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Ein Schatten wie im Vormärz

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Die Bedeutung der Hochschulpolitik im gegenwärtigen Zeitpunkt läßt sich nur in größerem Zusammenhang betrachten, aus dem sich dann die Nutzanwendungen für Österreich ergeben. Nur die Forschung macht heute, anders als in vergangenen Jahrhunderten, das Leben einer ständig wachsenden Zahl von Menschen überhaupt möglich. Damit ist aber auch die Lehre als Weitergabe der Forschungsergebnisse an die künftigen Generationen gleichfalls zu einer Lebensfrage gworden.

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Die Bedeutung der Hochschulpolitik im gegenwärtigen Zeitpunkt läßt sich nur in größerem Zusammenhang betrachten, aus dem sich dann die Nutzanwendungen für Österreich ergeben. Nur die Forschung macht heute, anders als in vergangenen Jahrhunderten, das Leben einer ständig wachsenden Zahl von Menschen überhaupt möglich. Damit ist aber auch die Lehre als Weitergabe der Forschungsergebnisse an die künftigen Generationen gleichfalls zu einer Lebensfrage gworden.

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Die Überlegenheit unserer wissenschaftlichen Forschung ist vielleicht der ausschlaggebende Faktor dafür, daß unsere freiheitliche Lebensordnung bisher gewahrt werden konnte. Wenn dieser Vorsprung verlorengeht, dann ist es eine Frage sehr kurzer Zeit, bis auch unsere Welt den Schritt in den Kollektivismus tun muß, wozu es dann gar keiner kriegerischen Auseinandersetzung mehr bedarf. Alle Kräfte also, deren Ziel es ist, diese freiheitliche Lebensordnung zu vernichten, haben daher ein brennendes Interesse daran, diese Quellen der Überlegenheit in der westlichen Welt von innen heraus zu zerstören. Was in den letzten Jahren etwa an amerikanischen und deutschen, an französischen und italienischen Universitäten geschehen ist, sollte auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.

In diesem größeren Rahmen steht nun die Hochschulreformpolitik Österreichs. Was muß nun das Ziel dieser Reform sein? Dies läßt sich kurz zusammenfassen: Es muß die Auswahl der Forschenden und Lehrenden streng nach Sachgesichtspunkten erfolgen. Dann aber muß ihre Position arbeits- und einkommensmäßig so gestaltet sein, daß sie gegen die Versuchung, anderswo unter günstigeren Bedingungen zu arbeiten, gefeit sind. Besonders auf dem Gebiet der Naturwissenschaften ist die Abwanderung in die großen Forschungslaboratorien der ausländischen Industrieunternehmungen mit Recht beklagt worden.

Vergleicht man diese Postulate mit den Reiformplänen, soweit sie bekannt geworden sind, so ist dieser Vergleich nicht sehr ermutigend. Hier muß vor allem des Diskussionsentwurfes für ein Universitätsorga-nisationsgesetz gedacht werden. Der Kritik, die dieses Elaborat in der Stellungnahme der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, die im Druck vorliegt, erfahren hat, sowie den Empfehlungen zur Hochschulstrukturreform der österreichischen Rektorenkonferenz ist wenig hinzuzufügen. Zu unterstreichen sind nur einige Gesichtspunkte: Dem Lippenbekenntnis zur Entlastung der Professoren von administrativer Arbeit stehen zahlreiche Bestimmungen gegenüber, die das genaue Gegenteil zum Inhalt haben. Man denke nur an die Schaffung neuer Kollegialorgane, die erfahrungsgemäß viel Zeit kosten und an die unverständliche Zerschlagung der Hochschulen in eine Unzahl von Fakultäten, die eine ebenso große Zahl von akademischen Funktionären nötig machen, und eine Unmenge zusätzlicher Verwaltungsarbeit hervorrufen würden. Wirklich effizient kann aber Forschung und Lehrtätigkeit nur sein, wenn dem Forscher und Lehrer das Kostbarste, was er hat, die Zeit, wirklich für diese seine Aufgaben zur Verfügung steht. Bevor man an eine Neugestaltung der Hochschulorganisation herangeht, sollte man einige grundsätzliche Fragen klarstellen: Fehlentscheidungen auf dem Gebiet der Wissenschaftspolitik machen sich nämlich vielleicht nicht so unmittelbar und so rasch fühlbar wie etwa auf ökonomischem Gebiet. Ihre Folgen können aber trotzdem nicht minder verheerend und für Generationen belastend sein.

