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Ein russischer Weltbürger

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Das Buch stammt nicht von dem bekannten und durch seinen Roman „Lolita“ weltberühmt gewordenen Vladimir Nabokov, sondern von seinem Vetter Nicolas. Und der war und ist... — Hier entsteht schon eine Frage. Komponist war und ist er ganz zweifellos, er hat im Laufe seines langen Lebens — er ist über siebzig — zwei Opern geschrieben, die freilich beide nicht sehr bekannt wurden, unzählige Ballette, Filmmusiken, auch Kammermusik. Aber er hat auch vieles andere getan und war in vieles andere verwickelt. Er war Universitätsprofessor in Amerika^ ist es noch immer, spielte eine kulturpolitische Rolle nach dem Zweiten Weltkrieg und kannte und kennt intim Unmengen von bedeutenden und berühmten Leuten, weiß daher sehr vieles, was hinter den Kulissen vor sich ging und geht — und das ist wohl das Interessanteste an seinem Buch.

Also nicht so sehr das Werk, als das Leben. — Es liest sich wie ein Märchen. Es beginnt in Rußland. Nabokov ist Mitglied einer nahezu fabulös kinderreichen Familie. Seine Kindheit verbringt er in zahlreichen Schlössern, Landgütern, Palästen, unter der Obhut von Gouvernanten und Hauslehrern, umgeben von vielen Stubenmädchen, Gärtnern, Butlern, Köchinnen, kurz: die gute alte Zeit, die vor dem Ersten Weltkrieg, in Rußland. Eine Zeit, die, zumindest für die Privilegierten, zu schön war, um lange wahr zu bleiben.

Revolution. Nicolas geht noch zur Schule, aber er nimmt bereits Musikstunden, flieht mit seiner Familie aus St. Petersburg — dem heutigen Leningrad — zuerst nach dem Süden, wo man ja so viele Güter und Schlösser besitzt, dann unter dramatischen Umständen über die Türkei, Griechenland, nach Berlin. Dort einige Jahre, die er — und das mit Recht — als die Blütezeit der russischen Emigration bezeichnet. Berlin war in jenen Tagen, von etwa 1920 bis 1925, viel „russischer“ als Paris es später je wurde. — Die ersten großen Musikerlebnisse: durch Arthur Nikkisch und sein Berliner Philharmonisches Orchester. Über ihn lernt er den großen europäischen Chronisten Graf Kessler kennen und durch ihn Rainer Maria Rilke.

Übersiedlung nach Paris. Durch allerlei Vermittlungen lernt er, der angehende Komponist, der aber noch nicht viel vorzuweisen hat, den großen Tanzimpresario Sergej Diaghi-lew kennen, und durch ihn Igor Stra-winsky, der Gefallen an dem jungen Mann und auch an seiner Musik findet. Aber obwohl Diaghilew ein Ballett bei ihm bestellt und es auch mit beträchtlichem Erfolg aufführt — Nabokov hat, wie so viele russische Emigranten in den Vereinigten Staaten, wohin er auswandert, ständig Existenzsorgen. Er muß schließlich eine Stelle als Musikprofessor an einem drittklassigen College annehmen, hoch im Norden des Staates New York, das er später gegen ein qualitativ besseres, in der Umgebung von Washington vertauscht.

Inzwischen ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, und Amerika ist in ihn eingetreten — besser: eingetreten worden, denn es war ja Hitler, der den Vereinigten Staaten den Krieg erklärte, nicht umgekehrt. Nabokov meldet sich freiwillig und wird durch den Einfluß seines Freundes, des englischen Dichters W. H. Auden, Kulturoffizier in Berlin und begreift dort sehr schnell, daß die Russen, will sagen die Sowjets, nicht die Absicht haben, mit dem Westen zusammenzuarbeiten, nicht einmal auf kultureller Basis. Sie haben es allerdings auch leicht, denn die hohen amerikanischen Militärs verstehen so gut wie nichts von kulturellen Fragen. Eine sehr amüsante Episode: ein amerikanischer General ist außer sich über eine Aufführung der Staatsoper im russischen Sektor von „Madame Butterfly“, weil dort ein amerikanischer Offizier — wenn man so will — als eine Art von Heiratsschwindler vorkommt. Die Tatsache, daß die Oper fünfzig Jahre alt und auf der ganzen Welt gespielt worden ist und gespielt wird, vermag den empörten General nicht zu besänftigen.

