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Ein Patt in Afghanistan

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Die Nachricht von einem bevorstehenden neuen sowjetischen Angriff auf das Pand-schir-Tal nordöstlich der afghanischen Hauptstadt Kabul weckte in Mudschaheddin-Zentralen von Peshawar einige Unruhe. Im Parteibüro der Hezb-i-Islami, bei den Freiheitskämpfern des islamischen Fundamentalisten Gulbu-din Hekmatyar, wimmelt es wie in einem Bienenhaufen.

Pandschir war für Hekmatyar immer schon bedeutungsvoll. Bei dem von Pakistan gesteuerten Rebellenaufstand im Jahre 75 er-

hielt der eifrige Ingenieur hier seine „Feuertaufe". Und bis heute steht ein großer Teil der paschtunischen Widerstandskämpfer nördlich und westlich von Kabul unter seinem Kommando.

Im lokalen Kampfführer Mas-soud ist dem in Peshawar stationierten Hekmatyar aber ein gefährlicher Rivale entstanden. Und wenn man heute von Pandschir als der symbolischen, und bisher unbesiegbar gebliebenen Festung des islamischen Verteidigers gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan spricht, denkt man an Massoud und weniger mehr an den exilierten Parteienboß, obwohl er Drahtzieher hinter den Kulissen geblieben ist.

Denn welche Waffen gegen die erwartete Offensive der Sowjets in Pandschir zum Einsatz kommen, bestimmt zunächst Hekma-

tyar durch seine Kontrolle über den Nachschub aus dem westlichen Ausland, und erst später im Verlauf des Kampfgeschehens Kommandant Massoud. Die erbeuteten sowjetischen Waffen werden meist gleich wieder eingesetzt — diesmal in umgekehrter Richtung.

Wenn die Angriffsdrohung auf das Pandschir die muslimischen Rebellen auch nervös macht, die Gefahr ihrer Niederlage besteht nicht. Schon sieben Mal sind sowjetische und afghanische Kampfverbände gegen das Tal gestürmt, und immer wurden sie zurückgeschlagen. Das wildzerklüftete Berggebiet ist für den Guerillaeinsatz bestens geeignet. Und in dieser Kriegstechnik sind die Sowjets und die afghanischen Soldaten den Mudschaheddin noch eindeutig unterlegen.

Kabul startet immer wieder Luftangriffe auf Widerstandsnester entlang der Salang-Straße, die den Nachschub aus der Sowjetunion bedrohen, und gegen Mudschaheddin-Konzentrierungen an der Straße nach Khyber und hin zur pakistanischen Grenze. Jalalabad hat während der letzten Wintermonate arg darunter gelitten. Ansonsten verschanzen sich die Besatzer am Hindukusch und die wenigen afghanischen Truppen, die übriggeblie-

ben sind, in den Provinzzentren und vor allem in der Hauptstadt

Kabul ist mit einem eisernen Ring umgeben. Trotzdem werden aus braven Bürgern und Beamten nachts immer wieder Guerillakämpfer, die auch im Zentrum von Kabul ihre Attacken ausführen. Die Opfer sind hohe sowjetische Offiziere und afghanische Behördenmitglieder.

Nur Regime-Chef Babrak Karmal konnte sich bisher sicherstellen. Selbst sein politisches Ende, schon x-mal vorausgesagt, ist nicht eingetreten. Moskau hat ohnehin alle Schlüsselstellungen in Kabul mit seinen eigenen Leuten besetzt. Es kommt dem Kreml kaum darauf an, wer ihm als Aushängeschild dient, solange der Krieg in Afghanistan kein Verhandlungspunkt ist und Kabuls Führerfigur nicht eine gewisse Flexibilität zeigen muß. Karmal wäre dazu unfähig.

Doch über Afghanistan wird es auch in den nächsten Wochen und Monaten weder regional noch international Wichtiges zu diskutieren geben. Auf die erste April-Woche ist zwar in Islamabad der Besuch des UNO-Vizegeneralse-kretärs Diego Cordovez angesagt, der auch für die „guten Dienste" der Vereinten Nationen im Afghanistan-Konflikt zuständig ist. Ob Cordovez bloß zu einer Infor-

mationsbegegnung nach Westasien kommt oder als Briefträger zwischen den Städten Islamabad, Kabul und Teheran amten soll, ist selbst den UN-Verantwortlichen in Pakistan noch unbekannt.

Die Pakistaner selbst fürchten, daß Cordovez, der vor zwei Jahren und noch vor den Afghanistan-Gesprächen in Genf von einem 95-Prozent-Erfolg seiner Vermittlertätigkeit sprach, inzwischen die Aussichtslosigkeit seines Tuns eingesehen hat und — um weder Moskau noch Washington zu verärgern - Islamabad die Schuld dafür in die Schuhe schieben möchte.

Auf alle Fälle sieht die pakistanische Metropole dem Cordovez-Abstecher mit Mißtrauen entgegen. General Zia und seine Militärjunta sind zudem einerseits mit innenpolitischen Unruhen beschäftigt und bereiten sich anderseits auf nationale Wahlen vor. Für beides ist der Krieg in Afghanistan und Pakistans Rolle als Frontstaat gute Rückendeckung.

Was Cordovez in Kabul will, ist noch unsicherer. Was hier geschieht, bestimmt Moskau. Die

Sowjets aber sind mit ihrer Polizistenrolle in Afghanistan im Moment mehr als zufrieden: Dies geht aus ihrer lustlosen Kriegsführung ebenso hervor wie aus ihrem Festhalten an der längst verbrauchten Mannschaft von Babrak Karmal. Solange zudem am arabischen Golf selbst Krieg herrscht und Irans politisches Schicksal unentschieden bleibt, ist den Sowjets die Aussicht vom „Balkon Afghanistan" aus unentbehrlich.

So bleibt dem UN-Vermittler Cordovez noch der Gang nach Teheran. Doch das Augenmerk des Chomeini-Regimes richtet sich im Augenblick wohl kaum auf den Hindukusch. Iran hat in den ersten Wochen dieses Jahres Tausende von afghanischen Flüchtlingen — in Islamabad spricht man von rund 30.000 — ins pakistanische Belutschistan abgeschoben. Die afghanischen Muslim-Brüder sind den Iranern im Moment nur unnötige Last, vor allem, weil sie sich nicht registrieren lassen wollen, um nicht als Kanonenfutter im Golf eingesetzt zu werden.

Eine klare Patt-Situation im Krieg in Afghanistan, ein Vermittler, der sich durch übertriebenen Optimismus längst unglaubwürdig gemacht hat, eine innenpolitisch bedingte Unbe-weglichkeit in Pakistan und eine internationale Lage, die die Kräfte der alles entscheidenden Großmächte anderweitig bindet: alles dies wird dazu beitragen, daß vermutlich auch der fünfte Kriegssommer in Afghanistan ohne jede Hoffnung auf ein baldiges Ende über die Bühne gehen wird.

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