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Ein Problem der ganzen Gesellschaft

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Das Buch „Die ganz gewöhnliche Gewalt in der Ehe“ von Cheryl Benard und Edit Schlaffer (Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg, rororo aktuell 4358,250 Seiten, öS 45,80) erschien vor wenigen Wochen. Schon der Titel dieses (übrigens längst fälligen) Werkes sagt viel über seinen Inhalt aus: Es geht nicht ausschließlich um die physische Gewaltanwendung, sondern auch um die vielen differenzierten Nebenformen von Unterdrückung, die, sanktioniert und gesellschaftsfähig gemacht, durchaus alltäglich sind. Cheryl Benard, eine der beiden Autorinnen des Buches, das innerhalb kürzester Frist eine zweite Auflage erlebt hat, unterscheidet in einem Gespräch mit der FURCHE vier Gewalttypen:

• Die materielle Gewaltausübung, die sich daraus ergibt, daß Männer Vorteile, die sie aus ihrer gesellschaftlichen Stellung beziehen, gegen die Frau einsetzen. Dazu gehört die wissensmäßige Überlegenheit, die soziale Überlegenheit und schließlich die finanzielle Überlegenheit, die Frauen häufig in die Position einer Bittstellerin drängt.

• Die sexuelle Autorität des Mannes, die meist als gegeben hingenommen und akzeptiert wird („eheliche Pflichten“).

• Die psychische Gewalt, die sich in Drohung, Körperhaltung und so weiter äußert.

• Die extreme Form der physischen Gewalt.

Statistische Angaben, Zahlen und Prozente, wird man allerdings in diesem Buch vergebens suchen. Anders als in den USA, wo durch die Ausarbeitung von sogenannten Gewaltskalen Versuche unternommen wurden, das Problem zu systematisieren, lehnen die beiden österreichischen Sozialwissenschaftlerinnen ein derartiges Vorgehen bei diesem Problem ab. „Ich halte das“, meint Edit Schlaffer, „für eine ziemlich unzureichende Vorgangsweise.“ Statt dessen konzentrieren sich die Autorinnen auf eine Schilderung der alltäglichen Seiten des Problems und auf Fallstudien. Die Arbeit beginnt mit einem „historischen Exkurs“, der aufzeigt, daß Gewalt des Ehemannes in vielen Zeiten und Kulturen akzeptierter Bestandteil der Ehe war, und endet mit einer Kritik des Begriffes der Liebe.

Dazwischen liegt der gesamte Komplex der Beziehungen Frau-Mann und Frau-Gesellschaft, denn es handelt sich um ein Problem, meint Frau Schlaf-

fer, „das nicht unmittelbar in der Ehe selbst entsteht, sondern sehr viel mit den Strukturen zu tun hat, in welche diese Ehe eingebettet ist.“ Da geht es um die Untersuchung und Widerlegung der weitverbreiteten Vorstellungen und Illustriertenklischees von der biologischen Determiniertheit der Frau, die deren Unterordnung untermauern und ihr Aufgaben und Pflichten zuschreiben. Weiter um die Tatsache, daß für Frauen die Ehe (als Garant für soziale Sicherheit und soziales Prestige) eine größere Rolle spielt als für den Mann, weshalb sie auch bereit sind, Formen von Gewaltanwendung bis zur extrem physischen zu ertragen, sich häufig sogar schuldig zu fühlen, wenn der häusliche Friede nicht stimmt oder die Schuld dafür auf sich zu nehmen.

Damit im Zusammenhang wurde von den beiden Wiener Wissenschaftlerinnen eine Masochismustheorie ausgearbeitet, die die weit verbreitete Ansicht erklären soll, wonach Frauen „es ja so wollen“. Ubereinstimmend erklären sie, während ihrer gesamten Recherchen keinen einzigen Fall gefunden zu haben, der diese Ansicht bestätigt hätte.

Die Schwierigkeit, gegen Gewalt in der Ehe einzuschreiten, resultiert auch sehr stark daraus, daß dieses Thema heikel und ta-buisiert ist und Ehe überhaupt als Privatbereich gilt, in dem nach landläufiger Meinung Außenstehende nichts zu suchen haben.

Wie reagiert die Öffentlichkeit, wenn sie mit der Gewalt in der Ehe konfrontiert wird? „Meist“, meint Cheryl Benard, „wird das Ausmaß des Gewaltproblems heruntergespielt. Es wird versucht, es in bestimmten Gesellschaftsschichten zu lokalisieren: Bei den Armen, den Unterschichten, den Ausländern, den Alkoholikern und so weiter. Dabei zieht sich das Problem aber durch alle Schichten, weil es nichts mit Einkommen, Lebensstandard, Bildung und dergleichen zu tun hat, sondern mit der ganz speziellen Situation der Frau.“

Ein Buch von Frauen für Frauen also? Bei der Beratung der betroffenen Frauen wird versucht, auch die Männer in das Gespräch einzubeziehen, doch fanden die Sozialarbeiterinnen dies ungeheuer schwierig. Die betreffenden Männer stehen nämlich auf dem Standpunkt, daß sie sich „eh ganz normal verhalten“ und persönlich keine Probleme haben ....

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