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Ein Stern, wo keiner war

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Der Buchautor Johannes v. Buttlar erzählt, wie ein Lichtpünktchen am südlichen Sternenhimmel zu einem seit langem ersehnten Jahrhundertereignis wurde: „Supernova“.

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Der Buchautor Johannes v. Buttlar erzählt, wie ein Lichtpünktchen am südlichen Sternenhimmel zu einem seit langem ersehnten Jahrhundertereignis wurde: „Supernova“.

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Beobachtende Astronomen haben ein hartes Leben. Sie hocken bei Eiseskälte stundenlang in einem unbequemen Gestell im Strahlengang des Teleskops. Moderne Observatorien werden im Hochgebirge gebaut — weit weg von Städten. Die Kuppel wird schon am Nachmittag geöffnet, an Heizung ist nicht zu denken, die Unruhe der Luft würde die Arbeit stören.

Der Astronom Ian Shelton auf dem 2.400 Meter hoch gelegenen Las Campanas in Chile ärgerte sich und dachte an Staub, als er in der Nacht auf den 24. Februar 1987 auf einer noch nassen Platte einen Fleck sah. Kein Wunder, es war stürmisch, er hatte die Arbeit abgebrochen. Der Staubfleck sah aus wie ein Stern, konnte aber keiner sein, weü es dort, wo er die Platte verunzierte, keinen Stern gab.

Shelton war mit einer jener fotografischen Durchmusterungen des Sternenhimmels beschäftigt, die verhindern sollen, daß Veränderungen der Aufmerksamkeit entgehen. Auf dem Bild, von dem die Rede ist, war ein kleiner Ausschnitt der Großen Magellan-schen Wolke zu sehen, einer der beiden Begleit-Galaxien unserer Milchstraße.

Shelton ließ die Bilder trocknen, ging ins Freie und warf einen Blick auf das Himmelsareal, das er fotografiert hatte. Und glaubte, sich zu täuschen: Da stand, mit freiem Auge zu sehen, ein Stern, wo keiner gewesen war.

Ian Shelton alarmierte seine Kollegen. Ein Mitarbeiter setzte sich sofort—um drei Uhr früh—in den Wagen und raste zur hundert Kilometer entfernten Post, um ein Telegramm aufzugeben. Es war darin noch nicht von einer Supernova die Rede, sondern bescheiden nur von einem „Objekt der Lichtstärke 5“.

In der folgenden Nacht richteten alle Observatorien der südlichen Hemisphäre ihre Geräte — Teleskope, Spektrographen, Kameras, Radioantennen—auf jenen Punkt in der Magellanschen Wolke, der Solar-Maxima-Satellit wurde von der Sonne auf die Große Magellansche Wolke umjustiert, der IUE-Satellit („International Ultraviolet Explorer“) und die auf dem Weg vom Uranus zum Neptun befindliche US-Raumsonde Voyager 2 richteten nach entsprechenden Funksignalen ihre Geräte auf die Supernova.

Seit Jahrzehnten hoffen die Astronomen auf Gelegenheit, die Entwicklung einer Supernova vom Ausbruch an in allen Stadien beobachten zu können. Explodierende Sterne, Novae und Supernovae, haben nach heutiger Auffassung unter anderem eine Schlüsselstellung bei der Entstehung des Lebens. Je konkreter die Vorstellungen von der Evolution des Kosmos wurden, je gründlicher die Zweifel an seiner Geburt im Urknall auf mathematischem Weg ausgeräumt wurden, desto schärfer stellte sich die Frage, wie die Vielzahl lebenswichtiger Elemente den Weg in einen Himmelskörper wie die Erde gefunden haben könnten.

