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„Ein Schock über die Sexualität“

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Verdacht, seiner Ernennung zum Professor stünden „konfessionelle Rücksichten“ im Wege, ging in die Irre. Von den kurz darauf (21. Mai 1898) mit dem Titel eines a. o. Professors ausgezeichneten sechs Privatdozenten der Wiener medizinischen Fakultät waren drei jüdischer Herkunft. Sicher war es für Freud schmerzlich, daß der um acht Jahre jüngere engere Fachkollege (Neuropathologie) Lothar Frankl damals den Titel um vier Jahre früher bekam als Freud; das aber hatte mit Antisemitismus ebensowenig zu tun wie die Tatsache, daß die Karriere Freuds im Schatten der des späteren Nobelpreisträgers Wagner-Jauregg stand.

Ihr Widerspruch zu meinen Feststellungen über den „herrschenden Zeitgeist“ der achtziger und neunziger Jahre ist zugleich Widerspruch zu dem, was Stefan Zweig darüber schrieb. Ich habe Zweig und andere Autoren, so insbesondere Friedrich Heer, nur mit großer Zurückhaltung zitiert, um die damals in der öffentlichen Meinung und im geistigen Klima hervortretende Dominanz des Wiener Judentums zu erläutern. Diese aber für eine Zeit abstreiten

Kem meiner Aussage ist nicht, wie Sie es meinen, eine Behauptung, wonach „an der feindseligen Haltung gegen Freud der Antisemitismus keinen Anteil hat“, sondern der Satz: nicht der Antisemitismus ist Freud letzten Endes im Wege gestanden, sondern die Schockwirkung, die von seinen Ideen und Schriften über Sexualität ausgegangen ‘ ist. Damit zitiere ich, was die neuere Forschung, insbesondere das einschlägige Referat auf dem 27. Psychoanalytischen Kongreß in Wien 1971 feststellt. Auf die Tatsache, daß es Freuds Fachkollegen jüdischer Herkunft waren, die die ersten, entschiedensten und unversöhnlichsten Gegner seiner Lehre wurden, ging ich erst gar nicht ein. Ich erinnere an Wilhelm Fliess, der bereits 1902 mit Freud brach, an Alfred Adler (1911) und vor allem an Gustav Aschaffenburg, der 1907 auf dem Neurologenkongreß in Baden-Baden sagte, Freuds Methode sei in den meisten Fällen falsch, in vielen Fällen nicht einwandfrei und in allen überflüssig. Die Liste ließe sich bis dato fortsetzen.

Der um 1897 von Freud verlautete

-te» ish eit» fen« s -l letzterer ein „Schußgeld“ pro Kopf für den Abschuß der Juden fordert; am 9. November 1893 macht der Gemeinderat Anton Jedlicka in einer Versammlung in Wien den Vorschlag, man möge die österreichischen Juden in Sonderzügen nach Triest verfrachten, unterwegs aber schon den größeren Teil von ihnen aufhängen und den Rest dann im Adriatischen Meer ersäufen; ähnliche Anpöbelungen sind in den öffentlichen Vertretungskörperschaften unter dem Schutze der Immunität an der Tagesordnung: Am 5. Februar 1895 stellt Abg. Schneider im niederösterreichischen Landtag die Frage: „Warum soll dieses Volk, dieses gottverfluchte Gesindel, nicht vom Erdboden ausgerottet werden?" ohne daß sich eine einzige liberale Stimme zur Verteidigung der Juden erhebt; ab 1895/96 (1896 spricht Freud erstmals öffentlich von der sexuellen Ätiologie der Hysterie) herrscht die Partei dieser Leute in Freuds Heimatstadt Wien; im Juli 1896 beantragt der Abgeordnete Gregorig (Wahlrechtsänderungsdebatte im niederösterreichischen Landtag), die Juden sollten völlig vom Wahlrecht ausgeschlossen werden, und sagt in der Begründung unter anderem: „Die Juden haben eine Frechheit über alle Grenzen.

