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Ein Star als Maß

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Was nach dem Supererfolg der „Troubadour“-Aufführung Herbert von Karajans in der Wiener Staatsoper kaum möglich schien, hat sich gleich zweimal ereignet: Karajan, der Superperfektionist, der wie kaum sonst ein Künstler seinen Willen zum Maß aller Dinge macht, hat sich selbst übertroffen. Mit Mozarts „Hochzeit des Figaro“ und Puccinis „La Boheme“ sind ihm zwei Musteraufführungen geglückt, die auf diesem Niveau zu halten, die Wiener Staatsoperndirektion in Hinkunft allerdings einige Probleme haben wird.

Denn Karąjan ist nicht weniger gelungen, als ein perfektes Ensemble zusammenzustellen, in dem jeder auf jeden eingestimmt ist, Weltstars plötzlich nicht mehr Weltstars sind, sondern Teile eines minuziös reagierenden Teams. Was zugleich das treffendste Argument für Karąjans Prinzip ist, Oper auf internationaler Ebene zu produzieren, aus einem internationalen Opernpool heraus zu besetzen und dann auf Reisen zu schicken. Wie dieser Pool freilich ohne einen Mann von der Dynamik, von der (vor allem gegen sich selbst schon fast rücksichtslosen) Arbeitsbesessenheit und von der Erfahrung Karajans funktionieren soll, möchte ich dahingestellt lassen.

Daß dabei weder „Figaro“ noch „Boheme“ im eigentlichen Sinn Novitäten waren - was tut’s? Wo dieses Maß operntheatralischer Qualität erreicht wird, wie sie sonst oft nicht einmal in Superpremieren gehalten werden kann, kommt es nicht mehr darauf an.

„Figaro“ kennt man aus Salzburg und aus Köln, Jean-Pierre Ponelle hat auch für Wien sein erprobtes Rezept nur in ein paar Details abgewandelt. Seinen fulminanten quirligen Zirkus nur noch um ein paar Gags, um ein paar Facetten bereichert. Das Spiel gräflicher Launen, das getarnte Feilschen um das Recht des Hausherrn, mit der gerade heiratenden Zofe deren Hochzeitsnacht zu teilen, schnurrt wie in einem Wunderautomaten ab. Amüsant, schwerelos, mit viel Ironie. Und durchaus so doppelsinnig, daß man bereits das Zerbröckeln hochherrschaftlicher Feudalstrukturen und den Aufstieg der Kleinbürger zu verspüren meint.

„Figaro“ ist wie „Boheme“ eine Aufführung aus einem Guß. Was hier wie dort Verdienst Herbert von Karąjans ist. Denn er gibt beiden Werken das Maß des menschlichen Atems als Maß. Er führt die Philharmoniker ungemein temperamentvoll, aber nie hektisch. Er läßt hier wie dort Lyrik sanft und fast schon breit aus- und Melancholie mitschwingen.

Keine Frage: der Karajan der letzten Jahre ist ein Dirigent der verhaltenen Tempi geworden, der dunklen Farben, mit fabelhaftem Gespür für Melancholie. Die superschnittige Fasson, die er früher bevorzugte, und das aufgeregte Zupacken sind nicht mehr so ganz seine Sache. Er hält sich in den Opern längst an die Klugen, die Besinnlichen.

Die Besetzungen beider Aufführungen: im „Figaro“ erlesen. In der „Boheme“ festspielwürdig. Vor allem Frederica von Stade als Cherubin ist ein Ereignis. Charme, Grazie, Witz, erlesene Stimmkultur, ein berückend schönes Timbre... Alles stimmt zusammen. Ileana Cotrubas ist eine kokett-freche Susanne, eine Erzkomödiantin. Mozarts Lyrik trifft sie, die heimliche Poetin, ganz präzise. Be rückend zärtlich etwa ihre „Rosenarie“. Josė van Dam als Figaro wirkt vergleichsweise etwas schwerfällig. Es fehlt der ausgelassene Bravourkünstler und Tausendsassa eines Walter Berry. Anna Tomowa-Sintow, eine Gräfin von hoher Stimmkultur und seltsamer Kühle, Tom Krause, ein Graf von federnder Eleganz; und daneben ein bis in die kleinen Partien solide, wenn auch nicht immer ganz treffend besetztes Team ernteten stürmischen Jubel.

Kaum überbietbar war die Intensität, mit der Karajan seine Sängerelite in der „Bohėme“ führte: Mirella Freni, seit 14 Jahren nun die Mimi, ist noch immer die Idealbesetzung, von wunderbarer Sanftheit und Schönheit der Stimme, obwohl natürlich das Material an dramatischer Herbheit dazugewonnen hat. Als Rudolf hat sie jetzt den jungen Spanier Josė Carreras als Geliebten. Fabelhaftes Aussehen, ein ungemein geschmeidiges Timbre, ein Darsteller von Graden. Renate Holm war eine brillante Musette. Flatterhafte Halbwelt. Rolando Panerai ein mitreißend temperamentvoller Marcel. Rundum erste Kräfte.

Schade nur, daß die Staatsoper nun den Namen des Regisseurs Franco Zeffirelli gestrichen hat. Peter Busse, Karajans Assistent, hat die Auffrischung dieser „Bohėme“ zwar mit viel Behutsamkeit und Liebe versucht. Aber es kann doch keine Frage sein, daß dieses Werk eine gemeinsame Schöpfung Karajans und Zeffirellis war. In der Optik, in der Atmosphäre, in jedem Zoll. Daß die Staatsoper da apf den Namen Zeffirelli verzichtet, bleibt unverständlich. Schon aus Prestigegründen. Jedes andere Haus würde sich diesen Namen wohl kaum entgehen lassen.

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