Die Vorstellung, die ganze Palette der in der Natur vorkommenden Elemente könnte bereits im Urknall entstanden sein, mußte bald aufgegeben werden. Nach heutiger Auffassung herrschen nur im Inneren der Sterne Bedingungen, unter denen aus dem „Baustoff“ der ersten Sternengeneration, dem Wasserstoff, alle anderen im Kosmos vorkommenden Elemente entstehen konnten. Nur ein Teil wird in den Kosmos verstreut, ein großer Teil geht in Endstadien, die eine solche Abgabe ausschließen — etwa „Weißen Zwergen“ oder „Schwarzen Löchern“ - für die Entwicklung des Lebens verloren. Die kugelförmigen Sternhaufen etwa sind herrliche, aber sterile Gebilde aus Hunderttausenden uralten, stabilen Sternen der .Population II“, deren Entwicklungsgeschichte das Vorhandensein belebter Planeten vermutlich ausschließt.

Der wirkungsvollste bekannte Vorgang, Materie aus dem Sterninneren in den Weltraum zu befördern, ist das ebenso gewaltige wie seltene Ereignis einer Supernova, deren Blitz die einmilliar-denfache Helligkeit der Sonne erreichen kann. Dabei wird eine Vielzahl von Elementen ausgeschüttet. Erst in den Sternen späterer Generationen, die sich gemeinsam mit ihren Planetensystemen aus dieser Materie bilden

— den Sternen der .Population I“

— sind die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben gegeben, denn nur hier ist die dafür notwendige Vielzahl chemischer Elemente vorhanden.

Die Vorstellung, daß jedes Atom im Körper jedes irdischen Lebewesens im Inneren eines Sterns entstanden, durch eine mächtige Explosion in den Weltraum gelangt und später Teil unseres jungen Sternsystems wurde, gilt heute als Selbstverständlichkeit.

Supernovae sind selten. Man schätzt, daß in unserem Milchstraßensystem mit seinen 150 Milliarden Sternen nur alle 50 Jahre ein Stern zur Supernova wird. Die Spiralarme unserer Galaxie, wo die Sonne beheimatet ist, sind sozusagen das Revier der jungen Sterne. Unser Standort im All ist also für die Beobachtung von Supernovae nicht günstig. Die Chinesen registrierten in vorchristlicher Zeit und dann wieder im Jahr 1054 christlicher Zeitrechnung Supernovae, der Grieche Hippar-chos berichtet von einem 134 vor Christus aufgetretenen „neuen Stern“, und am 5. November 1572 traf es den Dänen Tycho Brahe wie ein Schlag, als er „kurz vor dem Abendmahl“ zum Himmel aufblickte und ,4m Zenit ein außergewöhnliches Gestirn, ein Licht von strahlendem Glanz erzittern“ sah. Durch dieses Erlebnis wurde er zum Astronomen. 1604, drei Jahre nach Brahes Tod, wurde wieder eine Nova gesichtet. Die von 1987 ist seither die hellste. (Alle anderen wurden in fernen Galaxien beobachtet.)

Die „Supernova Sanduleak“ (so genannt nach dem Ausgangsstern) explodierte vor 170.000 Jahren. So lang hat das Licht von der kleinen „Nachbar“-Galaxie zu uns gebraucht. Was wir beobachten, ist eine Licht-, Strahlungsund Schwerkraftwelle, die durch das All rast wie die Flutwelle nach einem Seebeben. Da es sich um ein so seltenes Ereignis handelt, ist es ein Glück für die Physik, daß die Neutrino-Detektoren unter dem Montblanc-Massiv, in einem japanischen und einem amerikanischen Bergwerk im Februar 1987 schon in Betrieb waren. Schwärme des geheimnisvollsten Elementarteilchens huschten durch die Meßgeräte, in Rom setzte eine kosmische Gravitationswelle den für solche Beobachtungen gebauten tonnenschweren Metallzylinder in Schwingungen.

Seither nimmt die Leuchtkraft des „neuen“ Sterns unaufhaltsam ab. Wie von allen anderen wird nur ein winziger, sich ausdehnender, an Leuchtkraft verlierender Nebelfleck bleiben. Er wird viele Fragen beantworten — und neue stellen.

SUPERNOVA. Von Johannes von Buttlar. Herbig Verlag, München 1988.287 Seiten, Fotos, Ln., öS 250,-

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