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Ein Slowene in Wien

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Seit Anfang Mai schon laufen in seiner Heimat die Gedenkfeiern für Ivan Cankar, der am 10. Mai 1876 in Vrhnika bei Ljubljana geboren worden ist. Und mit einer hochoffiziellen Gedenkstunde im vollbesetzten großen Saal des Palais Pälffy wurde des Dichters auch in Wien gedacht. Sie endete mit einem Cocktail, zu dem der persönlich erschienene Botschafter der S. F. S. Jugoslawien, Dipl.-Ing. Gustav Kreft, einlud, und sie war gemeinsam veranstaltet vom österreichischen PEN-Club und von der österreichischen Gesellschaft für Literatur. Außenminister Bielka war gekommen, die Abgeordneten Kara-sek und Mock, weitere österreichische und jugoslawische Honoratioren, darunter der Präsident des slowenischen PEN-Clubs.

Zunächst zu Ivan Cankar, der schon im Dezember 1918 gestorben ist und fast ein Drittel seines Lebens in Wien-Ottakring verbracht hat. Er war der erste Berufsschriftsteller slowenischer Sprache überhaupt und gilt als Begründer der modernen slowenischen Literatur. „Der Knecht Jernej und sein Recht“ (1907), ein Roman, gilt als sein Hauptwerk, liegt seit 1929 auch deutsch und im ganzen in 20 Sprachen vor, leider meistens unzulänglich übersetzt, was an der stilistischen Originalität des Autors liegen mag, die sehr schwer in ein fremdes Idiom zu übertragen ist.

Vom Anfang an war Ivan Cankar sozial engagiert, von Gogol, Tolstoi und später auch Dostojewskij stark beeinflußt, und lehnte die zeitgenössische Decadence inhaltlich als sinnlose SelbstbÄpiegelung ab. Formal nahm er sie aber sehr ernst, vor allem Baudelaire, und ging quer durch die verschiedensten Richtungen seinen literarischen Weg, der realistische, symbolistische, romantische, expressionistische und sogar surrealistische Markierungen aufweist. Die Prosa, das Drama und oft auch die Lyrik bei diesem Schriftsteller haben entlarvenden bis satirischen Charakter.

In Wien war Ivan Cankar schon 1907 Mitglied der sozialdemokratischen Partei und er erweist sich in vielen seiner Arbeiten als gesellschaftskritisch eingestellter Österreicher, der, aus einer armen Handwerkerfamilie kommend, sein Studium in Wien aus finanziellen Gründen nicht beenden konnte, für die Unterdrückten Partei nahm und die Unmoral der kleinbürgerlichen Moral gern aufs Korn nahm. Der Roman „Das Haus der barmherzigen Mutter Gottes“ (1904) behandelt das Hinsterben von dreizehn Kindern in einem Wiener Krankenhaus, und auch die vorgelesene Liebesgeschichte, eine selbstanklägerische Beichte, spielte in Ottakring. Es geht um das freudlose Dasein einer jungen, wahrscheinlich schwindsüchtigen Näherin und den als Ich-Erzähler fungierenden Untermieter der Familie. Das Mädchen mit geradezu magischer Gewalt von ihm angezogen, wird seine Geliebte und träumt in aller Stille von einer gemeinsamen Zukunft. Er nimmt das alles willensschwach hin, es reut ihn aber, denn er liebt sie gar nicht. Eines Tages zieht er aus, ganz brüsk, und läßt sie einfach sitzen. Das seelische Elend, das sich der materiellen Armut so leicht gesellt, wird dabei mit überzeugender Einfachheit gezeichnet.

Dann hielt Univ.-Prof. Dr. Bratko Kreft (Ljubljana) seine Gedenkrede über den ausgeprägten Gerechtigkeitssinn dieses Dichters, seine große Bedeutung für die slowenische Literatur und seine ganz selbstverständlich wirkende geistige Verbundenheit mit Österreich, dessen Staatsbürger er ja fast bis zum Tode war. Er starb fünf Wochen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Das führte den Vortragenden zu dem Hinweis, daß das Slowenische neben dem Deutschen in Kärnten schon vor Jahrhunderten eine Gegebenheit war. Er zitierte mittelhochdeutsche Verse des steirischen Minnesängers Ulrich von Lichtenstein, mit denen er von einer Tournee durch Kärnten berichtet, und darüber, daß er dort vom Landesherrn in slowenischer Sprache willkommen geheißen worden war. Und heute, fügte Professor Kreft bedauernd hinzu, wolle man nicht einmal die zweisprachigen Ortstafeln dulden. Dieser Bemerkung wurde im Saal spontan mit langem Applaus zugestimmt. Übrigens: Es waren auch gebürtige Kärntner im Saal.

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