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Ein russischer Optimist

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Der Tag der Volksabstimmung in Rußland rückt näher, und auch wenn Boris Jelzin sich durchsetzen sollte, wird die Welt von Moskau aus noch einige Zeit in Atem gehalten werden. Einer, der nicht bereit ist, den grassierenden Pessimismus über die Entwicklung in Rußland zu teilen, ist Andrej Gurkow. Der Publizist ist seit 1988 Leiter der in Köln erscheinenden deutschen Ausgabe der Zeitschrift „Moskauer Nachrichten" und macht sich nun in einem Buch Gedanken über die „Wiedergeburt einer Weltmacht".

Der Titel des Buches strahlt Optimismus aus: „Rußland hat Zukunft". Der Autor setzt dabei vor allem auf die Generation der Zwanzig- Dreißigjährigen, die nun voll durchstarten will. Sie haben keine Illusion mehr, was den Sozialismus anlangt, sie haben, laut Gurkow, das notwendige Bildungsniveau - und die notwendige Härte. Andrej Gurkow, der selbst Jahrgang 1958 ist, will nichts wissen von den „edlen Träumern", die jede Gesellschaft braucht, nur die russische habe derzeit keinen Bedarf an ihnen: „Sie haben zu viele Skrupel, die die Jungen nicht haben", sagte er in einem Interview.

Der Optimismus des geborenen Moskauers, der sieben Jahre seiner Kindheit in Ost-Berlin verbracht hatte, erinnert zwar manchmal an den Knaben, der im Wald laut pfeift, um seine Angst zu überspielen, aber Gurkow führt auch Argumente für seine These an. Er ist überzeugt, daß es für Rußland kein Zurück gibt, daß „die kommunistische Benebelung der Sinne" endgültig vorbei sei, und daß die Gefahren, die er nicht leugnet, bewältigt werden können: durch das Demokratiebewußtsein in den Großstädten, durch das Nationalbewußtsein, durch den Hang der Regionen zum Föderalismus - und schließlich auch durch traditionelle russische Anarchie, von der Gurkow meint, daß sie manchmal auch produktiv sein könne.

Gurkow baut auf die dynamischen russischen Yuppies und hält nichts von Literaten und Künstlern, die sich gegen Jelzins Reformen stellen, wie einst die Slawophilen gegen die Reformen Peters des Großen. Aber er sagt kaum etwas über den Verlust an Vertrauen zur Staatlichkeit, über die psychologischen Barrieren, die der Kommunismus geschaffen hat und die durch rücksichtsloseste Eigeninitiative nicht abgebaut werden können: die Verachtung des Nächsten, der systematische Aufbau von Feindbildern und das Mißtrauen als Krebsgeschwür einer Gesellschaft.

„Der Teufel ist nicht so schrecklich, wie man ihn malt", behauptet ein altes russisches Sprichwort, das Andrej Gurkow gleich zu Beginn seines Buches zitiert. Man möchte ihm gerne glauben -in einer Art egoistischer Hoffnung.

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