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Ein Potpourri mit Charme

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Man kann den Frühling auch herbeireden. Das gelingt alljährlich dem Budapester Frühlings-Festival. Es beginnt frohgemut in trostlosem Winterwetter, und gegen Schluß sind die linden Lüfte schon Gewohnheit. Eine optimistische Stimmung liegt über dem Ganzen.

Ausgangspunkt waren die großen neuen Hotels, die in der Vorsaison zu füllen unmöglich schien. Da probierte man es mit Kultur, stellte ein Angebot zusammen: ein Dutzend Veranstaltungen pro Abend zur Auswahl. Der Slogan von 1000 Veranstaltungen an 100 Schauplätzen in 10 Tagen ist kaum übertrieben, das Risiko klein, denn in der Zwei-Millionen-Stadt finden sich stets genügend Interessenten bei niedrigen Eintrittspreisen.

Aber man wollte ja die ausländischen Devisenbringer. Die kommen immer noch am häufigsten in Gruppen — meist reifere Leute, die sich in dieser Jahreszeit einen Extra-Urlaub zu erschwinglichem Preis leisten können.

In den zentralen Kirchen aller Konfessionen gibt es geistliche Musik. In der großen Synagoge konnte man „Hebräische liturgische Gesänge” hören. Man denkt auch an genau erwogene Zielgruppen; eine davon sind die Auslands-Ungarn.

Zu diesen gehören auch prominente Künstler. Seit Jahren schon kommt der Pianist György Cziff-ra, der sich von Frankreich aus eine Karriere aufgebaut und nebenbei eine Stiftung zur Förderung junger Musiker und bildender Künstler gegründet hat. Zu ihnen gehörte diesmal auch der Architekt Pierre Vago, der Fotos seiner Bauten zeigte. Der heute 75jährige lebt schon seit 1919 in Frankreich, wirkte an einer namhaften Architektur-Zeitschrift und betrieb nach 1945 die Gründung einer weltweiten Architekten-Vereinigung, deren Ehrenvorsitzender er heute ist.

Am spektakulärsten war in diesem Frühling der ausgiebige Besuch von Antal Doräti. Er hat als junger Korrepetitor an der Budapester Staatsoper begonnen, dann aber im Ausland Karriere gemacht. Als er sich nach der Revolution von 1956 der „Philharmonia Hungarica”, einem Orchester aus geflüchteten Musikern, als Chefdirigent zur Verfügung stellte, schien die Verbindung zur Heimat abgebrochen. Aber in Ungarn ist man nicht lange nachtragend. Große Söhne bleiben große Söhne. Seit einigen Jahren gab es wieder Konzerte, und nun debütierte der 79jährige an der Staatsoper als Dirigent einer Neuinszenierung von Beethovens „Fidelio”.

Der in aller Welt geschätzte Dirigent versteht sich indessen vornehmlich als Komponist. An einem Abend in der Redoute stellte er eigene Werke vor: milde, melodiöse Kammermusik, aus der bei aller Bartök-Nähe doch viel Eigenständigkeit und Welterfahrung spricht.

Konzerte in allen verfügbaren Sälen, Operette und Musical, Oper und Ballett, Rock und Pop, Kabarett und Pantomime: Das Angebot ist unübersehbar und leider auch unübersichtlich. Kaum ein Konzert ohne Programmänderung, kein Programmheft mit ausreichenden Informationen oder gar mit Inhaltsangaben (etwa eines ungarischen Musicals) in Fremdsprachen. Dennoch: der Frühling ist unwiderstehlich, die überaus gemischtsprachigen Auditorien fühlen sich wohl, Unzulängliches wird als Charme der Improvisation empfunden.

Man macht Ausflüge: schon das sorgsam und etwas putzig restaurierte Zentrum von Obuda (Altofen) inmitten häßlicher Wohnblocks, die netten, freundlichen Restaurants, die sich alle irgend etwas Festhches haben einfallen lassen, sind ein Erlebnis. Ein Stück donauaufwärts macht sich das Städtchen Szentendre sein eigenes kleines Festival, und auch Sopron (ödenburg) an der österreichischen Grenze spielt mit. Kunstausstellungen sind zahlreich - man muß sie nur finden. Einige sind auch Verkaufs-Galerien, die wie Pilze aus dem Boden wachsen.

Im Hof des Erdödy-Palastes nahe der alten Königsburg wird ein neues ungarisches Patent ausgestellt: Glocken aus Aluminium! Sie sind leicht, auch kleine Glok-kentürme können sie tragen. Klangunterschiede werden durch dekorative Schlitze erzielt. Die Herstellung dauert nur 60 statt 195 Tage. Auch das „Lied von der Glocke” klingt anders im Budapester Frühling.

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