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Ein Plädoyer für christliche Toleranz

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Wir leben in einem Zeitalter, da der technische Fortschritt immer bemerkenswerter wird, in dem aber die Menschlichkeit fehlt und Liebe wie Zuwendung oft nur Fußnoten sind.

Die Möglichkeiten zur Zerstörung werden dauernd größer: fast die Hälfte aller Wissenschaftler arbeiten beispielsweise heute direkt oder indirekt für die Rüstungsindustrie.

Zerstörung kann auch eine existentielle Bedeutung haben. Es kann eine Form von Fanatismus bedeuten. Konkret heißt das: „Mein Weg ist der einzige, meine Ideen sind absolut”.

Wenn wir überleben wollen, brauchen wir Dialogfähigkeit und Verständnis - beide Einstellungen sind fundamentale Voraussetzungen für Frieden und für Demokratie.

In diesem Bereich hat die Kirche eine besondere Aufgabe. Wir erleben eine Welt, die von Konflikten geprägt ist. Uber hundert Millionen Menschen sind schon in diesem Jahrhundert durch Krieg und Bürgerkriege umgekommen.

Immer schrecklicher wird das Schicksal der Flüchtlinge in Europa, Afrika und Asien. Sie sind Opfer einer unbegrenzten Unmenschlichkeit und Aggressionslust.

Die Kirche hat die Möglichkeit, Katalysator zu sein, immer wieder zu vermitteln, immer wieder Brücken zu bauen, immer wieder im Geist von Papst Johannes XXIII. und von Papst Johannes Paul II. die Welt als eine Familie zu sehen.

Aber wir dürfen nicht vergessen, daß Fanatismus auch die Kirche bedroht. Der Bürgerkrieg in Nordirland geht zum Beispiel weiter und fordert immer wieder neue Opfer, obwohl beide Seiten von „religiösen” Ideen erfüllt sind.

Wir brauchen Toleranz nicht als eine Gesinnung der Passivität, ein Gleichgültigsein, sondern als einen Ausdruck der Menschlichkeit, ein Symbol der erlebten Demokratie.

Ein katholischer Nobelpreisträger, P. Pire, hat einmal gesagt, daß der Konflikt nicht so sehr zwischen Gläubigen und Ungläubigen, sondern zwischen jenen, die sich engagieren, und jenen, die sich nicht engagieren, erfolgt.

Mehr Menschlichkeit, mehr Verständnis, mehr Engagement: Das sind keine abstrakten Ideale, das sind praktische Herausforderung an die Kirche unserer Zeit.

Was kann getan werden, um diese Ideale konkret zu verwirklichen? Wie können diese Ideale die Kirche schöpferischer und innovativer gestalten?

1. Es ist wichtig, daß wir das Positive der Kirche mehr betonen. Echte Reform kommt nicht, wenn wir dauernd Fehler, Versäumnisse, Konflikte dramatisieren, sondern wenn wir die Stärken und positiven Leistungen und Errungenschaften der Kirche erkennen und erweitern.

2. Eine internationale Perspektive ist Fundament für alles. Die Probleme Österreichs - heute einer der reichsten Staaten der Welt - sind nicht die Probleme der meisten Länder, wo Armut wächst, wo Arbeitslosigkeit nicht bewältigt wird und wo täglich Hunderte Menschen wegen Hungersnot sterben.

3. Besonders schwierig ist das universelle Problem der seelischen Armut. Es betrifft Junge und Alte, Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete. Immer mehr steht das Suchtproblem im Zentrum, nicht nur Drogenmißbrauch und Alkoholismus, sondern Machtsucht, so daß der Geist des Opportunismus dominiert.

Die Kirche kann durch Taten der Liebe und Zuwendung auf diesen Gebieten Pionierarbeit leisten. Das macht neue Wege und neue Methoden in der Ausbildung und Weiterbildung von Religionslehrern und Priestern erforderlich - nicht so sehr Betonung der psychologischen Theorie, sondern praktische Erlebnisse mit den Gedemütigten und Außenseitern der Gesellschaft.

4. Was wir für den Schwachen tun, ist eine Definition unserer eigenen Lebensqualität. Wenn wir dialogfähiger werden, wenn wir uns mehr den Schwachen zuwenden, wenn wir weniger Vorurteile haben, mit weniger Feindbildern arbeiten, dann wird die Kirche auch glaubwürdiger, dann verstehen wir auch den Geist des heiligen Franziskus, der von einer aktiven Liebe beseelt war und der immer versucht hat, jedes Getto zu überwinden.

Mehr Toleranz für verschiedene Meinungen und Einstellungen ist nicht ein Zeichen der Schwäche, sondern ein Symbol eines Reifungsprozesses. Die großen Errungenschaften und Figuren des Christentums können nicht wirklich angegriffen werden. Sie verlangen Imitation - eine Nachahmung, die durch Liebe und Menschlichkeit und Engagement verwirklicht wird.

Der Autor ist Professor, Pädagoge und Autor zahlreicher erziehungswissenschaftlicher Bücher, u. a. „Impulse für ein neues Leben” (Tyrolia), „Füreinander da sein” (Herold), „Aufforderung zur Menschlichkeit” (Herder).

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