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Ein Stift, ein Schloß, eine Veste

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Am 31. August schloß die diesjährige Ausstellung des Landes Oberösterreich, die das immense Oeuvre der 1971 verstorbenen Margret Bilger in seinen wesentlichen Teilen zeigte, ihre Pforten. Die Ausstellung in den restaurierten Barockräumen des Stiftes Schlierbach, dessen Bernardi-Saal und dessen Bibliothek nunmehr vor dem drohenden Verfall gerettet werden konnten, stand unter dem Ehrenschutz des Landeshauptmannes und des Kulturreferenten der oberösterreichischen . Landesregierung,

Landesrat Dr. Josef Ratzenbäck, dessen fördernde, schützende, helfende Hand überall dort zu spüren ist, wo zwischen Inn und Enns private Initiative und privater Opfermut Zentren schafft, von denen kulturelle Kräfte in die nähere und weitere Umgebung ausstrahlen. Schlierbach, das bisher immer sozusagen im Schatten der älteren Stifte stand, von dem allenthalben fast nur die Kirche mit ihrem frühen, schweren Barock-Dekor bekannt war, dessen grandiose Leistungen vor allem als Glaswerkstätte aber die internationale Kunstszene immer noch nicht zur Kenntnis nehmen wollte, geriet durch die Bilger-Landesausstellung endlich in jenes Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit, das ihm längst gebührt hätte.

Besser als im Vorjahr auf Stift Reichersberg, wo das Werk der Künstlerdynastie Schwanthaler noch ein wenig unter räumlichen Schwierigkeiten, unter ungünstigen, stumpfblauen Hintergründen und einigen, den Betrachter immer wieder blendenden Scheinwerfern gelitten hatte, gelang es heuer auf Stift Schlierbach, das Lebenswerk der Bilger in seiner kaum übersehbaren Fülle, seiner mit einmaligem Durchwandern kaum zu bewältigenden Verschiedenartigkeit darzubieten und deutlich zu machen. Da waren nicht nur ihre zahllosen (und bekannteren) Holzrisse, mit der wie hinter Spinnweben versunkenen

Märchenmotivik, und dazu die Holzstöcke zu sehen, an denen sie gearbeitet hat; da gab es auch die herrlichen, langsam in Abstraktionen übergehenden Aquarelle; die Pastell-zeichnungnen, die Aquarell-Pastelle, die hingehauchten Kreidezeichnungen und Porträts; die Webearbeiten, die zu informellen Farbkompositionen aus Stoffresten und Wollfäden hinführen (zweieinhalb grüne Fäden anstelle einer Signatur!); die Holzschnitte, die alle Versuche der heute gepriesenen Sonntagsmaler ironisierend vorwegnehmen und durch ihre Genialität auslöschen; die Kohlzeichnungen; vor allem aber die bestürzende religiöse Glut der Glasfenster, durch die Margret Bilger die Verbindung zu den Werkstätten von Schlierbach fand — und vielleicht auch den Weg zur katholischen Kirche, zu der sie sich formell erst fünf Jahre vor ihrem Tod, 1966, bekannte.

Ein nicht zu unterschätzendes Verdienst dieser Ausstellung war es, die Entstehung eines Bilger-Glasfensters erkennbar zu machen. Merkwürdigerweise schlug dabei die Bilger nämlich nicht den üblichen Weg von der naturnahen Form zur Abstraktion ein, der Prozeß verlief vielmehr umgekehrt. Am Anfang, im Vorentwurf, stand das Auswägen und Balancieren von Farbwerten, dann erst wurden Formen eingesetzt, bis am Ende, von der Bleifassung hart umrandet, die Gestalten sich überdeutlich im durchfallenden Licht abzeichneten.

Hätte sich Margret Bilger nicht, wie der ihr befreundete Alfred Kubin, in der obderennsischen Stille versteckt, wo nichts die unaufhaltsam über sie hereinbrechenden Visionen stören konnte — ihr Name wäre längst in aller Welt so bekannt wie der Name der Klimt, Schiele und Kokoschka. Die Landesausstellung auf Stift Schlierbach war, wir hoffen es, ein Aufreißen zu lange verschlossener Türen, jener Aufbruch ins Weite, der für Österreicher doch zumeist erst nach dem Tode möglich ist.

