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„Ein Recht auf Europa“

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FURCHE: Das Interesse der Österreicher an einem. EG- Beitritt ist laut Umfrageergebnissen gesunken. Kann sich die Außenpolitik — was die EG-Be- mühungen betrifft — noch auf den Österreicher verlassen?

THOMAS KLESTIL: In jedem Land genießt die Innenpolitik Priorität. Ich sage das mit Bedauern. Vielleicht muß das in einer Demokratie so sein, weil Politiker alle Anliegen innenpolitisch präsentieren müssen.

Ich glaube, daß sich an der inneren Vorbereitung und Entschlossenheit zum EG-Beitritt nichts geändert hat. Die Gefahr besteht, daß etwas für unsere Zukunft unerhört Wichtiges bloß innenpolitisch gesehen, gewertet und präsentiert wird.

Nach wie vor gibt es aber den Grundkonsens quer durch die Parteien — vor allem in der Bundesregierung —, daß es da eine Entwicklung in Europa gibt, an der wir nicht Vorbeigehen können; daß wir nicht einfach abwarten können, was da auf uns zukommt, sondern daß wir uns energisch weiterbemühen müssen, die Möglichkeiten der Mitgestaltung, wie gering sie auch sein mögen, für uns zu wahren.

FURCHE: Was ist Europa heute?

KLESTIL: Meine große Sorge ist, daß damit immer nur die EG gemeint wird. Das habe ich in den USA ständig bemerkt. Wenn wir mit Brüsseler Freunden reden, dann sagen sie immer „wir Europäer“ — und meinen natürlich die EG. Und wenn sie überhaupt über jemand anderen reden, dann heißt’s „die Osteuropäer“. Ja, Himmel-Herrgott, wo bleiben dann wir? Wo sind denn die Neutralen?

Und da muß man — wie wir es in Amerika immer getan haben — zu erklären versuchen, was Neutralität eigentlich heißt. Wir müssen ja nicht nach Europa, wir sind ja Europa. Ich lasse mir doch nicht sagen, ich sei kein Europäer — in dem Sinne, daß Europa die EG ist und daneben ein Osteuropa besteht, wo sich eine unerhört interessante Entwicklung abzeichnet, die die EG zum Handeln zwingt. Was ist mit uns Neutralen? FURCHE: Also drei Europa? KLESTIL: Für mich gibt’s die nicht. Was man im Westen unter Europa versteht, dazu gehört auch Österreich. Wir bringen in allen unseren außenpolitischen Entscheidungen unmißverständlich zum Ausdruck, daß wir zu diesem Europa gehören. Zum pluralistischen, demokratischen Europa.

So sehr ich die Lockerungen in unseren osteuropäischen Nachbarstaaten begrüße — aber Demokratien sind sie allesamt noch nicht. Da sind sie noch weit davon entfernt.

Wir gehören aber zum Westen. Und wenn man’ im Westen zwar Europa sagt, aber EG meint, dann müssen wir — da meine ich die Schweiz genauso wie Schweden und Finnland — alles tun, um hier nicht in eine Art Niemandsland, in eine Nichtrolle gedrängt zu werden.

FURCHE: Tun die Neutralen diesbezüglich zu wenig?

KLESTIL: Die Schweizer haben es im Bewußtsein der Welt, in Amerika, weil sie halt schon länger präsent sind, viel leichter gehabt. Die Schweiz, das weiß jeder, ist eine westliche Demokratie. Bei Österreichs Neutralität—naja, die Russen waren da — da wird das schon nicht mehr so gesehen.

Wir sind ein Ort der Vermittlung. Diese Rolle spielen wir auch in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Aber dort sind wir in der Gruppe der Neutralen und Blockfreien mit Jugoslawien — während wir in ideologischer, gesellschaftspolitischer und auch wirtschaftlicher Hinsicht zu dem gehören, was man heute unter Europa versteht.

Wir müssen in Brüssel selbstbewußter auftreten, nicht bei jeder Erklärung aufgeregt reagieren. Unsere Sicht muß über den Tellerrand hinausgehen.

FURCHE:Fühlt sich Österreich zur EG eingeladen?

KLESTIL: Es gibt keine Einladung. Die Prozedur ist eine andere. Jeder Staat kann einen Mitgliedantrag stel’en. Und wir müssen die Fundamentalisten in der EG, die sich nur mit dem Binnenmarkt beschäftigen wollen, geradezu zwingen, sich mit uns zu befassen. Wenn Österreich nicht so energisch an die EG-Tür geklopft hätte, wären viele Vorschläge — beispielsweise über eine EG- EFTA-Zusammenarbeit- gar nicht gekommen. Österreich löst weitere Denkprozesse aus.

