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Ein spiritueller Brückenschlag

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Wie hätte das I.D.C.I.V. (Informationszentrum im Dienste der christlich-jüdischen Verständigung) im Oktober 1987 das Jubiläum seines 20jährigen Bestehens besser feiern können als mit einer christlich-jüdischen Begegnung?

Zwei Jahrzehnte Bemühung um Information und Verständigung, um Abbau. von Mißtrauen und Unwissenheit, um Brückenbau und Gräbenfüllen, um Uberwindung von Vorurteilen und Berührungsängsten auf beiden Seiten -waren sie umsonst, angesichts des neuerlichen Hochspülens von Abneigungen und Furcht?

Es war und bleibt eine Arbeit der kleinen Schritte, der unspektakulären Erfolge, die aber hoffentlich auf festem Fundament errichtet wurden. Ziel dieser Arbeit, dieser vielen Begegnungen ist die Erkenntnis, daß wir alle, Juden und Christen, Katholiken und Protestanten, den einen und gleichen, den gemeinsamen Gott, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der eben auch der Gott Jesu Christi ist, verehren und anbeten und daß wir in unserem Gebetsschatz, in unserer Liturgie so viel Gemeinsames haben.

Noch ist dieses Ringen um eine Ökumene im Sinne der Konzilserklärung „Nostra aetate“ umstrittener als die Ökumene im Bereich der christlichen Kirchen, aber sie muß doch immer wieder versucht und gewagt werden, wollen wir einmal vor Gott bestehen, wenn er uns nach unserem älteren Bruder fragt. So gilt es, von dem einen gemeinsamen Ziel — der Anschauung Gottes - her zu erkennen, daß es zwar verschiedene Wege sind, auf denen Juden und Christen ihm entgegenstreben, daß man auch an verschiedenen Punkten hält und das Tempo unterschiedlich ist — daß aber die Gemeinsamkeit des Ziels doch stärker sein sollte als alles Trennende.

Die Tagung „Der Weg zu Gott“ in Wiener Neustadt war nur eine dieser Gemeinsamkeiten in der Spiritualität von Juden und Christen, der Mystik, gewidmet. Mystische Erfahrungen und Erscheinungen sind ein menschliches, ein religiöses Urphänomen, das sich in allen Weltreligionen, aber auch in Sekten und Gruppierungen ganz verschiedener Art findet. Weshalb sie im Judentum wie im Christentum mit Vorsicht, ja Mißtrauen beobachtet und oft gefürchtet und abgelehnt werden, weil sie doch vielfach auch der Gefährdung durch Schwärmerei, Scharlatanerie und Häresien ausgesetzt sind und dem nüchternen „Normalmenschen“ oft unbegreiflich und unerreichbar scheinen.

Dazu kommt noch, daß das Judentum aus bitterer Erfahrung heraus fürchten muß, daß seine Mystik — die Kabbala — von den Christen vereinnahmt und mißbraucht, weil gegen sie ausgespielt wird. Zwar sei es für die Christen durchaus legitim — wie gerade die jüdische Referentin Pnina Nave-Levinson (Jerusalem) betonte —, sich die jüdische Mystik aus ihrem eigenen Verständnis heraus zu eigen zu machen, aber dabei nehme man sie eben doch den Juden weg. Dazu käme auch nochfrdaß aus dem demokratisch ausgerichteten Religionsverständnis der Juden eine Ablehnung der Mystik komme, weil es nichts geben sollte, was nicht alle verstehen und teilen können.

Damit sollte nun freilich nicht gesagt sein, daß mystische Bemühungen um eine Begegnung mit Gott im Gebet, in der Anbetung, etwas von dem bewußten Dunkel von Geheimgesellschaften hätten. Im Gegenteil: Nichts scheint klarer als die Zeugnisse dieser Erfahrungen. Aber sie sind eben doch nicht allen Menschen zugänglich. Was übrigens in dieser Tagung so ganz nebenbei ans Tageslicht kam: Im jüdischen wie im evangelischen Raum ist Mystik gewissermaßen Männersache, in der katholischen Kirche aber traten vor allem Frauen als die großen Vertreterinnen der mystischen Gotteserfahrung hervor.

Wenn es nun gerade im Bereich des Gebetes so viele Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Christen gibt - ist auch gemeinsames Beten schon möglich? Noch .scheint es — bewußt oder unbewußt — schwierig zu sein. So wie, bei der am gleichen Wochenende stattfindenden großen „Scha-lom“-Veranstaltung blieb das gemeinsame Gebet ein Hintereinander und wurde nicht zum echten Miteinander.

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