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Ein „Sozialhilfeverein” und zwei „Altenschwestem”

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In Poysdorf, einer Gemeinde mit über 6000 Einwohnern im östlichen Weinviertel, wurde im Jänner vergangenen Jahres ein „Sozialhilfeverein” gegründet, der für die Altenbetreuung zuständig ist. Er beschäftigt gegenwärtig zwei „Altenschwestem”, die in einem täglich acht- bis zehnstündigen Dienst insgesamt elf Personen betreuen. Sie haben die einjährige „Fachschule für Altenhilfe” der Caritas in Wien besucht, also eine spezielle, die Bedürfnisse der Alten berücksichtigende Ausbildung genossen.

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In Poysdorf, einer Gemeinde mit über 6000 Einwohnern im östlichen Weinviertel, wurde im Jänner vergangenen Jahres ein „Sozialhilfeverein” gegründet, der für die Altenbetreuung zuständig ist. Er beschäftigt gegenwärtig zwei „Altenschwestem”, die in einem täglich acht- bis zehnstündigen Dienst insgesamt elf Personen betreuen. Sie haben die einjährige „Fachschule für Altenhilfe” der Caritas in Wien besucht, also eine spezielle, die Bedürfnisse der Alten berücksichtigende Ausbildung genossen.

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Mit der Gründung dieses Vereins, der zur Zeit etwas über 400 Mitglieder umfaßt, wurde ein vor allem in diesen Grenzgebieten äußerst dringliches Problem angesprochen. Die zunehmende Abwanderung der Jungen in die Stadt hat eine Situation geschaffen, die von Überalterung, Isolation und niederem Lebensstandard geprägt wird. Akut wurde das Problem, als vor drei Jahren die geistlichen Schwestern, die sich bislang um clie alte Bevölkerung gekümmert hatten, aus Altersgründen abgezogen wurden und sich ein Nachwuchs auch hier nicht finden ließ.

„Meine Tochter, mein Sohn, meine Nichte sind in Wien”, das ist die häu-

figste Antwort die man erhält, wenn man nach den Angehörigen fragt. Die Eltern, die Großeltern sind zurückgeblieben, um mit der niedrigen Pension eines Kleinbauern oder Gewerbetreibenden „halt irgendwie durchzukommen”.

Solange sie gesund sind und noch für sich sorgen können, geht das. Kritisch, in vielen Fällen hoffnungslos wird die Situation, wenn sie krank werden oder gebrechlich.

Die Versorgung in diesen oft abgelegenen Orten ist vielfach schwierig, das nächste Geschäft zu Fuß für einen alten Menschen schwer oder gar nicht zu erreichen. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel, keine ausreichende medizinische Versorgung.

Diese Leute bleiben dann auf die Hilfe der Nachbarn angewiesen, die auf dem Land immer noch besser funktioniert als in der Stadt Trotzdem beidrückt sie diese Abhängigkeit sie fühlen sich gedemütigt, schließen sich mehr und mehr ab, kapseln sich ein, nur um anderen keine Last zu sein. „Die Minderwertigkeitskomplexe dieser alten Menschen sind erschrek- kend” sagt Maria Loley, Initiatorin und Vorsitzende des Vereins. „Wenn sie nicht mehr gebraucht werden, wenn sie, nicht mehr dienen können, fühlen sie sich wertlos.” Eine Gesellschaft die sich in erster Linie am Leistungsprinzip orientiert, hat für sie keinen Platz.

Daß sich trotzdem immer wieder jemand findet, der hier Abhilfe schaffen möchte, zeigt das Beispiel Poys- dorf. „Sie glauben nicht, welches Echo unsere Aktivitäten hatten”, sagt Frau Loley. „Ich bin immer wieder angesprochen worden: daß Sie uns diese Schwester geschickt haben-dieist ein Engel ! Oder: die Schwester hat uns der Himmel g’schickt! Oder: jetzt müssen wir nicht mehr verzweifeln, jetzt sind wir nicht mehr ganz allein ! Die Leute lieben die Schwestern, da machen Sie sich keinen Begriff”.

Die Betreuung der Alten meint natürlich nicht nur Pflege. Dazu gehört alles vom Einkäufen, Kochen, Wäschewaschen bis zum einfühlsamen Gespräch. Letzteres bezeichnet Frau Loley als „wesentlichen Teil unserer Altenarbeit: dem eilten Menschen das Gefühl zu geben: er ist nicht allein”.

