — heute weiß man es besser.

Natürlich verlassen sich Israels Freunde im Westen auf Israels Selbstverteidigungskraft — aber dieses Vertrauen in die militärische Kraft des geographischen Winzlings hat etwas Forciertes, Gekünsteltes. Denn die rein materiellen Faktoren gewinnen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt an Gewicht. Diesmal wird Israel noch aus eigener Kraft gewinnen. Kann es sich, wenn es eines Tages nicht mehr so ist, noch auf seine Freunde verlassen? Hier sind Befürchtungen am Platz. Schönau hat zwar die Weltmeinung gegen Österreich aufgebracht, aber auch Amerika hat sein Schönau — sein Öl-Schönau am East River.

Der neue militärische Konflikt ließ nur Dinge sichtbar werden, die da waren, seit Jahren in zunehmendem Maße da waren. Israel kann heute mit wesentlich weniger Sympathien in der Welt rechnen als 1967, und die Erkenntnis dieser Tatsache hat sicher auch zu seiner tarantelhaften Empfindlichkeit und unangemessenen Reaktionen (wie beispielsweise einem Mordanschlag in Norwegen und Ver-prellung der öffentlichen Meinung Skandinaviens) geführt. Aber solche Vorfälle waren wohl mehr die Folge als die Ursache des kälteren Klimas für Israel, das immer mehr Grund hat, sich von der Welt alleingelassen zu fühlen. Es hat nicht nur, seit 1967, das dem Kleinen und Schwachen automatisch zufallende Mitleid verloren, sondern ist auch der große Verlierer eines von Jahr zu Jahr deutlicheren Siegeszuges des Zynismus als politisches Prinzip. Morali-tät und Gerechtigkeit haben 1967 noch eine wesentlich größere Rolle in der Weltpolitik gespielt als heute, und nicht nur in der Weltpoldtik, sondern auch in den ideologischen Auseinandersetzungen.

Moskau, Peking, Ost-Berlin, die das offensichtlich Überfallene Israel neuer Aggressionstaten beschuldigten, reagieren nicht erst heute reflexhaft und einander lizitierend im starren Freund-Feind-Schema, wobei die Attacken aus Moskau freilich auch Alibifunktionen hatten, da die Sowjetunion, getreu dem russischamerikanischen Konsens über die Interessensphären, den Arabern nicht hilft. Darauf zumindest kann sich Israel vorläufig verlassen.

Nichts charakterisiert besser das Abgleiten der Neuen Linken als ihr schematisches Gleichsetzen von Zionismus und Imperialismus. Auch die Linkskräfte reagieren reflexhaft freund-feind-mäßig: Weil, die Araber sich marxistisch geben, sind sie ihre Freunde, und weil sie Stellung nehmen müssen, nehmen sie Stellung für sie.

In dieser Situation, in der nur noch politische Streicheleinheiten für die jeweiligen Freunde (frei nach Berne) zählen, haben offensichtlich moralische Positionen kaum noch eine Funktion. Daher wird auch niemand, der Israel auf Grund seiner Aggression von 1967 kritisch gegenübersteht, diese seine Haltung ändern, weil die ersten Kampftage von 1973 die Umstände, unter denen 1967 der Nahostkonflikt ausbrach, in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen. Tatsächlich kann man sich aber auf Grund der arabischen Anfangserfolge in diesem Krieg ausrechnen, was geschehen wäre, wenn Israel 1967 gewartet hätte, bis die arabischen Luftwaffen Israels Flugplätze zerstörten und von drei Seiten einmarschierten.

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