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Ein Sheriff folgt dem Saubermann

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,, Versprechen Sie nicht heute das gleiche wie Jimmy Carter vor vier Jahren?" wurde Ronald W. Reagan im Oktober 1980 gefragt. Seine Antwort: „Ja, aber mit einem Unterschied-ich werde es auch halten!" In der Tat erinnert das Programm des 40. Präsidenten der USA stark an die Proklamationen seines Vorgängers. ..Der Unterschied" .schrieb mir dieser Tage ein amerikanischer Journalist aus Washington, „ist der: Carter war für uns ein Saubermann. Reagan sehen wir als Sheriff."

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,, Versprechen Sie nicht heute das gleiche wie Jimmy Carter vor vier Jahren?" wurde Ronald W. Reagan im Oktober 1980 gefragt. Seine Antwort: „Ja, aber mit einem Unterschied-ich werde es auch halten!" In der Tat erinnert das Programm des 40. Präsidenten der USA stark an die Proklamationen seines Vorgängers. ..Der Unterschied" .schrieb mir dieser Tage ein amerikanischer Journalist aus Washington, „ist der: Carter war für uns ein Saubermann. Reagan sehen wir als Sheriff."

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Politiker wie Journalisten neigen zum Opportunismus hart an der Gren­ze der Charakterlosigkeit. Vor dem 4. November 1980 war Ronald Wilson Reagan für die meisten von ihnen der Teufel vom Dienst. Seither ist er für gar nicht wenige zum Erlöser der westli­chen Menschheit aufgerückt.

Weder das eine noch das andere wird ihm gerecht. Früher ist er entschieden zuviel getadelt worden, heute wird er entschieden zuviel angehimmelt. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Ronald Reagan ist in mehrfacher Hinsicht ein durchschnittlicher Mensch mit allen Vorzügen und Nachteilen der Durch- schnittlichkeit.

Er hat nicht die messianische Selbst­überschätzung des Jimmy Carter, aber auch nicht die visionäre Kraft eines John Kennedy. Seine Inspiration be­zieht Reagan aus der Vergangenheit, als Amerika noch stark, erfolgreich, gottesfürchtig und unverfälscht kapita­listisch war.

Reagan wird nicht Tag und Nacht wie ein Besessener (oder wie Jimmy Carter) arbeiten, weil er keinem zu­traut, auch Details so gut wie er zu mei­stern; vielmehr wird er vermutlich wie seinerzeit als Gouverneur ein „9-bis-5- Uhr-Präsident“ sein, dafür aber mit Freunden den Abend strecken und spä­ter aufstehen.

Calvin Coolidge (Präsident zwischen 1923 und 1929) und Dwight („Ike“) Ei­senhower (1953-1961) sind seine Vor­bilder - weil in ihrer Amtszeit „sowenig passiert ist“: kein Krieg, keine Depres­sion, keine zweistellige Inflation, keine soziale Revolution (aber auch keine Imagination).

Am 6. Februar wird Reagan 70 Jahre alt. Er ist älter als irgendeiner seiner Vorgänger bei Amtsantritt. Der zweit­älteste war der 68jährige William H. Harrison, der sich bei der Inaugurati­onsfeier 1841 eine Lungenentzündung holte und einen Monat später starb,

Reagan ist robust. Sechs seiner Ärzte haben sich noch vor der Wahl einem Befragerteam (mit Arzt) der „New York Times“ gestellt und festgehalten: Sein Herz ist in Ordnung. Eine Pro­stata-Operation hat 1967 Beschwerden beseitigt. Gegen Heuschnupfen erhält er regelmäßige Allergiespritzen. Eine unheilbare Arthritis im rechten Dau­men schmerzt mäßig.

Er kann weder mit dem rechten noch mit dem linken Ohr eine Uhr ticken hö­ren. Seine eigene Erklärung: In seiner Schauspielerzeit habe einmal jemand eine Pistole zu nahe von seinem Kopf abgefeuert. Die Ärzte sprechen pro­saisch von „leichter Altersschwerhörig­keit“.

Ronald Reagan ist 182 cm groß und 83 Kilo schwer. Seine Mutter ist 80, sein Vater, ein irischer Hüne und „zeit­weiser“ Alkoholiker, nur 60 Jahre alt geworden. Dem neuen Präsidenten wird eine statistische Lebenserwartung von präzise achtzigeinhalb Jahren pro­phezeit.

1979 hat er für ein Bruttoeinkommen von 515.878 Dollar, das nach Abzug der Ermäßigungsposten (z.B. 8200 Dol­lar Steuerberaterhonorar) einem steuerpflichtigen Einkommen von 416.467 Dollar entsprach, 230.146 Dol­lar an Bundessteuern bezahlt.

Wenn man von Hannes Androsch bei Amtsantritt auch nur annähernd so ge­nau Bescheid gewußt hätte, wäre ihm und uns viel Ungemach erspart geblie­ben.

Dem kleinen Ronnie freilich blieb

Ungemach auch nicht erspart, während der Vater als Schuhmacher durch die Dörfer des weltfernen Mittelwest­staates Illinois zog und die Kindererzie­hung der Mutter überließ, die sie teil­weise wieder an die (sektiererische) Christliche Kirche weitergab. (Nur Ro­nalds ältester Bruder Moon nahm spä­ter wieder den katholischen Vaterglau­ben an.)

