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Ein schwieriger Verständigungsprozeß

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Als im September 1984 die staatlichen und kirchlichen Behörden Polens ihre Zustimmung gaben, im Gebäude des Alten Theaters an den Mauern des Konzentrationslagers Auschwitz ein Karmeliterinnenkloster zu errichten, hätte niemand gedacht, daß diese Entscheidung Ursache der ernstesten Krise in den gegenwärtigen jüdisch-christlichen Beziehungen werden könnte.

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Als im September 1984 die staatlichen und kirchlichen Behörden Polens ihre Zustimmung gaben, im Gebäude des Alten Theaters an den Mauern des Konzentrationslagers Auschwitz ein Karmeliterinnenkloster zu errichten, hätte niemand gedacht, daß diese Entscheidung Ursache der ernstesten Krise in den gegenwärtigen jüdisch-christlichen Beziehungen werden könnte.

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Im Mai 1985 ist in Zusammenhang mit der Pastoralreise Papst Johannes Pauls II. in die Niederlande, nach Belgien und Luxemburg die Ostpriesterhilfeorganisation „Kirche in Not" mit der Bitte an die Katholiken der genannten Länder herangetreten, für die Karmeliterinnen von Auschwitz zu spenden. Der Aufruf mit den Worten, „das Kloster wird eine geistige Festung sein, die die Bekehrung der irregehenden Brüder garantiert", hat jüdische Kreise in Westeuropa und in den USA alarmiert. Sie kritisierten, daß das katholische Kloster im ehemaligen Konzentrationslager der „Christianisierung von Auschwitz" dienen sollte und ein Ausdruck der Arroganz der Kirche den jüdischen Opfern des Holokausts gegenüber wäre.

Angesichts der gewaltigen Reaktion jüdischer Kreise sind Kardinäle aus Frankreich und Belgien, Jean-Marie Lustiger, Decourtray und Godfred Danneels initiativ geworden, um einen Dialog über die Zukunft des Karmels von Auschwitz zu beginnen. Unter Teilnahme von Kardinal Franc-ziszek Macharski aus Krakau ist es dann in den Jahren 1986 und 1987 in Genf zu Treffen und Gesprächen mit jüdischen Repräsentanten gekommen. In einem damals von allen Seiten unterzeichneten Abkommen hat man sich darauf verständigt, daß es auf

dem KZ-Gelände von Auschwitz und Birkenau „keinen Platz für den ständigen Kultus der katholischen Kirche geben wird". In der Nähe des Lagers sollte hingegen bis Februar 1989 ein Zentrum der Information, der Erziehung, der Begegnung und des Gebets entstehen, in dem auch die Karmeli-tinnen eine neue Heimstätte bekommen sollten. Dieser Termin ist jedoch katholischerseits nicht eingehalten worden. Die Ursachen lagen im Verwaltungswesen, in finanziellen Problemen, aber auch in der Abneigung der Karmelitinnen und des Großteils der polnischen Gesellschaft für diese Lösung.

Jerzy Turowicz, Chefredakteur der bedeutenden Krakauer Wochenzei-

tung „Tygodnik powszechny" und Teilnehmer an den Genfer Gesprächen, meint heute dazu: „Ich furchte, daß einen Teil der Verantwortung unsere kirchlichen Behörden tragen müssen, die niemals genügend klar und deutlich die Gesellschaft darüber informierten, warum die Juden die Verlegung des Klosters verlangten, warum man in dieser Frage einen Vertrag geschlossen hat und was diese Übereinkunft bedeutet, welche ihre Konsequenzen sind und daß die Erfüllung der übernommenen Verpflichtung im Interesse der Kirche liegt."

Die Bauarbeiten am Zentrum der Information, der Erziehung, der Begegnung und des Gebets sind erst im Februar 1990 begonnen worden. Die

katholische Kirche hat alle Kosten übernommen. Momentan sind einige Gebäude - darunter auch das neue Kloster - fertig .... und leer. Die Nonnen wohnen immer noch im Alten Theater (siehe Kasten) und weder die jüdische, nach Auschwitz kommende Jugend noch ihre polnischen Altersgenossen nehmen die Gelegenheit wahr, um im Zentrum das Gespräch zu pflegen.

Die Konsternation war umso größer, als auf katholischer Seite Unklarheit darüber herrschte, wer dafür zuständig ist, die Absiedlung der Nonnen aus dem Alten Theater zu veranlassen. Vom zuständigen Diö-zesanbischof Rakoczy, von den Oberen des Karmeliterinnenordens in Rom

und in Polen, von der vatikanischen Ordenskongregation kamen widersprüchliche Aussagen. Papst Johannes Paul II. hat alle Zweifel beseitigt. In einem Brief vom 9. April an die Karmelitinnen heißt es: „Dem Willen der Kirche gemäß sollt ihr jetzt an den anderen Ort in Auschwitz umziehen."

Ein anderer Teilnehmer an den Genfer Begegnungen, Pater Musial, hat diesen Wunsch folgendermaßen kommentiert: „Ich bedauere, daß die Frage des Karmels erst vom Papst persönlich gelöst werden mußte. Ich freue mich also nicht, daß jetzt die Schwestern mit Freude den Willen des Papstes angenommen haben. Dieser Wille ist ihnen schon früher von päpstlichen Gesandten dargestellt worden - und sie hatten damals den Gehorsam verweigert. Es kann sein, daß die Schwestern nun verstanden haben, daß jene, die sie darin bestärkten, im Alten Theater zu bleiben, keine gottgefälligen Berater waren und sie nur - pseudopatriotische und pseudoreligiöse Argumente nutzend - auf einen falschen Weg geführt haben."

Gibt es es jetzt also kein Problem mit dem Karmel von Auschwitz mehr? In gewissem Sinne ja. Der Brief des Papstes wird zur Folge haben, daß die Karmelitinnen das Alte Theater verlassen werden. Es bleibenjedoch Fragen, auf die es noch immer keine Antwort gibt. Was soll mit dem gewaltigen Kreuz geschehen, das die Schwestern auf ihrem Grund an jener Stelle errichtet haben, wo Nazis sowohl Juden als auch Polen ermordet haben? Wozu soll das von den Schwestern verlassene Gebäude künftig dienen? Kann die Mauer der Gleichgültigkeit dem neuerrichteten Begegnungszentrum gegenüber überwunden werden? Und die wichtigste Frage überhaupt: Hat die polnische Gesellschaft die für die Absiedlung der Nonnen aus dem Alten Theater vorgebrachten Argumente angenommen und verstanden?

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