Nach Amerika zurückgekehrt, erfährt Nabokov durch Zufall, daß die Russen einen kulturellen Kongreß in New York planen, eine Art von Friedenskongreß, um die „besseren Kreise“ Amerikas für sich zu gewinnen. Das alles wird sehr im geheimen vorbereitet, um die Opposition nicht auf den Plan zu rufen, das heißt: diejenigen, die wissen, wieviel den Russen wirklich an Kultur liegt und insbesondere wieviel, das heißt: wie wenig, an einer Zusammenarbeit mit dem Westen. Der Grund der Veranstaltung in New York ist ganz einfach: die ewig

Dummen einzufangen. Nabokov und seine Freunde gründen eine Art von Aktionsgruppe gegen die russische Veranstaltung, sie sitzen in allen Sälen, in denen diese stattfindet, sie stellen peinliche Fragen, so zum Beispiel: Nabokov fragt den, gegen seinen Willen, nach Amerika transportierten Schostakowitsch, ob er mit dem Leitartikel der „Prawda“, der die Komponisten Hindemith, Schönberg und Strawinsky verdammt, übereinstimme. Und der arme Schostakowitsch muß unter dem Druck seiner Politoffiziere erklären, ja, er stimme damit überein.

Alles in allem wird das russische Unternehmen ein Reinfall — für die Russen. Nabokov und seine Freunde gründen ein Gegenunternehmen, den „Kongreß für kulturelle Freiheit“, der seinen Sitz in Berlin hat und dessen Generalsekretär er wird. Und dieser Kongreß hat nun wirklich große Wirkung auf der ganzen Welt, Nabokov veranstaltet überall Vortragsabende oder auch kulturelle Veranstaltungen, wie Musikfeste und Kongresse, die vor allem der modernen Musik gewidmet sind.

Die Gefahr, daß westliche Intellektuelle in großem Maße sich den Sowjets in die Arme werfen, schwindet. Aber das alles kostet auch viel Geld, und es ist seltsamerweise die große amerikanische Spionageorganisation, die CIA, die das ganze Unternehmen

— eingeschlossen einige Zeitschriften

— finanziert. Als das — ungefähr zehn Jahre später — herauskommt, gibt es einen großen Knall und das Unternehmen fliegt auf. — Warum gerade die CIA als Finanzier auftrat, und warum das sich so katastrophal auswirkte, schreibt Nabokov allerdings nicht. Es ist vielleicht das einzige, was man in seinem Buch vermißt.

Im ganzen: ein ungemein farbiges, interessantes Leben — am Rande heiratet Nabokov vier, fünf oder gar sechs Frauen, von denen allen gesagt wird, daß sie sehr reizend, sehr schön und sehr klug waren — vermutlich sind sie es auch heute noch. Nabokov findet mit Recht, daß diese Privatangelegenheiten so interessant nicht sind, um einen großen Platz in seinem Buch einzunehmen. In einem Buch, das ein Zeitdokument ist und das der Verlag mit Recht vergleicht mit den Erinnerungen von Graf Kessler, Andre Malraux, Stefan Zweig, Alma Mahler, Carl Zuckmayer und anderen. Genau dahin gehört es und wird es noch lange gehören. Denn es ist über alles Stoffliche hinaus ein höchst lesenswertes Buch, das, anspielend auf ein Mißgeschick während der Flucht, „Zwei rechte Schuhe im Gepäck“ heißt. Es ist nicht nur ein lesenswertes und informatives Buch, es ist ein liebenswertes Buch.

ZWEI RECHTE SCHUHE IM GEPÄCK. Von Nicolas N ab okov. Verlag Piper, München. 408 Seiten.

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