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Ein Patt in Polen

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Mit seinem Besuch in Warschau vom 16. bis 18. Oktober durchbrach Österreichs Außenminister Leopold Gratz die Isolation Polens durch den Westen. Aber das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Land an der Weichsel wird nach wie vor von kühler Distanz geprägt.

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Mit seinem Besuch in Warschau vom 16. bis 18. Oktober durchbrach Österreichs Außenminister Leopold Gratz die Isolation Polens durch den Westen. Aber das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Land an der Weichsel wird nach wie vor von kühler Distanz geprägt.

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Der stets quirlige Direktor Merker im staatlichen Kirchenamt Polens bestreitet energisch, daß es eine „Denkpause" zwischen Kirche und Staat in Polen gäbe. Ebenso wie Mitglieder der katholischen Intelligenz und Vertreter der Kirche in den Gesprächen mit dem Staat verweist Merker darauf, daß im September die gemischte Kommission zwischen Kirche und Staat wiederum turnusgemäß getagt habe.

Beide Seiten versuchen zunächst zu bagatellisieren, daß es nicht zu dem geplanten Treffen zwischen Ministerpräsident General Wojciech Jaruzelski und Primas Josef Glemp — es sollte Ende September stattfinden — gekommen ist.

Stößt man jedoch nach, wird immer deutlicher, wie kühl und distanziert das Verhältnis zwischen Kirche und Staat momentan ist, daß der Wille zu begrenzter Zusammenarbeit ausgezehrt ist und die einzige Gemeinsamkeit in der Absicht besteht, keinen großen Konflikt vom Zaun zu brechen.

Auf kirchlicher Seite ist man

über eine Reihe verbaler Ubergriffe verärgert - etwa über die polemische Attacke der Zeitschrift „Argumenty" gegen Papst Johannes Paul IL, über die Warnung der Armeezeitung gegen Geistliche, die „die Kanzel mit der politischen Tribüne verwechseln", über Verleumdungskampagnen, die offen oder geheim gegen Mitglieder katholischer Vereinigungen und Zeitungen (sogar des Glemp-Blattes „Prezglad ka-tolicki") geführt werden.

Dem Staat wiederum sind die im Schutzraum kirchlicher Veranstaltungen erfolgten Treffen von Arbeiterführer Lech Walesa mit ehemaligen hochrangigen „Solidaritäts"-Mitgliedern, die „politisierenden" Geistlichen, ein Dorn im Auge.

Direktor Merker vom Kirchenamt formuliert auch ganz offep:

„Wir sind sehr enttäuscht über die Haltung der Kirche bei den Kommunalwahlen im Juni. Alle Bischöfe haben sich der Stimme enthalten und die Mehrheit des Klerus ebenfalls zu einer solchen Handlungsweise inspiriert. Positiv bleibt nur zu vermerken, daß die Hierarchie dafür gesorgt hat, daß es nur eine kleine Zahl von Kanzelpredigten gegen die Beteiligung bei den Kommunalwahlen gegeben hat."

Das größte Hindernis freilich in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche ist die Frage des geplanten Agrar-Hilfsfonds, der -aus westlichen Finanzquellen gespeist—eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe" für die privaten Landwirte in Polen sein solr>

Er wurde vor zwei Jahren vom deutschen Episkopat angeregt. Die Idee wurde sowohl von der polnischen Kirche als auch von zahlreichen Landeskirchen im Westen und einer Reihe von Staaten zunächst begeistert aufgegriffen.

Seit der Initialzündung ist freilich viel Wasser die Weichsel hinuntergeflossen. Gesetzlich geregelt wurde bisher lediglich, daß es überhaupt solche Privatstiftungen in Polen geben kann. Seit der Verabschiedung des Gesetzes im April sind bisher zwei Stiftungen (mit Sitz im westlichen Ausland) registriert worden, der kirchliche Agrarfonds (auch eine Stiftung) hat aber bis dahin offenbar noch einen weiten Weg vor sich.

Folgt man der Darstellung im staatlichen Kirchenamt, so ist noch eine Reihe von schwerwiegenden Hindernissen zu überwinden:

• Die Statuten der Stiftung sind noch nicht geschaffen und allseits akzeptiert. Die provisorische Vereinbarung, daß der Fonds ohne jegliche staatliche Mitarbeit verwaltet werden soll, scheint nicht zu halten.

• Ungeklärt ist auch, ob die kirchliche Forderung nach Steuerfreiheit akzeptiert werden kann. Die staatliche Seite argumentiert, daß mit den Stiftungsmitteln auch landwirtschaftliche Werkstätten geschaffen werden sollen (z. B. zur Reparatur von landwirtschaftlichen Maschinen, Reifenherstellung für Traktoren usw.), die natürlich einkommenssteuerpflichtig seien.

• Ungeklärt ist auch, ob die von kirchlicher Seite geforderte Zollbefreiung durchgehen wird. Die Behörden sagen, eine generelle Befreiung sei rein gesetzlich undenkbar, bloß eine „Gegenstandsbefreiung" von Fall zu Fall.

Auf kirchlicher Seite hat man zwar den Eindruck, daß General Jaruzelski, Politbüromitglied Barcikowski und Vizepremier Rakowski dem kirchlichen Agrarfonds prinzipiell positiv gegenüberstehen. Aber die „Betonköpfe" in der Partei und in der Regierungsbürokratie bremsen — und können sich, so scheint es, auch auf Moskau berufen.

Denn eine Verwirklichung des Agrarfonds würde eine weitere Zunahme des Ansehens der Kirche auf dem Lande bedeuten.

So herrscht also auch in den für Polen so wichtigen Beziehungen Staat — Kirche eine diffuse Patt-Situation, eine gewisse Müdigkeit und Resignation, die übrigens das gesamte Leben im Land an der Weichsel durchtränkt.

Alles ist so mühsam, so schwierig, so ohne begeisternde Perspektive. Konflikte schwelen vor sich hin, Mißmut und Mißtrauen glost, die Zukunft ist rauchverhangen.

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