Seit mehr als hundert Jahren ist in unserer Verfassung der Grundsatz der Freiheit der Wissenschaft und Lehre verankert (Art. 17 des Staatsgrundgesetzes von 1867). Es ist kein Zufall, daß gerade in diesen hundert Jahren die Wissenschaft geblüht hat wie nie zuvor. Müssen wir unsere Wissenschaft als eine Lebensfrage der Menschheit ansehen, dann darf gerade an dieses Palladium nicht gerührt werden. Wenn der erwähnte Diskussionsentwurf einen Sinn der „Forschungsbefugnis“ zu formulieren sich nicht entblödet, so ist das ebenso ein Menetekel, wie wenn nach einem Durchführungsgesetz zu Art. 17 StGG gerufen wird. Was und wie ein Hochschullehrer forscht, dafür trägt nur er allein eine unter Umständen sehr, sehr schwere Verantwortung. Kein Minister, keine Fakultät und keine Kommission, aber auch kein Studentenvertreter hat ihm hier irgend etwas dreinzureden. Jeder Versuch, den Art. 17 des Staatsgrundgesetzes von 1867 zu manipulieren, wäre verfassungswidrig, aber auch sonst jedenfalls von Übel.

Die Hochschulverwaltung ist grundsätzlich Aufgabe von Verwaltungsbeamten, nicht aber von Professoren oder Studenten, Auch sie ist nach der Bundesverfassung auf Grund der Gesetze zu führen und das erfordert geschulte, rechtskundige Verwaltungsbeamte. Wollten Professoren oder Studenten diese Verwaltungsfunktionen übernehmen, so müßten die einen aufhören, zu forschen und zu lehren, die anderen aufhören, zu studieren und hätten damit die Hochschule ad absurdum geführt. Große und noch dazu heterogen zusammengesetzte Kollegialorgane sind zur Verwaltung von vornherein unfähig und die Hochschulautonomie ist nur dann heilsam und sinnvoll, wenn sie die Freiheit von Forschung und Lehre fördert, nicht aber wenn sie sie in der Verwaltung erstickt.

Die Mitwirkung der Studenten an der akademischen Willensbildung ist berechtigt und zu begrüßen, so weit es sich um echte studentische Probleme der organisatorischen Gestaltung des Studien- und Prüfungsbetriebes handelt. Hier hat sich die Form der „Kontaktkomitees“ und „Studienkommissionen“ im allgemeinen bewährt. Die studentische Mitbestimmung in der Bundesrepublik hat keine ermutigenden Ergebnisse gezeitigt, und zwar deshalb, weil sie funktionell überspannt wurde. Hochschulen, die die Drittelparität eingeführt haben, sind vielfach in eine schwere Krise gekommen, und wenn man einem Kenner der Situation wie Ernst Topitsch glauben will, sind manche davon bereits ruiniert. Bei uns liegen die Verhältnisse Gott sei Dank erheblich anders. Unsere Studentenvertreter sind, soweit ich dies überblicken kann, bisher nur legitim für Verbesserungen und Reformen eingetreten. Es ist mir nicht bekannt, daß sich nennenswerte Ansätze zum Umsturz der freiheitlichen Gesellschaftsordnung gezeigt hätten, wie dies an den deutschen Universitäten deutlich der Fall ist. Schafft man nun aber gesetzliche Möglichkeiten, die einer relativ sehr kleinen Gruppe eine „Machtergreifung“ auf akademischem Boden ermöglichen, so darf man sich nicht wundern, wenn diese Möglichkeit eines Tages ergriffen wird. Bei dem völligen hochschulpolitischen Desinteressement eines senr nonen rrozenisaizes aer nocn-schülerschaft ist es für kleine radikale Gruppen eine Leichtigkeit, in die führenden Positionen studentischer Vertretungskörper zu gelangen, und dann können auch wir eines Tages vor der Situation stehen, in der sich schon heute zahlreiche Universitäten des Auslands befinden, und die die Rektorenkonferenz mit Recht folgendermaßen charakterisiert: „Diese Zerstörung (nämlich der Voraussetzungen für freie wissenschaftliche Forschung und Lehre) würde von nicht mehrheitlich angenommenen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen aus erfolgen, die sich des Begriffes der Demokratisierung bedienen, um in Wahrheit mit den Hochschulen auch die Grundlagen einer freien demokratischen Gesellschaft umzustürzen.“ Diese Konsequenzen sollte man sich überlegen, bevor man sich, geführt oder verführt vom Klang populärer Schlagworte, auf den bequemen Weg des geringsten Widerstands begibt, der unausweichlich in den Abgrund führt.

