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Ein Spiel, das berührt - für 500 Erler ist Passionszeit

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Seit 1613 verkünden Passions- und Osterspiele in Erl, dem „Dorf an der Grenze" in Tirol, die christliche Botschaft des Friedens. Nach sechs Jahren ist es auch heuer wieder soweit: Über 40 Aufführungen sind bis 6. Oktober, jeweils Samstag und Sonntag, vorgesehen, weit über 500 Mitwirkende aus Erl beteiligen sich an der Gestaltung der Passion.

Was gibt sie uns Menschen heute, diese christliche Botschaft, wer sind die Besucher, die nach Erl kommen, um hier eine über vier Stunden lang dauernde Aufführung mitzuerleben?

Schon im neu verfaßten Prolog setzt sich die österreichische Schriftstellerin Gertrud Fussenegger mit der Problematik und Aktualität der Passion auseinander: Dieser Prolog ist aus der Sicht der Darsteller geschrieben. Und wenn es da heißt: „... alle, die spielen, wissen's, daß sie nur Schatten sind: Schatten von Schatten - und rings um sie irdischer Tand", so decken sich diese Worte vielfach mit den Aussagen der Darsteller.

„Ich weiß, daß ich eigentlich nur als Schatten fungiere", sagt Johann Kne-ringer, der seit 1979 für die Spielleitung verantwortlich zeichnet. Er hat von 1959 bis 1963 den Pilatus gespielt, bis 1979 stellte er Christus dar. Durch seine Tätigkeit im Rahmen der Passionsspiele habe er sich sehr intensiv mit der Heiligen Schrift auseinandergesetzt, erzählter:, Jede Rolle sollte möglichst schlicht, aber dennoch eindrucksvoll gespielt werden." Kneringer gibt auch zu, daß, obwohl nach seinen Worten „dem Tiroler Unterländerdas Spielen im Blut liegt", es ihm selbst manchmal schwergefallen sei: „In bestimmten Szenen hatte ich Hemmungen; Szenen wie beispielsweise die Abendmahlszene, haben mich sehr berührt."

Das Spiel „berührt" auch die Zuschauer, weckt Gedanken über Nächstenliebe, wiegt den Menschen in einem Gefühl der Dankbarkeit, läßt Fragen aufkommen und manchmal auch Zweifel laut werden.

Das stille, ausdrucksvolle Plakat des Tiroler Malers Anton Christian setzt dabei genauso Akzente wie der mit Hilfe modernster Lichttechnik von Lois Egg eindrucksvoll gestaltete Bühnenraum. Die Musik Cesar Bres-gens (komponiert 1979) tut ebenso ihren Teil dazu wie die Worte Fus-seneggers am Schluß des Prologs: „Dennoch, Freunde, sollt Ihr schau'n und lauschen: Das Spiel ist des Menschen zweites Recht." Und für so manchen Zuschauer geht von den Schauspielern, die hier - um einen minimalen Lohn - überzeugend spielen, eine positive Einstellung zum christlichen Glauben aus, die sich auf ihn überträgt - und sei's auch nur für wenige Stunden.

Ähnliche Erfahrungen hat Josef Osterauer, der seit 1959 den Kaiphas darstellt. Er diskutiert nach der Aufführung gerne mit Zuschauem: „Viele Menschen haben mir schon erzählt, daß sie durch unser Laienspiel, durch unsere Texte einen Weg zum Glauben finden konnten." Der heute pensionierte Zimmermann Osterauer hätte lieber eine andere Rolle, etwa die des Josef von Arima-thäa, gespielt: „Weil man sich als Kaiphas bei den Zuschauem ja nicht gerade beliebt macht, aber da ich mit zunehmendem Alter viel über diese Rolle nachgedacht und diese dann daher sehr glaubwürdig gespielt habe, hat mich Hans Kneringer einfach wieder dafür eingeteilt."

Das Publikum der Passionsspiele ist sehr gemischt: Österreicher, Deutsche, aber auch Belgier, Schweden und Engländer sitzen nebeneinander, vorwiegend ältere Menschen - doch scheint der Anteil der jüngeren Gäste etwas zuzunehmen.

Claudia Wieser, die heuer zum ersten Mal die Rolle der Maria übernommen hat, versucht zu analysieren, warum auch jüngere Menschen nach Erl kommen: „Wir leben heute in einer sehr lauten Welt, in der jeder Mensch wenig Zeit zum Nachdenken, zum Sich-Auseinandersetzen mit Problemen hat, der Besuch der Passionsspiele ist unter anderem ein Beispiel dafür, daß man sich selbst dazu ,zwingt', sich mit weggeschobenen Fragen auseinanderzusetzen."

Claudia Wieser wollte als Kind immer die Veronika spielen: „Diese Frau, die sich nicht scheut, vor allen anderen im Mittelpunkt zu stehen, hat mich schon immer fasziniert." Ihre Rolle der Maria hat sie sich vorher anders vorgestellt: „Aus religiöser Überzeugung habe ich die Rolle übernommen, die vorher meine Mutter gespielt hat. Aber erst im Laufe der Probenarbeit bin ich draufgekommen, daß es soviel persönlichen Einsatzes bedarf. Eine Eigenschaft, die ich mir vorher gar nicht zugetraut hätte. Heute freue ich mich darüber."

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