Wie viel menschliches Elend es bei diesen alten Leuten gibt und wieviel Ausdauer, Hingabe und Disziplin erforderlich sind, um dem beizukommen - das erfährt der Besucher, wenn er die Schwestern bei ihrem täglichen Visiten begleitet Es sind durchwegs Pflegefälle, die sie übernommen haben. Alte Leute, die von einem Pflegeheim wegen Überfüllung nicht aufgenommen werden, oder die zu Hause, in ihrer vertrauten Umgebung, bleiben möchten - und das oft um jeden Preis, selbst um den der Isolation und der schlechten Versorgung.

Da ist eine sechzigjährige Frau, krebskrank, halb gelähmt und seit zwei Jahren bettlägrig. Das vom Verein gestiftete Spitalbett steht am Fenster der niedrigen Stube, in der sich neben einer Küchenkredenz, einem Herd, einem Tisch, zwei Stühlen und einem Fernsehapparat wenig befindet. Da liegt sie den ganzen Tag und schaut auf die Straße der kleinen Ortschaft, auf der selten ein Mensch vorübergeht. Ihre Tochter, die einige Häuser weiter wohnt, verheiratet ist und zwei Kinder hat, pflegt sie, so gut sie es kann. Weil sie aber auch noch ihrem Mann bei der Landwirtschaft hilft, ist sie damit total überfordert.

Die Mutter, die sich nicht bewegen kann, lag oft Stunden in ihrem Schmutz, weil zur gegebenen Zeit niemand da war, um ihr zu helfen. Füße und Gesäß waren vom Liegen wund und benötigten eine spezielle Behandlung, die von der Tochter nicht oder nur sehr ungenügend gegeben wurde. Aber in dem bedrückenden Gefühl, eine Last zu sein, sagte sie nichts von ihren Schmerzen, schluckte sie in sich hinein.

Seit sie von den Schwestern gepflegt wird, sind die Wunden fast geheilt Das trostreiche Gefühl regelmäßigen Umsorgtwerdens läßt sie anderes leichter tragen. Und wenn eine der Schwestern kommt, läßt sie ihre Hand nicht mehr los. Und redet, redet, redet !

Oder der Fall der an Multiple Sklerose erkrankten einundsiebzigjährigen Helene S. Die gelähmte Frau sitzt Tag und Nacht in einem Stuhl, ihr Rückgrat ist bereits so gekrümmt, daß sie nicht mehr liegen kann. Auch sie hat Geschwüre an den Beinen, die täglich gereinigt und verbunden werden müssen. Die Schwestern besuchen sie zwei bis dreimal täglich, kochen, füttern, pflegen sie. Frau S. hat keinerlei Angehörige in Poysdorf. Ihre Tochter ist in Wien verheiratet und arbeitet dort. Vor der Gründung des Sozialhilfevereins war sie auf die Hilfe der Nachbarn angewiesen, die unregelmäßig und sporadisch war.

Ein bißchen besser hat es Maria H., 80 Jahre alt, die an einer chronischen Bronchitis leidet und nur ganz leise sprechen kann. Dafür kann sie gehen und sich bis zu einem gewissen Grad selbst versorgen. Sie wohnt allein in einem geräumigen Haus. Ihr Mann war Beamter. Wenn die Schwestern einen versprochenen Besuch ver schieben müssen, hat sie Tränen in den Augen.

Menschliche Nöt ist am ergreifendsten dort, wo sie der Hilflosigkeit entspringt. Alte Menschen sind hilflos! Sie sind auf reine Nächstenliebe ohne irgendwelche Hintergedanken nach dem Nutzwert angewiesen. Und sie spüren diese Situation des Ausgeliefertseins als etwas schmerzlich Demütigendes. Nicht nur in der konkreten Hilfe, sondern auch im Lindem seelischer Not möchte ‘der Verein seine Aufgabe sehen. Die Würde, das Selbstwertgefühl dieser alten Menschen soll gehoben werden und damit - so Maria Loley - die Würde des Menschen überhaupt.

Daß dieses Modell einem tatsächlich sehr wichtigen Bedürfnis entgegenkommt, zeigen nicht nur die Reaktionen der Betroffenen, sondern auch jene der Verantwortlichen: bereits ein Monat, nachdem der Verein in Poysdorf gegründet worden war; hat die Stadt Mistelbach einen ähnlichen Versuch unternommen. Auf der dortigen Sozialstation arbeitet gegenwärtig allerdings nur eine Schwester. Auch in Laa a. d. Thaya, in Drasenhofen, Kreuzstetten und Wölkersdorf sind solche Vereine im Entstehen. Damit soll das gesamte Grenzgebiet, in dem diese Probleme besonders gravierend sind, erfaßt werden. Inwieweit dieser positive Ansatz, einem dringenden Notstand abzuhelfen, tatsächlich eine Entwicklung in dieser Richtung beschleunigen könnte, bleibt abzuwarten.

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