Die Brüsseler können jetzt — in einem entspannteren Ost-West- Klima — nicht sagen, jetzt verhandeln wir mit Osteuropa, mit den Ländern auf dem Weg zur Demokratie, und Österreich schmeißen wir einfach irgendwie in diesen Korb hinein. Eine Formel für Österreich-Ungarn ist eine Gefahr. Bei aller Freude über die positiven Vorgänge im Osten — wir sind eine westliche Demokratie. Ich möchte nicht in einen Topf künftiger visionärer Lösungen geworfen werden. Brüssel muß über einen Gesamtbegriff Europa nachdenken. Wir Österreicher haben geradezu einen Anspruch darauf, als Europäer zu Beitrittsverhandlungen empfangen zu werden.

FURCHE: Und die Neutralität?

KLESTIL: Die Neutralität hat nicht nur den rechtlichen Aspekt - kein Beitritt zu einer militärischen Allianz und keine fremden Truppen im Land, sondern bekommt ihren Wert durch die Akzeptanz der anderen. Und unsere Neutralität ist ein in Ost und West anerkannter Faktor der Stabilität. Das wollen wir auch künftig

Überfremdetes Europa?

so halten. Wenn wir neutral bleiben wollen, dann bedeutet das Fortführung der Friedenspolitik, wie das von Gesamteuropa geschätzt wurde und wird. Die Besuche Mocks und Vranitzkys in Moskau haben völlige Übereinstimmung der Standpunkte bezüglich der Neutralität gebracht. Wir haben immer gesagt, daß die Neutralität für uns nicht auferlegte Bürde, sondern positive Chance ist, aktiv in Europa mitzugestalten.

Wenn die Fundamentalisten in Europa eine Verteidigungsgemeinschaft anstreben und sagen, da paßt ein Neutraler nicht hinein, dann haben sie recht. Aber wer sagt denn, daß das künftige Gebilde so aussehen wird? Es gibt andere EG-Mitglieder, die davon nichts wissen wollen.

Wir müssen bei den Verhandlungen eine Formel finden, die diese einzige Kondition, die wir anmelden, ernst nimmt, in dem Sinn, daß wir trotz Neutralität nichts tun, um die EG-Integrati- onsprozesse zu behindern oder zu bremsen. Wie das gehen wird, weiß ich nicht.

FURCHE: Zur atmosphärischen Lage. Wie steht es um das Österreich-Image ein Jahr nach dem Historikerbericht über Kurt Waldheims Kriegsvergangenheit?

KLESTIL: Das Thema Waldheim ist aus den Medien eigentlich verschwunden. Das soll nicht heißen, daß es auch aus den Köpfen der Menschen weg ist. Aber die Untersuchungen und auch das englische Fernsehtribunal haben gezeigt, daß die Vorwürfe gegen Waldheim unhaltbar sind.

FURCHE: Hängengeblieben sind aber die Vorwürfe.

KLESTIL: Jeder, der den Historikerbericht liest, weiß, daß die Vorwürfe — im Sinne der Anklage - nicht stimmen. Politiker in westlichen Demokratien — zum Beispiel in Amerika — unternehmen öffentlich aber nichts, um nicht die öffentliche Meinung gegen sich zu haben. Amerikanische Senatoren haben mir persönlich gesagt, sie verstehen die Watch- lis’t-Entscheidung nicht. Aber öffentlich werden sie das nie zugeben, sie wollen einfach nichts riskieren. Man weicht der Frage aus.

FURCHE: Wird Österreich in der Angelegenheit noch etwas tun?

KLESTIL: Nein. Es ist alles gesagt, was gesagt werden mußte.

FURCHE: In der Außenpolitik steht der Bundespräsident aber jetzt im Abseits.

KLESTIL: Bei schwierigen Entscheidungen hat der Bundespräsident auch in der Vergangenheit keine Rolle gespielt. Die Aufgaben des Bundespräsidenten werden erfüllt. Ja — Repräsentation nach außen: Aber bei einem EG-Beitritt verhandeln doch weder König Baudouin noch Königin Elisabeth.

Mit dem Generalsekretär im Außenministerium sprach Franz Gansrigler.

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