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Ein Ruf nach Kollegialität und Ökumene

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Die Enzyklika „Humanae vitae” vom 25. Juli 1968 ist zu verstehen als teilweise Fortschreibung, aber auch als teilweise Korrektur der Enzyklika „Casti connubii” von Pius XL (1930).

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Die Enzyklika „Humanae vitae” vom 25. Juli 1968 ist zu verstehen als teilweise Fortschreibung, aber auch als teilweise Korrektur der Enzyklika „Casti connubii” von Pius XL (1930).

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Das Zustandekommen von „Casti connubii” hat sowohl mit Kollegialität wie mit ökumenischem Geist nur negativ zu tun. Sie ist das Werk von zwei Konsultoren des Heiligen Offiziums (Arthur Vermeersch und Franz

X. Hürth), in einigen Punkten gegenüber dem radikalen Augustinianismus der beiden Verfasser durch Pius

XI. etwas gemildert.

„Casti connubii” war die geharnischte Antwort Roms auf einen Beschluß der Lambethkonferenz der anglikanischen Kirchengemeinschaft, wonach in Konfliktfällen in der Ehe kontrazeptive Methoden sittlich zu rechtfertigen seien. Der päpstlichen „Antwort” gingen keinerlei kollegiale Beratung oder Befragung voraus. Sie folgt in Gehalt und Tenor ganz und einseitig der Eheauffassung des heiligen Augustinus. Während fast zweier Jahrhunderte hatte die gegenteilige Sicht und große Milde des heiligen Alfons von Liguori im Leben der Kirche Raum. Sie hatte hinter sich ebenfalls eine lange Tradition, seit Gregor von Nazianz, Chrysosto-mus, Dionysius Carthusianus.

Während Augustinus davon ausgeht, der eheliche Akt sei an sich entwürdigend und lasse sich allein durch die aktuelle Absicht der Zeugung versittlichen und entschuldigen, lehrt Alfons nachdrücklich, wie später das II. Vatikanische Konzil, daß der eheliche Akt an sich (per se), nämlich als Ausdruck der gegenseitigen Liebe und Treue „gut und ehrbar ist”. In klarer Stellungnahme zur augustiniani-schen Tradition wagt Alfons zu lehren: .....und das ist eine Glaubenswahrheit”.Doch während Augustinus in „Casti connubii” zehnmal ausgiebig zitiert wird, kommt Alfons überhaupt nicht zur Sprache, obwohl die abendländische Kirche gut 150 Jahre seiner diesbezüglichen

Lehre weiten Raum gegeben hatte. Die Enzyklika von Pius XL, die jegliche Form der Kontrazeption („Ehemißbrauch” genannt) streng als „Verbrechen” (crimen) einstuft, ist diesbezüglich eine strikt primatiale Kehrtwendung, die sich freilich schon während der vorhergegangenen Dezennien angebahnt hatte. Es ist eine starke Option für die augusti-nianische Tradition, der lange auch die reformatorischen Kirchen anhingen. „Casti connubii” verursachte großes Unbehagen bei Eheleuten und vielen Seelsorgern. Millionen von Katholiken zogen sich - wenn nicht von der Kirche überhaupt - vom sakramentalen Leben zurück.

In der Vorbereitung und im Verlauf des II. Vatikanischen Konzils hat das Heili-geOffizium alles versucht, „Casti connubii” radikal fortzuschreiben. Dies gelang jedoch nicht. Die zuständigen Konzilsgremien sahen die Notwendigkeit einer Wende. In den Entwürfen kommt klar zum Ausdruck, daß die Pflege der Liebe und der Treue durch den ehelichen Akt einen hohen Rang einnimmt und keineswegs ein Nebenzweck ist. Als diese brennende Frage vor das Plenum des Konzils kam, fanden die einflußreichsten Konzilsväter wie Kardinal Julius Döpfner, Kardinal Leo Suenens und Patriarch Maximus, die mit aller Deutlichkeit von „Casti connubii” abrückten und der steten Pflege der ehelichen Liebe gerade auch im ehelichen Akt einen hohen Rang zusprachen, starken Beifall. Hier kam die erste deutliche primatiale Intervention: Paul VI. befahl den Abbruch der Diskussion, ließ aber der zuständigen Kommission volle Freiheit.

Doch knapp vor Konzilsschluß erreichten die starken Männer des Heiligen Offiziums eine weitere deutlich primatiale Intervention zugunsten der Linie von „Casti connubii” Wenigstens in bezug auf die Norm, daß jeder eheliche Akt auf Zeugung ausgerichtet sein müsse. Es gab deutlichen kollegialen Widerstand, der mit einem Kompromiß endete: „Casti connubii” wurde in bezug auf die Verdammung jedes Versuches, den ehelichen Akt seiner Fruchtbarkeit zu berauben, nicht festgeschrieben, doch wurde vermerkt, der Papst werde selbst nach Vollendung der Arbeit seiner Kommission die Entscheidung fällen.