Zu Ende gegangen ist mit diesem Sommer auch das Keramik-Seminar auf der Veste Albmegg bei Wimsbach-Bad Neydharting. Mit der Ein-j richtung dieses Seminars vor drei Jahren — anfangs nur Lehrbetrieb, dann Experimentierstätte für Dilettanten, heuer zum erstenmale internationaler Treffpunkt — und mit der Öffnung von Ausstellungsräumen für unentdeckte bildnerische Talente jeglicher Art gelang dem Besitzer, Norbert Handel, die Rettung der lange Zeit unbenutzten Nebengebäude dieser kleinen, uralten Anlage, deren früheste Mauerreste aus der Zeit um 900 datieren, die dann in der Gotik ihre wesentliche Gestalt erhielt und die in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von den Freiherrn von Handel erworben wurde. Auch hier auf Albmegg ist, bei allem, was in den letzten Jahren zur Wahrung des Bestehenden und zu seiner Wiederbelebung geschehen ist, die helfende Hand des Landes-Kulturreferenten nicht zu verkennen. Auf Albmegg holte sich übrigens der Dichter Thomas Bernhard, sonst Einsiedler, hier aber nach Beheben kommend und gehend, diskutierenden, fragend, verschwindend, nicht wenige Motive, die im Vexierspiegel seiner Stücke gelegentlich auftauchen. Eine gefällte Linde wurde, ins Vielfache und Ungeheure der Bernhardschen Wortkatarakte projiziert, zum krachenden, ohrenbetäubenden Baumsterben, zum Katastrophenschluß seiner „Jagdgesellschaft“.

In keiner von Traditionen belasteten Beziehung zu den einstigen Freiherrn von Seyrl steht Schloß Scharnstein im Almtal. Harald Seyrl hat dieses bereits zum Tode verurteilte Bauwerk erworben und alle. Renaissanceherrlichkeiten der Jörger buchstäblich mit eigenen Händen an und aus den alten Mauern herausgeholt, Kostbarkeiten, die sonst für immer verloren gewesen wären. Dazu bedurfte es nicht nur jugendlichen Wagemuts, sondern auch des denk-malpflegerischen Fanatismus und der Selbstlosigkeit, die ihm und seinen Freunden zum Lebensinhalt wurde. Als der Anfang gemacht war und die ersten, erstaunlichen Entdeckungen zutage traten, halfen auch hier Land und Bund. Das Wiener Museum für Völkerkunde zeigt heuer im ersten Stock des Schlosses aus seinen unerschöpflichen Beständen eine Sonderausstellung „Schmuck der Völker“, die bis zum 15. Oktober täglich von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr zugänglich ist. Schmuck aus fremden Kulturen, Schmuck als magisches Instrumentarium, Schmuck als ästhetischer Zierat, denkt man an die herrlichen Gebilde aus bunten Vogelfedern oder aus den Flügeldecken exotischer Käfer, aus Elfenbein, Menschenhaar, oder an all die Metallarbeiten, die sich hier, fern der großstädtischen Hast, dem Besucher darbieten.

In die ebenerdigen Räume des Schlosses hat das Land Oberösterreich seine Strafrechtlichen Sammlungen verlagert. Die Schrecknisse vergangener Jahrhunderte, ja aller vorangegangenen Jahrtausende überwunden und den Strafvollzug im Lichte der Vernunft humanisiert zu haben, ist eine der wirklich gültigen und erlösenden Leistungen der Aufklärer und ihrer liberalen Nachfahren. Eine Leistung, die umso höher anzuschlagen ist, als es dem Logenbruder Freiherrn von Sonnenfals gewiß nicht so besonders schwerfiel, eine Kaiserin Maria Theresia von der brutalen Sinnlosigkeit des Folterns zu überzeugen, und als Joseph II., als aufgeklärt absolutistischer Herrscher, die Todesstrafe wenigstens vorübergehend mit einem Federstrich abschaffen konnte, wogegen das „gesunde Volksempfinden“ auch heute noch bei jedem aktuellen Anlaß nach dem Henker (wem darf man zumuten, Henker zu sein?) und nach Rachejustiz schreit, für die dann neben den bemitleidenswerten Vollzugsorganen, den Richtern und dem Justizminister, letztlich sogar auch das in Gewissenskonflikte gestürzte Staatsoberhaupt die Verantwortung zu tragen-hätten. Es wäre zu wünschen, daß sich das „gesunde Volksempfinden“, das ja nicht gerade mit viel Phantasie gesegnet ist, bei einem Rundgang durch das Strafrechtsmuseum von Schloß Scharnstein einigermaßen abkühlt. Wer nicht zum Sadisten geboren ist, müßte an dieser Stätte wenigstens nachdenklich werden.

Ein Stift, eine Veste, ein Schloß. Die in Oberösterreich wiederbelebten, geretteten, neu entstandenen Kulturzentren sind damit noch lange nicht aufgezählt. Es ging uns hier lediglich um den Beweis dafür, daß in diesem Bundesland geradezu unerschöpfliche Reserven vorhanden, daß seine Menschen nicht allein durch ihre wirtschaftliche und bäuerliche Tüchtigkeit zu definieren sind. Handfester Realismus., und Wortkargheit täuschen. Unter dieser Oberfläche sind Kräfte am Werk, die Zeitloseres schaffen, Bleibendes, mit Zahlen allein nicht Abzuschätzendes.

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