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Ein Recht der ersten Nacht

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Österreich hat einen guten Film, endlich wieder einmal, und es hat zugleich damit auch sein österreichisches Schlamassel. Denn der Film wird die Kinos — wenn überhaupt — mit allergrößten Schwierigkeiten erreichen. Der ORF ist am Projekt finanziell beteiligt, und sein Generalintendant pocht auf sein Recht, den Film zuerst im Fernsehen zu spielen und erst dann einer Vergabe an die Kinos, sprich: Filmverleih, zuzustimmen.

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Österreich hat einen guten Film, endlich wieder einmal, und es hat zugleich damit auch sein österreichisches Schlamassel. Denn der Film wird die Kinos — wenn überhaupt — mit allergrößten Schwierigkeiten erreichen. Der ORF ist am Projekt finanziell beteiligt, und sein Generalintendant pocht auf sein Recht, den Film zuerst im Fernsehen zu spielen und erst dann einer Vergabe an die Kinos, sprich: Filmverleih, zuzustimmen.

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Fonmaljuristisch ist Oberhammer damit im Recht. Der Vertrag — Regisseur und Autor Jörg A. Eggers liest ihn mir Wort für Wort vor — enthält einen Passus, wonach gewerbliche oder nicht gewerbliche Aufführungen der schriftlichen Bewilligung der ORF-Leitung bedürfen. Diese aber will man nicht erteilen, und Eggers kommt darüber verständlicherweise in Rage. „Vielleicht ist sich Oberhammer der Tragweite seiner Entscheidung nicht ganz bewußt. Aber im harten FÜmngesehäft ist es einmal so, daß man sich nach den Einspielergebnissen im Erstland orientiert. In Österreich kann der Film nicht Haufen — welcher Verleih nimmt einen Film, der (am 1. November) schon im Fernsehen gelaufen ist?“ Noch dazu werden sich bei den vielen guten Kritiken, die „Ich will leben“ nach den Pressevorführungen hatte, nach dem großen Wirbel, den das Kinoverbot auslöste, auch sehr viele Leute den Fernsehfilm anschauen. Die positive Kritik wird also absurderweise dazu beitragen, daß der Verleih bei der Übernahme zögert.

Das Ausland wird von der Vertragsbestimmung nicht tangiert. Theoretisch könnte Eggers den Film überall außer in Österreich und Süd-tirdl aufführen lassen. Nur: welcher fremde Verleih wind glauben, daß die Aufführungen in Österreich nur an einem formaljuristischen Veto scheiterten? Wird man nicht annehmen, daß in Wirklichkeit die mangelnde Qualität den Etruzug ins Kino verhinderte?

Der ORF ist, so scheint es, dem ehemaligen ORF-Oberspielleiter Eggers nicht sehr wohlgesonnen. Schon bei den Vertragsabschlüssen gab es die ersten Schwierigkeiten. Zunächst war von 2 Millionen Zuschuß seitens des ORF die Rede gewesen, etliche Tage vor Drehbeginn reduzierte man auf 1,5. Aber auch diese mußten auf ihre vertragliche Fixierung lange warten. „Mitten in der Einstellung Kärntnerstraße habe ich die Dreharbedten abgebrochen — es war schon 8 Tage vor DrehscMuß, und ich hatte den Vertrag immer noch nicht in der Tasche.“

An den 500.000 Schilling, um die der ORF seine Beteiligung reduzierte, kiefelt Eggers immer noch. So hoch sind derzeit seine Schulden. ,Aber ich laß mich gern kriminalisieren; ich geh gern in den Häfen dafür, daß ich diesen Film gemacht habe.“ Eggers sagt es so laut, daß wir endgültig die wenigen Gäste des Kaffeehauses vertrieben haben,sie ziehen sich in einen Nebenraum zurück.

Wie wurde der Film überhaupt finanziert?

Insgesamt kostete er 4,5 Millionen Schilling (also eher preiswert für einen Breitwandfilm in Farbe). Davon trägt das Unterrichtsministerium 2 Millionen aus dem Fonds für Film-Projekt-Förderung, 1,5 Millionen (also ein Drittel der Gesamtkosten) der ORF, der Rest sind Privatmittel. Victoria-Film (Wien) und die Cinemercury, letztere von Eggers gegründet speziell für diesen Film.

„Nachdem ich 15 Jahre lang ausschließlich vom Fernsehen gelebt hatte, wurde ich nach der Rundfunk-reform plötzlich nicht mehr beschäftigt. Nach einem Jahr ohne Aufträge habe ich dann ein Gnadenbrot bekommen: Filmdok'umentationen, so eine über Otto Wagner und eine über hirngeschädigte Kinder. Diese hat dann auch den Volksbildungspreis bekommen.“

Auch die Filmförderung des Ministeriums ist Eggers nicht in den Schoß gefallen. Er selbst gehörte 1972 zu den Gründern des „Arbeitskreises österreichischer Filmmacher“, zu dem auch Georg Lhotzky und Axel Corti gehörten und die in zwei Jahren intensiven Engagements die Verbesserung der österreichischen Filmförderung erreichten, den Übergang von der Produzentenförderung zur jetzigen Projektförderung, wobei Regisseure oder Produzenten berücksichtigt werden. Meistens stehen die Filme auf mehreren Finanzbeinen: „Trotta“ war eine Koproduktion ORF-Süddeutscher Rundfunk, Axel Cortis „Totstellen“ ORF-ZDF.

