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EIN SCHRITT VOR, ZWEI ZURÜCK

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Nach zwei Jahren politischer Turbulenzen haben jetzt viele afrikanische Länder demokratisch gewählte Regierungen oder Übergangsregimes. Manche treten noch am alten Stand -zum Beispiel Zaire. Aber wie lange noch? Afrika geht seinen Weg zu einem Mehrparteiensystem, mit all seinen Fehlformen; was man ja verstehen kann bei Menschen, die 30 Jahre ohne Freiheit waren.

Eine lustige Legende besagt, daß die franko-afrikanische Konferenz in La Baule in Frankreich im Juni 1990 Afrika ins Mehrparteiensystem geschubst hat. Aber das ist falsch. Die Chronologie spricht eine andere Sprache. Frankreich hat nämlich die demokratischen Forderungen erst sehr spät verstanden, jahrelang hat es diese in Afrika unterdrückt. Die Ereignisse in Benin, Gabun, Cöte dT-voire, Kamerun, Niger, Zaire (später dann in Mali und im Kongo, auf Madagaskar und in Togo) waren schon ein Signal zur Demokratisierung in Afrika. Die Ansprache Präsident Mitterrands in La Baule hat bloß den Zug in Gang gesetzt.

Den Aufstand der Mittelschicht und der Jugend in den Städten hat man nicht heraufkommen sehen. Denn Frankreich, sonst darin nicht zimperlich, hatte keine Strategie zur Restauration autoritärer Regime mehr parat. Nur Frankreichs ältere Klienten - wie F61ix Houphouet-Bogny von Cöte dTvoire - haben das besorgt. Frankreich unterstützte immer diese korrupten und blutigen afrikanischen Diktaturen. Heute ist die ehemalige Kolonialmacht daran, die korrupten Elite-Politiker von der Macht zu entfernen - nicht gestört werden sollen dadurch aber ältere Kolonialpräferenzen und der Beitrag Afrikas zum französischen Kapital, ohne den Frankreich die internationale Wirtschaftskonkurrenz nicht hätte bestehen können.

Also: heute fordert Frankreich das Mehrparteiensystem für Afrika, führt sich geradezu als Champion der Demokratisierung auf diesem Kontinent - besonders in den frankophonen Ländern - auf. Dabei verhielt sich die westliche Welt der Demokratiebewegung in Afrika gegenüber äußerst indifferent, wiewohl man diese in Lateinamerika, China oder in Osteuropa unterstützte. Trotz allem kann man sagen, daß Afrika große Schritte in Richtung freier Meinungsäußerung und Demonstrationsrecht gemacht hat. Die langjährigen unterdrückerischen Doktrinen sind gefallen, jetzt fühlen sich alle von Demokratie und dem Respekt vor den Menschenrechten angehaucht.

Seit der Unabhängigkeit waren die vergangenen beiden Jähre für Afrika die wichtigsten im Leben dieses Kontinents Es gibt jetzt nur mehr zwei Staaten mit einem Einparteisystem: Malawi und Sudan. Sonst haben alle anderen Länder entweder ein Mehrparteisystem oder als Minimum die Zulassung von Interessengruppen und Lobbies im politischen Spektrum. Alle Regionen Afrikas stehen zur Zeit in demokratischer Ausbildung.

Das heißt konkret, daß man sich auf der Suche nach einer neuen Ordnung befindet. Ein Faktum ist jedenfalls, daß das panafrikanische Treffen in Dakar (Senegal) im Juni dieses Jahres zum ersten Mal in der Geschichte des Kontinents Oppositionsparteien und Parteien in Regierungsverantwortung zusammenbrachte, diesmal nicht, um zu kämpfen, sondern um in diesen Zeiten des Übergangs zu einem demokratischen System Erfahrungen auszutauschen. Es gibt nämlich verschiedene Interpretationsprobleme, was unter Demokratie und Mehrparteiensystem eigentlich zu verstehen sei. Nicht vergessen werden darf dabei, daß die neuen Führungen in der Opposition oder die neugewählten Politiker nicht selten für lange Zeit Repräsentanten der früheren Einparteisysteme waren - zum Beispiel Kongos Lisuba oder Zaires Chissekiri.

Die meisten dieser „neuen" Politiker haben mit der Vergangenheit gebrochen und mit neuen politischen Slogans die Massen in wichtigen Momenten verführt. Eine Gruppe benützt die Demokratie-Idee, um an die Macht zurückzukommen und ihre Ex-Kameraden zu entfernen. Andere, ehrlichere Politiker, die im früheren Einparteisystem - obwohl in der Opposition - überlebt haben, warnen vor den Gefahren für die Demokratisierung. Sie kann noch immer niedergeschlagen werden. Risiken sind die „nationalen" wirtschaftlichen Zustände, schlechtes Management, Dürre, Hunger, Massenverelendung - und Ungerechtigkeiten in den internationalen Handelsbeziehungen. Die Marginalisierungen von Massen auf dem Land und in den Städten könnten zu neuen Aufständen führen.

Der Radikalismus verschiedener Oppositionsgruppen und deren politische Ungeschicklichkeit nützte alten Regimen, die unter Hinweis auf herrschende Instabilität wieder an die Macht zu gelangen suchten. Wenn Demokratie die Wirtschaftslage Afrikas nicht verbessern kann, hat sie keine Chance aufs Überleben. Demokratie oder nicht - kein System kann Frieden, Harmonie und Stabilität sichern, wenn es seinen Bürgern nicht ein Minimum an materieller Sicherheit bieten kann.

Demokratische Revolution oder demokratische Illusion? Es gibt drei Szenarien für die Zukunft Afrikas.

Die Optimisten sagen, die freie Meinungsäußerung, ein wichtiger Bestandteil der Demokratie, würde zu weniger Korruption führen, zu besseren Formen der Entscheidung und zu besseren Regierungen. Die Pragmatiker meinen, daß vom neuen pluralistischen System nur die bereits existierende politische Elite profitiert, der Wechsel also faktisch nichts bringt. Die Pessimisten verweisen auf das ewige Leben von Korruption in Afrika und sind der Ansicht, daß alles in einem noch größeren Desaster enden wird, nur die Zyniker überleben können. Afrikanische Politiker würden immer nur ihre Interessen und die ihrer Klienten unterstützen. Die Massen würden also immer unter unwürdigen Bedingungen im Hunger und unter apokalyptischen Vorzeichen leben müssen.

Welches Szenario kommt der Realität am nächsten? Zweifellos wird sich der Demokratisierungsprozeß fortsetzen, es ist schwer vorzustellen; daß man wieder zu den alten Einparteisystemen der siebziger und achtziger Jahre zurückkehrt. Aber: Demokratie wird nicht automatisch wirtschaftliche Prosperität hervorrufen. In der Welt macht sich die Überzeugung breit, Afrika soll versuchen, selbst seine probleme zu lösen. Wenn man sieht, wieviel Manipulation und Demütigungen es im Laufe der Jahrzehnte für den Schwarzen Kontinent schon gegeben hat, dann könnte das für diesen Moment eine gute Sache sein.

Aber: Demokratie entsteht nicht aus der Handbewegung eines Zauberers, ist auch keine Abendgalaveranstaltung. Die Leute, die für Demokratie gekämpft haben, hatten lyrische Illusionen. Sie gingen immer einen Schritt vor und zwei zurück. Der Rhythmus der Demokratisierung in Afrika ist ungleichmäßig. Herzschrittmacher werden nicht angeboten.

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