„Privilegienabbau“ — „Demokratisierung“

Ein weiteres Instrument der Hochschulpolitik ist der Entwurf eines bestimmungen über die Versetzunj und den Eintritt in den dauerndei Ruhestand von Hochschulprofes soren getroffen werden“. Zwe rechtspolitische Ziele werden mi diesem Entwurf vor allem verfolgt Einmal die Ersetzung der bisher exi stierenden Emeritierung der Hoch schullehrer durch die Pensionierun; und zum anderen die Herabsetzung der Altersgrenze auf 65 Jahre.

Wie man hprt, und hoffentlich sint die diesbezüglichen Nachrichtet richtig, besteht allerdings die Absicht, den ersten Punkt zumindest ir der ursprünglich vorgelegten Fassung fallenzulassen. Der wesentlich Inhalt der diesbezüglichen Bestimmungen bestand ja auch in der Ta nur darin, jedem einzelnen Hochschullehrer einen finanziellen Schaden in der Höhe eines stattlicher Betrages zuzufügen. Schon jetzt verlieren viele Hochschullehrer bein Ausscheiden aus der Aktivität durcl den Wegfall der zu ihrem Diensteinkommen gehörenden Kollegiengeld-und Prüfungsvergütungen mehr al: die 20 Prozent der Aktivitätsbezüge die in der Verwaltung den Unterschied zwischen Aktivbezug unc Pension ausmachen. Nun sollen al: „Privilegienabbau“ noch weiter! 16 Prozent gestrichen werden. Di Logik ist erstaunlich. Auch dem angeblich erstrebten Fortschritt dei Wissenschaft dient man schwerfiel dadurch, daß man gegen ihre Trägei einen schweren finanziellen Schlag führt. Man stelle sich vor, daß eir privater Dienstgeber Dienstnehme] zu bestimmten Bedingungen einstellt, und dann, nachdem sie untei diesen Bedingungen gearbeite' haben, die Vereinbarung einseitig zi ihrem Nachteil ändert. Die Reaktior der Gewerkschaft wäre mit Recht sehr energisch.

Der Gesetzgeber kann leider auch über wohl erworbene Rechte hinweggehen; er sollte aber doch von seiner eigenen Stellung in der sozialen Ordnung eine zu hohe Meinung haben, um Maßnahmen zu setzen, die, gingen sie nicht von ihm aus, nur als unmoralisch, ja als betrügerisch, bezeichnet werden könnten.

Die offizielle Begründung dieses Vorgehens lag im „Privilegienabbau“ und in der „Demokratisierung“.

Diese Begriffe gehen von dem richtigen Gedanken aus, daß es unzulässig sei, Gleiches ungleich oder Ungleiches gleich zu behandeln. Bei diesem Versuch der Gleichsetzung wird offenbar davon ausgegangen, daß die Verhältnisse bei den Beamten der allgemeinen Verwaltung und den Hochschullehrern grundsätzlich gleich wären, und daher eine verschiedene Behandlung beider Gruppen in dienstrechtlicher Hinsicht nicht gerechtfertigt wäre.

Die Strukturelemente beider Lebensbereiche sind aber so grundverschieden, daß das, was für den einen Bereich richtig ist, nicht auch für den anderen anwendbar sein muß. Die Aufgabe des Verwaltungsbeamten ist es im wesentlichen, aktuelle Entvorzubereiten, während es die Aufgabe des Hochschullehrers ist, wissenschaftliche Erkenntnisse zu fördern, was eine sich oft auf lange Zeiträume erstreckende, möglichst durch äußere Einflüsse ungestörte Gedankenarbeit erfordert.

Die Emeritierung ergibt sich sinnvoll aus der Struktur der wissenschaftlichen Tätigkeit und in ihr ein Privileg sehen zu wollen, verkennt die Sachlage gröblich. Die Emeritierung wurde in der heutigen Form erst vor etwa anderthalb Jahrzehnten durch einstimmigen Beschluß aller auch heute im Nationalrat vertretenen Parteien, zum Teil also von denselben Abgeordneten, die heute noch tätig sind, gesetzlich festgelegt, eben weil der Hochschullehrer einen sehr wesentlichen Teil seiner Berufsarbeit bis zum Lebensende fortsetzt (vgl. die Erl. Bern. z. Regierungsvorlage 629, VII. GP.).