Fürs heiß geliebte Footballspielen war Ronnie zu schwach und zu kurz­sichtig; letzteres verbirgt er seit Jahren hinter Kontaktlinsen. Zwar überredete er seinen Bruder fast mit Gewalt zum Studieren, schloß seine eigenen Studien aber nie ab.

„Auch durch Ronalds tiefste Gedan­ken kann man noch sicher waten“, sagte einmal ein Parteifreund. Und ein anderer bemerkte, daß man „seinen Büchern ansieht, daß sie von einem In­nenarchitekten aufgestellt und gut ab­gestaubt sind.“

Aus der großen Collegeliebe wurden keine Hochzeitsglocken, weil Ronnie mehr an eine Showbusiness-Karriere als ans Heiraten dachte. Fünf Jahre lang war er ein erfolgreicher Radio­sprecher, bis er von Warner Brothers tatsächlich für Hollywood engagiert wurde, wo er zwischen seinem 27. und 54. Lebensjahr 54 Filme drehte.

Keiner war ein Kassenschlager. Für einen Oscar wurde Reagan nie nomi­niert. Aber er wurde sechsmal als Präsi­dent der Schauspielergewerkschaft ge­wählt, war bei seinen Kollegen beliebt und heiratete die auch nicht erfolgsver­wöhnte Schauspielerin Jane Wyman.

Sie gebar 1941 eine Tochter: Mau­reen wurde später gleichfalls Radioan­sagerin, Schauspielerin, ist zweimal ge­schieden, warb 1980 heftig für ihren Vater im Wahlkampf (obwohl sie eine Feministin ist) und erwägt derzeit ernsthaft eine Senatskandidatur für 1982.

1945 adoptierten die Reagans Mi­chael, der Rennbootfahrer wurde, heute Farmgeräte und Versicherungen verkauft, auch geschieden ist und nun ein Angebot als Radiokommentator hat.

Auch die erste Ehe Reagans ging auseinander, weil seine Frau den Schwenk ihres Gatten vom Showbusi­ness zur Politik nicht mitvollziehen konnte: RR ist der erste geschiedene Präsident der USA.

Vor 28 Jahren heiratete Reagan zum zweitenmal: Diese Ehe mit der heute 57 Jahre alten Nancy Davis, auch eine Schauspielerin, wurde zu einer sehr glücklichen Verbindung.

Er umgab seine Frau mit Reichtum und gesellschaftlichem Prestige, sie ihn mit Loyalität und häuslicher Wärme. Die für Nancy gebaute Rancho del Cielo („Himmelsranch“), 700 Meter über dem Pazifik, 180 Kilometer nord­westlich von Los Angeles, ist bis zum heutigen Tag das Tusculum der Rea­gans geblieben.

Nancy ist romantisch, aber auch ziel­strebig; politisch, aber ohne Amtsehr­geiz. Sie liebt Fräsien und elegante Kleider. An Kabinettssitzungen wird sie, zum Unterschied von Rosalynn Carter, nicht teilnehmen.

Nach ihrem ersten Höflichkeitsbe­such bei den Carters sagte man ihr nach, sie habe betont zu erkennen gege­ben, daß sie einmal schon vor dem Inaugurationstag die Koffer packen werde, „damit die Nachfolger rechtzei­tig einziehen können“. Carters waren pikiert.

Nancy gebar zwei Kinder: 1952 Pa­tricia („Patti“) und 1958 Ronald. Patti zog später aus der Uni aus und bei ei­nem Rocksänger ein, bekämpfte den Vietnamkrieg, die KeYnkraft und die Abtreibungsgegner, entfremdete sich zeitweilig der Familie, versuchte sich dann gleichfalls in Hollywood, ver­söhnte sich mit den Eltern und hat neuerdings nicht über einen Mangel an Vertragsangeboten zu klagen.

Ron jun. entschied sich für eine diszi­plinierte Tänzerlaufbahn und über­raschte im November seine Eltern an­genehm, als er seine um fünf Jahre äl­tere Partnerin heiratete.

Ronald Reagans einziges Enkelkind ist der zweijährige Cameron von Sohn Michael. Und Ronald Reagans einzige Selbstempfehlung für die Politik, derer es bedurfte, war 1964 eine fulminante Radiorede für den damaligen Präsi­dentschaftskandidaten Barry Goldwa­ter.

Seit damals identifiziert Ronald Rea­gan das „wahre Amerika“ mit Vater­landsliebe, Freiheit, Fleiß, Frömmig­keit und freier Wirtschaft, alles Schlechte aber mit Kollektivismus, Kommunismus und Korruption durch, zuviel Wohlfahrtsstaat.

Als republikanischer Gouverneurs­kandidat begrub er 1966 seinen demo­kratischen Rivalen Pat Brown, dem Vater des jetzigen Gouverneurs Jerry Brown, unter einer Stimmenlawine und baute vier Jahre später den Vorsprung noch einmal aus.

16 Minuten nach Mitternacht des er­sten Amtstags ließ er sich angeloben, um für die Schaffung der von ihm pro­klamierten „kreativen Gesellschaft“ keine Zeit zu verlieren. Nach achtjähri­ger Amtszeit mußten auch seine Geg­ner bestätigen: eine im großen und gan­zen gute, pragmatische, sinnvolle Poli­tik ohne einen größeren Korruptions­fall. Keine Sensationen, aber auch keine Enttäuschungen.

Guter Durchschnitt. In einer Zeit um sich greifender Unterdurchschnittlich- keit wäre das auch für eine Präsident­schaft gar nicht so übel. Vielleicht.

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