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Ein Sozialpolitischer Klassenkampf?

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Nach fünf Jahren sozialistischer Alleinregierung in Österreich ist es soweit: Sozialminister (und Vizekanzler) Rudolf Häuser rät den Risikobereiten und Leistungswilligen unserer Gesellschaft, doch Hilfsarbeiter zu werden. Damit sie, wie er sagte, nicht das harte Schicksal noch höherer Versicherungsbeiträge auf sich nehmen müssen.

Mit dem Ausdruck „Debakel“ sollte man sparsam umgehen. Dennoch sollte darüber kein Zweifel herrschen: die Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben der Sozialversicherung ist seit 1974 immer rascher gewachsen. Ob der Bund für das laufende Jahr 12 oder 16 Milliarden Schilling an Zuschüssen aus seinem Budget wird leisten müssen, steht noch nicht fest. Sicher ist, daß das Budgetdefizit auch unter diesem Titel gewaltig zunehmen wird.

Finanzminister Androsch verspürt nun wenig Lust, hier mitzuspielen. In einer Ministerratsitzung trug er die Auffassung vor, daß der Bund im kommenden Jahr von gesetzlichen Zahlungsverpflichtungen im Sozialbereich entlastet werden müsse. Ganz nach der Sorgfaltspflicht ordentlicher Kaufleute verbuchte er die Erhöhung der Beamtengehälter erst gar nicht im Haushaltsplan 1976.

Schwer defizitär ist vor allem die Pensionsversicherung der Arbeiter. Das kommt daher, daß der Anteil der aktiven Arbeiter permanent zurückgeht, weil viele den Status des Angestellten erhalten. Gleich groß aber bleibt die Zahl der Arbeiterpensionisten. Deshalb mußte Sozialminister Häuser schon im Vorjahr einige 100 Millionen Schilling aus der Pensionsversicherung der Angestellten in die Pensionsversicherung der Arbeiter übertragen. Der Vorsitzende der Angestellten-Gewerkschaft, Alfred Daliinger, ist innerparteilich so schwach abgesichert, daß er dagegen kein Mittel fand. Einmal empörte er sich in der „Arbeiter-Zeitung“ darüber, doch das ging unter.

Um einige Ordnung im schwer defizitären Gefüge der Sozialversicherung zu schaffen, verkündete nun Sozialminister Häuser die Absicht, die Sozialversicherungsbeiträge der Selbständigen und Bauern stark anzuheben. Begründet hat Häuser das damit, daß die Selbständigen im Monatsdurchschnitt nur 414 Schilling, die Unselbständigen dagegen einen Beitrag von 1198 Schilling für die Sozialversicherung aufbringen. Nun: diese Behauptung ist nicht korrekt:

• In den Beitragsleistungen der Arbeitnehmer sind auch die Dienstgeberbeiträge enthalten;

• der durchschnittliche Beitrag der Selbständigen im Jahr 1974 betrug 564 Schilling.

Ganz abgesehen davon, daß die Beiträge der Gewerbetreibenden genau nach dem Einkommensteuerbescheid bemessen und die Beiträge der Bauern jährlich nach dem Pen-sionsanpassungsfaktor erhöht werden. Dabei ergeben sich für die Bauern sogar stärkere Beitragsanhebungen, als es in der Einkommensentwicklung begründet wäre. Denn 1974 wurden die Pensionsbeiträge um 10,4 Prozent erhöht, während die Durchschnittseinkommen nur um 6,5 Prozent stiegen.

Der sich „liberal“ nennenden sozialistischen Bundesregierung sollte es schwer fallen, angesichts der Tatsachen noch immer zu behaupten, daß sie in der Sozialpolitik keinen klassenkämpferischen Kurs steuere. Denn mit diesem Kurs muß schon in den nächsten Jahren das Gebäude

der Sozialversicherung in Österreich in sich zusammenbrechen: So Jroht ja auch der bislang noch aktiven Pensionsversicherung der Angestellten schon in Kürze ein Defizit, weil viele Arbeiter erst in späteren Jahren Angestellte werden und daher nur kurze Zeit ihre Beiträge an die

Angestellten-Pensionsversicherung zahlen. Und erst recht ist in den nächsten Jahren auch ein steigendes Defizit der Beamten-Pensionsversicherung zu erwarten.

Sozialminister Häuser, mit dem Bundeskanzler Kreisky auch in den nächsten Jahren rechnet, will diese Probleme in einem allerdings höchst langwierigen Formalakt meistern:

mit der Zusammenfassung der Arbeiter und Angestellten in eine Pensionsversicherungsanstalt und der Selbständigen und Bauern in eine andere. Die Angestelltengewerkschaft fürchtet, daß ihr dadurch etwas weggenommen würde, Vizekanzler Häuser versucht diese Befürchtungen mit dem Hinweis, daß der Staat auch für die gemeinsame Pensionsversicherung die Ausfallshaftung übernehmen würde, zu zerstreuen. Wie man sieht, bringt diese Maßnahme überhaupt nichts, bestenfalls eine geringfügige Einsparung bei der Verwaltung.

Die Krise des Sozialversicherungssystems wird die österreichischen Steuerzahler in den nächsten Jahren viel Geld kosten. Wenn auch vor dem Wahltermin von den Sozialisten behauptet wird, daß allein die Bauern^ zur Kasse gebeten werden sollen, so ist doch heute schon klar, daß — so oder so — am Ende alle mehr zahlen müssen, wollen sie den überdimensionierten Versorgungsstaat weiter aufrecht erhalten.

Die Chance, das offenkundige Dilemma erfolgreich zu bekämpfen, liegt allein darin, des wuchernden Wohlfahrtsstaats Herr zu werden; zu überlegen, ob man nicht innerhalb der staatlichen Versorgung im Interesse aller differenzieren könnte; die private Vermögenspolitik anzukurbeln, um auf diese Weise dem einzelnen eine stärkere Unabhängigkeit vom Staat zu verschaffen. Die große Frage ist, ob orthodoxer Sozialismus ä ia Häuser dazu tatsächlich in der Lage ist.

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