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Ein Schlußpunkt

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In der Vergangenheit schienen Militärputsche mit Lateinamerikas politischer Kultur identisch. Können die jungen Demokratien den Zyklus der Gewalt unterbrechen?

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In der Vergangenheit schienen Militärputsche mit Lateinamerikas politischer Kultur identisch. Können die jungen Demokratien den Zyklus der Gewalt unterbrechen?

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Argentiniens Jacobo Timer-man, bestbekannter Zeuge — und Opfer — der nicht endenden Auseinandersetzung zwischen Zivilisten und Offizieren auf dem Subkontinent, befürchtet neue Tragödien, sofern die Uniformträger nicht jetzt endgültig in die Schranken gewiesen werden.

Aber vielleicht ist der beste Moment dafür auch schon vorbei. Immerhin, für Jacobo Timerman wurde Wirklichkeit, was er seinerzeit im Gefängnis nie zu hoffen gewagt hätte: die Bestrafung sei-

ner Folterer! Timerman, ein Argentinier mit Wurzeln im osteuropäischen Judentum, edierte in den frühen siebziger Jahren „La Opinion“, die damals als beste Tageszeitung der Dritten Welt galt und als „Lateinamerikas Le Monde“ angesprochen wurde.

1977 ließ General Ramon Camps, damals militärischer Polizeichef von Buenos Aires, den Herausgeber Timerman verhaften, foltern, erpressen, isolieren.

Jacobo Timerman überlebte wahrscheinlich nur deshalb, weil General Camps in ihm einen Kronzeugen für ein angeblich jüdisch-kommunistisches , Komplott sah. Dank Präsident Jimmy Carters Menschenrechtspolitik kam Timerman 1980 frei und schrieb ein Buch über seine Leiden in den militärischen Folterkammern.

„Prisoner without a name, cell without a number“ wurde ein Bestseller. Timerman, der mit Raul Alfonsins Regierungsantritt aus Israel nach Argentinien zurückkehrte (wo er heute wieder als Journalist arbeitet), bekam knapp vor Weihnachten 1986 sogar die Genugtuung, als - nunmehr echter — Kronzeuge im Prozeß gegen General Camps und fünf Mittäter aufzutreten. Gene-

ral Camps erhielt lebenslänglich.

Heute, ein paar Wochen später, gehört dies fast schon der Geschichte an. Argentiniens Präsident Raul Alfonsin, besorgt um die Zukunft seiner Zivilregierung, gab den vergrämten Offizieren nach und setzte den „punto final“, den Schlußpunkt.

Kurz vorher hatte Uruguays Kongreß trotz oppositioneller Proteste ein weihnachtliches Amnestiegesetz für Uniformträger erlassen. Und in Brasilien, wo die Militärtechnokraten 21 Jahre lang schalten und walten konnten, wird erst gar nicht angeklagt.

Da nützen jetzt auch nichts einzelne Gegenmaßnahmen, seien es in Argentinien die „Mütter von der Plaza del Mayo“, die immer noch nach vielen der fast neuntausend „Verschwundenen“ aus den Jahren 1976 bis 1982 nachgehen, seien es Menschenrechtsorganisationen, seien es Privatkläger.

Lateinamerikas militärischer „retorno“, die Rückkehr der Uniformträger in die Kasernen, läuft damit ähnlich flexibel wie zu früheren Gelegenheiten. Diese Pen-

delbewegung zwischen Militärs und Zivilisten lebt ja von der Straffreiheit für die Uniformträger.

Der „retorno“ in Brasilien, Peru, Ecuador, Uruguay und Guatemala war auch nur möglich geworden, weil die Militärs mit den oppositionellen Zivilpolitikern die Ubergabe der Regierungsgewalt richtiggehend als Gentleman-Pakt ausgehandelt hatten.

Brasiliens Offiziere etwa verstehen sich keineswegs als gedemütigte Rechtsbrecher, sondern als Patrioten, deren Staatsstreich 1964, welcher die 'berüchtigte „konservative Revolution“ einleitete, als „historische Tatsache“ zu gelten hat.

Lateinamerikas Debatte über die Offiziere ist vielschichtig, weil die Uniformträger auf dem Subkontinent mehr als bloße Soldaten sind. Vor allem sind sie Geopo-litiker und Wirtschaftsmanager, die in den Staatsbetrieben oft Schlüsselstellungen einnehmen und im technologischen Bereich mitbestimmen.

Außerdem hält sie ihre starke Bindung an die Vereinigten Staa-

ten außerhalb der zivilen Kritik.

Letztlich sind sie auch keine Soldaten im klassischen europäischen Sinn, weil kein direkter Angreifer in Sicht ist; vielmehr verstehen sie sich als verläßliche Verbündete Washingtons in der globalen Schlacht gegen die „kommunistische Subversion“, die jedes Mittel billigt.

Bisher hat es noch keine Zivilregierung fertiggebracht, den Offizieren eine neue Rolle zuzuweisen. Solche Versuche sind auch höchst prekär, weil in der alternativen nationalistischen Rhetorik sofort der „Imperialismus“ (also die USA und die Industriestaaten) als eigentlicher Gegner auftaucht.

So muß bereits positiv vermerkt werden, daß unter der Koordination des gescheiten peruanischen Außenministers Allan Wagner eine Debatte in Gang kommt, um wenigstens in Südamerika eine regionale Friedenspolitik einzuleiten und die verderbliche „Doktrin der nationalen Sicherheit“ durch eine „Doktrin der demokratischen Sicherheit“ zu ersetzen versuchen.

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