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Ein Samba mortale

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Noch vor wenigen Monaten gab es Hoffnungen für eine positive Entwicklung Brasiliens. Jetzt erklärt das Land seine Zahlungsunfähigkeit. Wie konnte es dazu kommen?

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Noch vor wenigen Monaten gab es Hoffnungen für eine positive Entwicklung Brasiliens. Jetzt erklärt das Land seine Zahlungsunfähigkeit. Wie konnte es dazu kommen?

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Brasilien erklärt zum neunten Mal in seiner Geschichte die Zahlungsunfähigkeit. Machten in den Jahren 1824, 1898, 1914, 1931, 1937, 1963, 1964 und 1982 die jeweiligen Regierungen das Ausland für ihre Misere verantwortlich, so sind die Ursachen für die Krise diesmal, 1987, nach Meinung einheimischer Wirtschaftskommentatoren „auf dem eigenen Mist gewachsen“ .

Dabei gaben die Wirtschaftdaten des Landes noch vor einem dreiviertel Jahr Anlaß zu Hoffnungen:

• die Devisenreserven näherten sich der Zehn-Milliarden-Dollar- Marke;

• die Entwicklung der Außenwirtschaft ließ hoffen, daß der schon seit Jahren stetige Handelsbilanzüberschuß bis Jahresende stolze 13 Milliarden Dollar betragen würde;

• die Arbeitslosenzahlen gingen spürbar zurück;

• der hohen Inflation wurde mit der im Februar 1986 eingeleiteten Wirtschafts- und Währungsreform (Cruzado-Plan), die ein „Einfrieren der Konsumentenpreise“ vorsah, der Kampf angesagt.

„Finanz- und Wirtschaft“ , eine angesehene Schweizer Wirtschaf tszeitung, schrieb noch in Nummer 57 vom 23. Juli 1986: „Nach dem heutigen Stand der Wirtschaftslage bestehen keinerlei Zweifel darüber, daß Brasilien termingerecht die aufgenommenen Anleihebeträge zurückzahlt …“

Sieben Monate später erklärt das Land seine Zahlungsunfähigkeit. Wie konnte es dazu kommen?

Bereits im September vergangenen Jahres wurde in einem Bericht der österreichischen Außenhandelsstelle in Rio de Janeiro festgestellt, daß sich die „eingefrorenen Preise“ als eines der größten Probleme des Landes erweisen. Es stellte sich heraus, daß viele der Preise zu niedrig angesetzt waren.

Der totale Preisstopp verhinderte zwar das Steigen der Konsumentenpreise, für die Löhne wurde er — aus wahltaktischen Gründen - nicht so rigoros angewendet. Viele der Betriebe konnten nicht mehr kostendeckend arbeiten und schlitterten in die roten Zahlen.

Das starre Festhalten der Regierung an den „frostigen Tatsachen“ und die steigende Ungewißheit in der Behandlung des Auslandkapitals „vergifteten“ Brasiliens Wirtschaftsklima. Die Investitionstätigkeit ging drastisch zurück, und multinationale Konzerne begannen mit dem Rücktransfer ihres Kapitals in die Mutterhäuser. Laut Präsident Sarney sind Brasilien in den letzten zwei Jahren auf diese Weise 1,4 Milliarden Dollar verlorengegangen.

So verheerend sich das „Einfrieren der Preise“ für die Wirtschaft auswirkte, den niedrigen und kleinen Einkommen brachte es eine erhebliche Einkommensverbesserung und der „Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB)“ , mit Staatspräsident Jose Sarney an der Spitze, am 15. November 1986 den Sieg.

Schon fünf Tage nach der Wahl präsentierte die neugewählte Regierung ihren Wählern ein neues Maßnahmenpaket: den „Cruza- do-Plan II“ . Er sollte die leeren Staatskassen füllen und der durch die Reallohnverbesserung ausgelösten Konsumwut der Brasilianer einen Riegel vorschieben.

Die Treibstoffpreise wurden um 60 Prozent erhöht, die Listenpreise der Kraftfahrzeuge um 80 Prozent angehoben und mit einer 30prozentigen Zwangsanleihe belegt. Tabakwaren wurden zwischen 50 und 120 Prozent, Zucker 25 Prozent und alkoholische Getränke 100 Prozent teurer. Dies alles verordnete - allen ökonomi-

sehen Gesetzen zum Trotz - eine Regierung, die sich die „Null-Inflation“ zum Ziel gesetzt hat.

Der erhöhten Konsumlust der Bevölkerung standen zunehmend Firmen, Händler und Farmer gegenüber, die nicht gewillt waren, mit Verlust zu verkaufen. Viele Güter wie Glas, Kunststoff, Autoersatzteile und Medikamente wurden Mangelware. Wochenlang gab es für die Brasilianer kein Fleisch. Um Milch, Fisch, Hühner und Eier standen sie stundenlang Schlange. Um die Versorgung der Bevölkerung wenigstens halbwegs zu gewährleisten, wurden immer mehr Importe notwendig. Die bis jetzt erzielten Handelsbilanzüberschüsse von einer Milliarde Dollar im Monat schmolzen auf 100 Millionen Dollar.

Auch Österreich profitierte von den Problemen Brasiliens. Von Anfang 1986 bis September nahmen die Exporte von 238,9 Millionen Schilling im Vergleichszeitraum 1985 auf 444,7 Millionen Schilling zu und erhöhten sich bis Jahresende 1986 auf 616 Millionen. Brasilien steht damit an erster Stelle der österreichischen Exporte in die lateinamerikanischen Länder.

Das Jahr 1987 hat für die Brasilianer schlecht angefangen. Die Versorgung ist zwar heute wieder besser, aber die Inflationsspirale dreht sich wieder schneller und schneller. Allein im Jänner erreichte sie mit 18 Prozent einen historischen Monatsrekord. Für Kredite, zur Finanzierung langlebiger Konsumgüter wie Autos, verlangten die Finanzierungsinstitute zuletzt den horrenden Satz von 1.300 Prozent. Die Devisennotierungen auf den Schwarzmärkten sanken täglich. Eine Tatsache, die Brasilien-Touristen täglich zu spüren bekommen.

Noch weiß niemand einen Ausweg aus der Krise. Der „Stein der Weisen“ , um eine drohende weltweite Finanzkrise abzuwenden, ist noch nicht gefunden, vielmehr tröstet man sich damit, daß nicht sein kann, was nicht sein darf.

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