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Ein Staat wird mit seinen Problemen nicht mehr fertig

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Portugal ist ein scheinbar unregierbares Land geworden. Was sich in der letzten Woche in Lissabon und Belėm abspielte, kann nicht mehr als Politkrimi bezeichnet werden, es ist vielmehr die Tragödie eines Staates, der mit seinen Problemen nicht mehr fertig wird, von einer Krise in die nächste schlittert. Und jetzt stehen die Regierenden vor einem Scherbenhaufen, einem politischen Patt, aus dem es auf Dauer keinen Ausweg zu geben scheint.

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Portugal ist ein scheinbar unregierbares Land geworden. Was sich in der letzten Woche in Lissabon und Belėm abspielte, kann nicht mehr als Politkrimi bezeichnet werden, es ist vielmehr die Tragödie eines Staates, der mit seinen Problemen nicht mehr fertig wird, von einer Krise in die nächste schlittert. Und jetzt stehen die Regierenden vor einem Scherbenhaufen, einem politischen Patt, aus dem es auf Dauer keinen Ausweg zu geben scheint.

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Ausgelöst wurde die jüngste Regierungskrise durch den Koalitionsbruch zwischen der Sozialistischen Partei (PS) und dem Demokratisch-Sozialen Zentrum (CDS) in der vergangenen Woche. Traurig genug, daß damit auch Cunhals stalinistische KP recht behalten hat, die das Regierungsbündnis der Sozialisten und Christdemokraten schon von allen Anbeginn an als „widernatürliche Ehe” bezeichnet hatte. Durch das Ausscheren der Christdemokraten stand der portugiesische Premier und Sozialistenchef Mario Soares erneut alleine da, machte aber keine Anstalten, sein Rücktrittsgesuch einzuleiten, was er im Falle eines Koalitionsbruches noch kurz zuvor angekündigt hatte. Das wiederum rief den Staatspräsidenten Antonio Ramahlo Eanes auf den Plan, der den Ministerpräsidenten kurzerhand entließ. Ein wehmütiger Soares klagte nach seiner Entlassung verbittert vor surrenden TV-Kameras: „Ich werde nie mehr Ministerpräsident werden.”

Was man so gut wie sicher weiß, ist die Ursache der permanenten portugiesischen Krise, die das Land seit 1974 schon in ein gutes halbes Dutzend Regierungskrisen gerissen und letztlich auch zum jüngsten Koalitionsbruch geführt hat: Der Nord-Süd-Gegensatz, ein typisches Entwicklungsproblem in einem Agrar- und sich entwickelnden

Industriestaat, in dem eine konservativ-traditionelle Komponente auf revolutionäre Umsturztendenzen trifft. Und hier manifestieren sich auch die parteipolitischen Gegensätze dieses Landes: Haben die linken Parteien im bettelarmen und unterentwickelten ländlichen Süden sowie im Industriegürtel um Lissabon und Setübal ihre Hochburgen, neigen die Bewohner der wirtschaftlich weiter fortgeschrittenen Gebiete nördlich des Tejo-Stromes zu den konservativen Parteien.

Nach der Nelkenrevolution von 1974 traf die KP-Propaganda bei einem Großteil der besitzlosen Bauern im Alentejo - den drei Provinzen südlich des Tejoflusses - auf offene Ohren: Sie nahmen die KP-Parole „Das Land dem, der es bearbeitet” wörtlich und besetzten Ländereien.

Die Rückschläge durch diese überstürzte, von den Kommunisten angeregte Aktion der Landarbeiter, die größtenteils der Organisation landwirtschaftlicher Betriebe unkundig waren, ließen nicht auf sich warten: In vielen Bereichen steht die portugiesische Landwirtschaft heute sogar noch schlechter da als zu Zeiten der Diktatur! Der Ruf nach Rückgabe des besetzten Landes, den vor allem der konservative Bauernverband „Cap” erhob, wurde deshalb auch immer lauter.

Tatsächlich ging die sozialistische Minderheitsregierung Ende 1976 daran, ungesetzlich enteignete Landgüter an die Eigentümer zurückgeben zu lassen und enteignete Grundherren zu entschädigen. Den Grundbesitzern ging die Entschädigung aber zu langsam vor sich, und Anfang Juli dieses Jahres organisierte der Bauernverband eine große Treckerdemonstration. Die Christdemokraten unter Dioge Freitas do Amaral gerieten dadurch in ein Düemma, weil sie einerseits Rücksicht auf ihr Wählerpotential nehmen mußten, das gegen die sozialistische Landwirtschaftspolitik heftig demonstrierte, anderseits aber nicht gemeinsam mit eben diesen Sozialisten in einer Regierung zusammensitzen konnten. Zudem sahen sie, daß viele ihrer Anhänger zur konkurrierenden konservativen Fraktion, der Sozialdemokratischen Partei (PSD), abwanderten.

Die Forderung der Christdemokraten, den parteüosen Landwirtschaftsminister Luis Saias abzusetzen, konnte Koalitionspartner Soares wiederum nicht erfüllen, sonst wäre der mühsam mit der KP und den Gewerkschaften ausgehandelte Burgfrieden an der Lohnfront in die Brüche gegangen. Und so war es denn die Koalition, die auseinanderbrach und Portugal ist erneut in eine tiefe Krise geraten.

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