Der Jude ist gemeingefährlich. Es gibt gegen die Übergriffe der Juden nichts anderes, als die Konfiskation der Judengüter, und bis dies gesetzlich erreichbar ist, gebührt diesen überfrechen Individuen nichts als die Hundepeitsche.“

Das sind Aspekte des „herschen- den Zeitgeistes“ aus einer anderen Perspektive. Fügt man Freuds weiter oben zitierte Überzeugung hinzu, daß es „konfessionelle Rücksichten“ seien, die seiner Karriere im Wege stünden, so muß man doch zugestehen, daß „die Akteure in der Anti-Freud-Saga, wie sie Friedrich Heer aufzuspüren pflegt“, nicht völlig zu ignorieren sind. schaftlichen Bewegung zum Tragen kam (angefangen mit dem Slowaken Jan Kollar, Teilnehmer am Wartburgfest 1817), stieß nicht erst nach 1860 ein Teil der jüdischen Intelligenz in der deutschnationalen, vor allem der burschenschaftlichen Bewegung zum Nationalismus; und nahm von dort, bewußt oder unbewußt, nicht wenig mit in die neuaufkommende nationale Bewegung des Judentums. Die Geschichte der Beziehungen des Judentums zur deutschen Burschenschaft ist leider ebensowenig geschrieben wie jene des nachherigen Wandervogel. Der 21jährige Theodor Herzl beteiligte zu wollen, in der Franz Joseph die ersten jüdischen Minister auf die Thora vereidigte, die Zahl der Lehrkanzelvorstände, so auch an der juridischen Fakultät, im Steigen war und die Liste von Beispielen ähnlicher Art beliebig fortzusetzen wäre, wird wohl schwer halten.

Der Bruch, den Schönerer Mitte der achtziger Jahre mit seinen bisherigen antiklerikalen, jüdischen Gesinnungsgenossen vollzog, machte den „Rassengedanken“ nicht gleich ausschließlich beherrschend. Es dauerte vielmehr noch lange Jahre, bis sich Schönerers Ansicht in den vielen nationalen Vereinen und Verbindungen durchsetzte, die an sich eine Minderheit repräsentierten. Erst 1898, in der Zeit, als auch die Parole „Los von Rom“ aufkam, wurde im Dachverband, im Deutschen Schulverein, Schönerers Ansicht vollends maßgebend und die erste „rein arische“ Ortsgruppe gegründet.

So wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die nationale Idee unter den Slawen in vielen Fällen nach Berührungen mit der burschen-

Sich Jedenfalls im WS 1881/82 nicht an der in Gründung begriffenen Kadimah; er ging zur Burschenschaft Albia, die seit 1879 mit der Teutonia im Kartell war, und (zum Unterschied von anderen nationalen Bünden) bereits frühzeitig einen radikalen, nationalen, antiösterreichischen und antikatholischen Kurs verfocht. Nachher erging es Herzl wie vielen anderen: Nicht er brach mit dem nationalen Geist. Vielmehr wollte die Mehrheit auf dem Konvent der Burschenschaft dem Juden Herzl an diesem Geist nicht länger Anteil gewähren.

Der christlich-sozialen Volksbewegung der achtziger und neunziger Jahre die Rolle eines geradezu herrschenden Zeitgeistes zuschreiben zu wollen, wäre sicher verfehlt. Ich zitiere, was Otto Bauer über die damalige Bewegung im Juniheft 1911 der wissenschaftlichen sozialdemokratische Monatsschrift „Der Kampf“ schrieb: „Sie hat mit ihrer leidenschaftlichen Anklage zum erstenmal große Massen in das politische Leben geführt, an dem vorher nur eine schmale Schicht vornehmer Edelleute, reicher Bürger, ehrgeiziger Doktoren teilgenommen hat. Sie hat den volksfremden Liberalismus gestürzt, den Glauben an den Kapitalismus erschüttert, die großen sozialen Probleme auf die Tagesordnung gestellt. Das ist ihr bleibendes Verdienst.“

Daraus aber mußte sich, so fahre ich fort, eine ganz bestimmte Situation des Konflikts mit den Mächten jenes Bündnisses ergeben, zu dem sich in der Ära des politischen Liberalismus Besitz und Bildung zusammentaten. Und auf diesen Zeitgeist reflektierte ich in erster Linie.

Es würde mich freuen, wenn ich betreffs der christlich-sozialen Volksbewegung, über die ich nach meinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst und aus der Politik publizieren werde, das Gespräch fortsetzen könnte. Ich glaube nämlich, daß die von Friedrich Heer herrührenden Schatten, die neuerdings über dieser Bewegung liegen, zum Teil Fehlkonstruktionen sind.

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