„Ich will leben“ ist der erste Film ohne bundesdeutschen Beistand, und um so bedauerlicher ist es, daß er den Weg ins Kino nicht finden wird.

Die Zuseher — so der ORF — haben ein Recht, einen Film, für den der “ORF 1,5 Mill Ionen gezahlt hat, auch zuerst im Fernsehen zu sehen. Eggers fühlt sich zurecht an das mittelalterliche „ius primae noctis“ erinnert. Denn das rein finanzielle Argument hält nicht stand: Erstens sind die zwei Millionen des Ministeriums ja ebenfalls Gelder österreichischer Steuerzahler. Sie sollten nicht nur fürs Prestige des Fernsehens ausgegeben wenden, sondern könnten zugleich einen kulturellen österreichischen Exportartikel stützen. Außerdem: vertraglich ist dem ORF ein aliquoter Anteil an den (nunmehr kaum mehr zu erwartenden) Einspielergebnissen sicher.

Wäre es nicht klüger, die 1,5 Millionen zumindest teilweise durch den Filmverleih wieder einzuspielen, um sie dann wieder sinnvoll einsetzen zu können als die 1,5 Millionen als Bezahlung des ius primae noctis zu betrachten über das nicht mehr diskutiert werden kann? Aber, so hört man, selbst Kreiskys Sonderbeauftragter König konnte beim Generalintendanten in dieser Sache nichts ausrichten.

„Vielleicht liegt es auch daran, daß ich zwar — wie sich's für einen Wiener gehört — eine böhmische Großmutter habe. Nur hat es sie unglücklicherweise nicht nach Wien, sondern nach Sachsen gezogen, und meine Sprache erinnert vielleicht noch an meine Heidelberger Kindheit. Aber die längste Zeit meines Lebens habe ich in Wien verbracht, hier hab' ich studiert, am Burgtheater gespielt, und 15 Jahre ORF ...“

„Ich will leben“ gibt österreichischen Zuschauern tatsächlich so etwas wie Heimatgefühle. Nicht, daß das Problem genau auf Österreich zugeschnitten wäre. Er soll auch in Synchronisation wirken können. Aber die Szenerie ist österreichisch, wobei ich absichtlich das Epitheton „typisch“ weglasse, weil ich an das typisch österreichische nicht glaube. Aber die Schauplätze sind erkennbar — der Zelersee, der Stephansdom, der Prater samt Kalafatti, die Aufschriften im Krankenhaus, die Konditoreien. Auch spielen etliche österreichische „Wbo-is-who“-Aspi-ranten mit: Georg Lhotzky ersteigert sich im Dorotheum Utensilien für den nächsten Film, Naivenmaler Gottfried Rumpf hilft den Rollstuhl entfalten, Jugend-, Fernseh- und Hörfunk-Wienerin Christine Nöst-linger geht brabbelnd ein Jugendstiltreppenhaus hinauf.

Ein Film von österreichischem Zuschnitt und internationalem Format — diese Formel könnte man „Ich will leben“ zugestehen.

Für einen Nur-Fernsehfilm ist die Aufmachung auch zu kostspielig, vor allem die Breitwand. „Nur fürs Fernsehen hätte ich eine Sami-Dokumen-tation gemacht, die wäre billiger gekommen“

ORF-Finanzchef Skala dagegen: „Der Film war von vornherein für eine Erstaufführung im Fernsehen gedacht. Herr Bggers war bei Vertragsabschluß damit auch einverstanden.“ Dr. Skala erklärt mir die drei Möglichkeiten des ORF, sich Filme zu verschaffen (wenn er nicht Mäzen spielen will).

•Hohe Erstbeteiligung (wie in diesem Fall),

•niedriger Einkauf des fertigen Filmes (was zirka ein Zwanzigstel der ORF-Beteiligung bei „Ich will leben“ entspricht), oder

•Finanzierung plus Einspielergebnisse, gepaart mit Absatzgarantie des ORF.

Letztere Möglichkeit hielt man bei „Ich will leben“ anscheinend für unrealistisch, denn bei Vorlage des Buches hat niemand erwartet, daß der Film verleihverdächtig wird. „Wird der Film schlecht, dann versteckt man sich als Geldgeber möglichst; wird er gut — und dieser ist ausgezeichnet —, dann will man gern beteiligt sein.“

Daß der ORF dem Film eine möglichst große Verbreitung sichern will, betont Skala ebenfalls, und auch, daß der Film wider Erwarten gut geworden ist.

Wie war denn das bei den Präzedenzfällen, „Trotta“, „Kain“, „Totstellen“? Sie alle sind ja auch Im Kino gelaufen, wenn auch teilweise nur kurz. Aber damals war die Geschäftsführung noch laxer, wenn auch am Küniglberg in diesem Zusammenhang von „Piraterie“ gesprochen wird. Geklagt wurde jedenfalls in diesen Fällen niemand, die Filme liefen trotz Erstlingsrechts des Fernsehens in den Kinos.

Warum also soll man Jörg A. Eggers, der den Weg der Piraterie nicht genommen hat, nun an einer schriftlichen Erlaubnis scheitern lassen? Aber die Zeit drängt, die Fernsehausstrahlung ist für den 1. November vorgesehen, und sollte der ORF sich doch eines Besseren besinnen, so müßte — soll der Film im Kino Chancen haben, sich durchzusetzen — dieser Termin wohl verschoben werden.

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