An der Herabsetzung der Altersgrenze auf 65 Jahre beabsichtigt man aber anscheinend festzuhalten. Daß es mit Rücksicht auf die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten sinnvoller wäre, die Altersgrenze auch in der Verwaltung und beim Richterstand generell anzuheben, wurde vor kurzem in dieser Zeitschrift überzeugend dargelegt.

Verschlechterungen

Aus den eben angeführten Gründen gilt dies für das Hochschulwesen noch viel mehr. Es mag allerdings Fächer vor allem in der Naturwissenschaft geben, in denen es vielleicht für einen älteren Hochschullehrer nicht mehr ganz leicht ist, in allen Zweigen seines Faches völlig auf dem Laufenden zu bleiben, während ihm das auf seinem Spezialgebiet durchaus möglich ist. In anderen, insbesondere sprachlichen und historischen Fächern kann auch in der Lehre das höhere und hohe Alter ein großer Vorteil sein. Es wäre daher etwa an die Möglichkeit zu denken, mit Erreichung des 65. Lebensjahres dem Hochschullehrer die Wahl zu stellen, ob er weiterhin auch seine volle Lehrtätigkeit ausüben oder die Umwandlung seines Lehrstuhles in eine reine Forschungsprofessur verlangen will.

Als wesentliches sachliches Argument gegen die relativ lange Aktivität der Hochschulprofessoren wird vielfach ins Treffen geführt, daß dadurch die junge Generation zu langsam und zu spät zum Zuge käme. Wenn man jedoch bedenkt, wie sehr der Zustrom von Bildungsbeflissenen an die Hochschule in den letzten Jahren zugenommen hat, und nach den Prognosen weiterhin zunehmen wird, so ist bestimmt nicht zu befürchten, daß irgendeine tüchtige Kraft der jüngeren Generation nicht rechtzeitig zum Zuge käme. Würde man nicht immer noch die Augen vor der Tatsache verschließen, daß ein Kernpunkt jeder Hochschulreform darin besteht, die Studenten wirklich durch die Universität auszubilden und dafür die Anzahl der Lehrenden und Lernenden in ein angemessenes Verhältnis zu bringen, dann wäre auf Jahrzehnte hinaus kein Mangel an Posten für geeignete Nachwuchskräfte.

Für die geplante Maßnahme kann also nur ein Gesichtspunkt sprechen, nämlich der Wunsch, den gesellschaftspolitischen Prozeß der Generationsablöse zu beschleunigen. Ob dies im Dienst der Wissenschaft und Forschung steht, ist wohl zu bezwei-

Daa große Fragezeichen in der Hochschulpolitik sind die sogenannten „flankierenden Maßnahmen“, von denen man noch nicht viel, aber doch genug weiß, um auch hier zur Vorsicht zu raten. Die Einleitung zum eingangs erwähnten „Diskussionsentwurf“ nennt neben der schon erwähnten Forderung nach Erlassung eines Durchführungsgesetzes zu Art. 17 des Staatsgrundgesetzes an zweiter Stelle die gesetzliche Neuregelung der Gutachtertätigkeit und anderer Nebentätigkeiten der Professoren oder sonstigen wissenschaftlichen Personals. Auch hier kann nur eine Einschränkung der bisherigen Tätigkeit gemeint sein. Was die Gutachtertätigkeit anlangt, so ist sie nichts anderes als ein Teil der Forschung, denn gerade die in der Praxis aller Sparten auftretenden konkreten Fragen, die Anlaß zu einem Gutachten geben, sind vielfach für den Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung von größter Bedeutung.

Was die „anderen Nebentätigkeiten“ der Professoren sind, so ist darüber nichts ausgesagt. Wenn darunter Vorträge oder Vorlesungsreihen, insbesondere im Ausland, wie sie durch Kulturabkommen staatlicher-seits ja gefördert werden, gemeint sind, darf darauf hingewiesen werden, daß gerade diese Tätigkeit für die kulturelle Präsenz Österreichs im Ausland von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung ist. Auch die Teilnahme an in- und ausländischen Fachkongressen, ohne deren Besuch es unmöglich ist, in Forschung und Lehre auf dem Laufenden zu bleiben, sollte gefördert und nicht restringiert werden. Auch

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