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Ein ÖVP-Pyrrhussieg?

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Der nun schon etliche Jahre währende Streit um eine Schulreform, um eine endgültige Entscheidung über die laufenden Schulversuche, dürfte sogar ausgewachsenen Giraffen bereits zum Hals heraushängen. Dennoch ist es wieder einmal nötig, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, was umso unerfreulicher ist, weil es immer noch um leidige Organisationsfragen und nicht um die notwendigere „innere Schulreform“ geht.

Stein des Anstoßes ist der sich abzeichnende Kompromiß zwischen SPÖ und ÖVP in der Frage der Integrierten Gesamtschule (IGS):

• Die SPÖ rückt von ihrem Modell der auch als „Neue Mittelschule“ gehandelten Einheitsschule Tür alle Zehn- bis Vierzehnjährigen ab (für deren Einführung sie eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat benötigen würde).

• Die Hauptschule wird in Zukunft nicht in zwei Zügen, sondern nach dem Modell der IGS mit drei Leistungsgruppen in den sogenannten Kursfächern (Deutsch, Englisch, Mathematik), in den übrigen Fächern aber in einem Klassenverband geführt.

• Die achtklassige Langform der All gemeinbildenden Höheren Schule (AHS) bleibt daneben bestehen.

• Trotz unterschiedlicher Bildungsziele sollen Hauptschule und AHS (dort nur mit dem Zusatzangebot Latein ab der dritten Klasse) haargenau den gleichen Lehrplan bekommen.

Während Unterrichtsminister Fred Sinowatz angibt, mit diesem Kompromiß vor allem bei den unbedingten Befürwortern der Gesamtschule in seiner Partei auf Widerstand zu stoßen, haken andere Gruppen bei der (von Latein abgesehen) totalen Angleichung der Lehrpläne kritisch ein.

So erklärte der Vorsitzende der Altherrenschaft des österreichischen Car- tellverbandes (ÖCV), Theodor Detter: „Die Annahme des Kompromißvorschlages wäre nicht mehr und nicht weniger als die De-facto-Verwirklichung der sozialistischen Einheitsschule.“

Von einem „Pyrrhussieg der ÖVP“, der nur ein „Erfolg des Türschildes“ sei, sprach der Sekretär des Katholischen Familienverbandes der Erzdiözese Wien, Alfred Racek. Er präsentierte die Ergebnisse einer Umfrage unter Eltern an Wiener Hauptschulen und AHS, wonach die überwiegende Mehrheit durchaus unterschiedliche Erwartungen in die jeweilige Schultype setze und mit den jeweils unterschiedlichen Bildungszielen einverstanden sei.

Weitere Details dieser Umfrage: Vor allem Mengenlehre wird von vielen Eltern als überflüssiges Wissen angesehen. Die Gratisschulbuchaktion bejahen grundsätzlich 57 Prozent, doch wären 88 Prozent für eine „kostensparende Mehrfachverwendung bestimmter Bücher (z. B. durch Schülerlade)“.

Raceks Befürchtung, nach Einführung der gleichen Lehrpläne könne die Schulbehörde „die AHS-Unterstufe kalt auf dem Verwaltungsweg aussterben lassen", basiert nicht zuletzt darauf, daß das Unterrichtsministerium in den letzten Jahren nie zum notwendigen Neubau einer AHS-Langform in Wien-Liesing und in Hartberg (Steiermark) bereit war, an beiden Orten aber IGS-Schulversuche startete, die viele Eltern für ihre Kinder (wollten sie nicht lange Schulwege auf sich nehmen) notgedrungen in Anspruch nehmen mußten und müssen.

Besonders kraß ist die Situation in Liesing, einem der größten Wiener Bezirke: Für 70.000 Einwohner gibt es kein einziges öffentliches achtklassiges Gymnasium, dafür aber vier IGS- Schulversuche. Die Unterstufe der einzigen AHS (Anton-Krieger-Gasse) muß als IGS geführt werden, weil die Stadt Wien nur unter dieser Bedingung zur Vorfinanzierung bereit war.

Von den rund 400 Liesinger Kindern, die alljährlich mit einer AHS beginnen, kommen etwa 100 in Privatschulen unter, etwa 300 müssen lange Schulwege in andere Bezirke auf sich nehmen.

Besonders verschärft hat sich die Situation im letzten Jahr, als die Eltern im Nachbarbezirk Hietzing angesichts der Invasion aus Liesing, die ihre eigenen Kinder aus den Hietzinger Schulen zu verdrängen drohte, auf die Barrikaden stiegen.

Nun aber steigen die Liesinger in der Elterninitiative „AHS für den 23. Bezirk“ selbst auf die Barrikaden und planen für 16. Mai um 10.30 Uhr auf dem Liesinger Hauptplatz eine Kundgebung.

Dazu Maria Biesenbender, ein führendes Mitglied der Initiative: „Wir sind friedliche Bürger und werden dabei sicher keine Auslagen einwerfen, obwohl man ja heutzutage damit anscheinend eher Beachtung findet.“

Vom Wiener Stadtschulratspräsidenten Hans Matzenauer ist sie enttäuscht: „Ich glaube, es fehlt weniger am Geld als am guten Willen.“ Tatsächlich sind die nahezu wortidenten Antwortschreiben von Matzenauer und Sinowatz an protestierende Eltern, wonach (nach rühmenden Worten über die IGS) „in diesem Bereich Wiens ein vielseitiges Angebot an verschiedenen Schulen“ bestehe, gelinde gesagt, kühn - selbst wenn man die ansässigen Privatschulen mitrechnet, deren Rolle als Erfüllet einer Aufgabe des Staates vom Staat ja gar nicht entsprechend finanziell honoriert wird.

Im steirischen Hartberg, wo ebenfalls nur eine IGS als Vorbereitung auf das Oberstufenrealgymnasium besteht, unterstützt jedenfalls der Landesschulrat (wenn auch bisher vergeblich) die Bemühungen von 6000 Eltern, die spontan für eine AHS-Langform unter schrieben haben, gegenüber dem Unterrichtsministerium. Die derzeitigen Ausweichmöglichkeiten (Weiz, Gleisdorf) sind weit entfernt.

Liesing und Hartberg sind Signale: einerseits für die Ablehnung eines IGS- Monopols, anderseits für eine mögliche Haltung des Unterrichtsministeriums in der Zukunft - Abblocken aller Neubauten mit AHS-Unterstufen.

Ohne inhaltlich näher auf die IGS- Bilanz einzugehen - Argumente gegen IGS-Verfechter gäbe es mehr als genug -, sollte doch jedem sozialistischen Bildungspolitiker, mag er nun aus Idealismus oder aus Parteitaktik für die IGS eintreten, klar sein, daß hier ein äußerst heikler Punkt erreicht ist.

Eine Vielzahl der Eltern wird ihr elementares Recht auf freie Schulwahl und die Erziehung ihrer Kinder nicht so ohne weiteres preisgeben. Und bei dem Versuch, die Gesamtschule gleichsam „durch die Hintertür“ einzufuhren, könnte sich so mancher Bildungspolitiker kalte Füße holen.

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