„Kollegiale” Note

Hier findet sich eine „kollegiale” Note; denn der Papst folgte durch Errichtung einer repräsentativen Kommission zu Fragen der Bevölkerungsprobleme einem betonten Anliegen von Kardinal Newman: Konsultation nicht nur der Bischöfe, sondern auch der Gläubigen. Die Kommission sollte nach den klaren Weisungen des Papstes in aller Freiheit nach der besten Lösung suchen. Das Ehepaar Crowly, vom Papst in die Kommission berufen, stellte eine große Umfrage bei den Ehepaaren des „Christian Family Movement”, dessen Gründer sie waren, an, deren Resultat nicht ohne nachhaltigen Einfluß auf die Männer und Frauen der päpstlichen Kommission blieb.

An die 90 Prozent der Kommission plädierten dafür, daß der Papst die generelle Verdammung der Kontrazeption durch „Casti connubii” zurücknehmen solle, um es dem Feingefühl und der Verantwortung der Eheleute zu überlassen, zu urteilen, was je für sie die Methode sei, die am besten sowohl der Pflege ihrer Liebe wie edelmütig verantworteter Elternschaft dient. Es war kollegial gehandelt, als Paul VI. nach diesem Ergebnis eine Kontrollkommission aus Kardinälen und Bischöfen (darunter auch der gegenwärtige Papst) bildete. Sie billigte mit Zweidrittelmehrheit das Ergebnis der ersten Kommission.

Der Erlaß der Enzyklika „Humanae vitae” erging nach allen von Kollegialität gezeichneten Bemühungen um eine Klärung eher als einsamer pri-matialer Akt des Papstes, und zwar im Gegensatz zu der Richtung, in die die „kollegialen” Ergebnisse gewiesen hatten. Wie in „Casti connubii” steht nun auch in dieser Enzyklika die schwer vollziehbare Norm da: „Jeder eheliche Akt muß offen sein auf Zeugung” (beziehungsweise „ausgerichtet auf Zeugung”). Dabei ist schwer einzusehen, wie die nun ausdrücklich gebilligte natürliche Familienplanung wirklich auf Zeugung hin ausgerichtet sein kann, sofern nach genauem Kalkül der eheliche Akt nur an sicher unfruchtbaren Tagen vollzogen wird.

Der einseitig primatialische Akt von Paul VI. wurde dadurch gemildert, daß der Papst seinen Sprecher Lambruschini verkünden ließ, es handle sich nicht um eine irreformable oder unfehlbare Entscheidung. Zudem trat nunmehr in rascher Abfolge, wenn auch „nachträglich”, eine starke kollegiale Komponente auf: große und angesehene Bischof skonferenzen und zahllose Bischöfe und Theologen halfen durch pastorale Erklärungen der Enzyklika den Gläubigen guten Willens im Frieden mit dem eigenen Gewissen und mit der Kirche zu leben, auch wenn sie -trotz allen guten Willens -die strenge Norm entweder nicht einzusehen oder sie nicht ins Leben umzusetzen vermochten.

Es gehörte zur Größe von Paul VI., daß er sich mit dieser nachträglich - nach seiner Enzyklika - starken Regung der Kollegialität versöhnt abfinden konnte. Doch nicht alle Mächtigen im Vatikan konnten diese Haltung mitvollziehen.

Bemühen um Entkrampfung •

Es ist bekannt, daß Johannes Paul I. entschlossen war, baldmöglichst auf kollegiale Weise die durch „Humanae vitae” entstandenen Spannungen zu entkrampfen, sah er doch in der wirksam geübten Kollegialität „das Gütezeichen und Merkmal wahrer Ka-tholizität”.

Jeder gezielte Versuch, durch entsprechende Bischofsernennungen für die Zukunft eine kollegial-bischöfliche Modifizierung vatikanischer Pri-matialentscheidungen unmöglich zu machen, muß schon daran scheitern, daß Bischöfe ihren kollegialen Beitrag nur als Zeugen des Glaubens und der Gewissenüberzeugung der ihnen anvertrauten Gläubigen einbringen können. Sowohl die Bischöfe wie der Papst und ganz besonders die Theologen sind in ihrem Dienst am Glauben und an der Bildung der Gewissen eingebunden in das Gesamte der Glaubensgemeinschaft.

Der ganze Fragenkomplex um „Humanae vitae” ruft nach operativer Kollegialität und nach einer wahrhaft ökumenisch ausgerichteten Lerngemeinschaft, in voller Offenheit für das Wehen des Heiligen Geistes, der in allen und durch alle wirkt.

Der Autor ist emeritierter Professor für Moraltheologie (Lateran-Universität, Rom) und Redemptorist.

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