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Ein stoischer Humanist

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Es widerstrebt mir entschieden, einen Nekrolog über György Sebestyen zu schreiben, weil ich damit gerechnet habe, daß er eines Tages die Grabrede über mich hal- ten würde, da er sieben Jahre jün- ger war. Das wäre bei ihm, der ein schneller und gescheiter Formulie- rer war, in guten Händen gewesen. So weiß ich nicht, wo und wie ich anfangen soll.

Wir lernten einander bald nach dem Scheitern des ungarischen Aufstands von 1956 kennen, an dem er als Mitglied des revolutionären Petöfi-Kreises und Anhänger des später hingerichteten neuen unga- rischen Kanzlers Imre Nagy teilge- nommen hatte. Er kam, ein ent- täuschter junger Linker, nach Wien und blieb, im Unterschied zu vielen anderen seiner Landsleute, die nach Nord- und Südamerika weiterzo- gen, hier, weil er als Kind jüdischer Eltern deutsch sprach. Für einen emigrierten Schriftsteller war die Kenntnis der Sprache des Gastlan- des sehr wichtig. Und außerdem - wo sollte schon ein Budapester hinziehen, wenn nicht nach Wien, das für Ungarn, wie er selbst sagte, seit jeher das Tor zur großen Welt war?

Da auch ich, ein in Budapest geborener Serbe und ein ebenso enttäuschter Linker nach Wien geraten war, fanden wir zwangs- läufig zueinander und wurden bald Freunde. Es war ganz natürlich, daß zugereiste Außenseiter, die wir beide waren, einander mit Rat und Tat beizustehen versuchten. Zu Anfang war ich es, da ich schon einige Erfahrungen in der Fremde gemacht hatte, der ihm nach mei- nen bescheidenen Möglichkeiten half, ein bißchen Fuß zu fassen, doch später war er es, der mich über manche Niederlagen hinwegtröste- te.

Die gewaltsamen Veränderungen, die Hitler in europäischen Gefilden verursacht hatte, wirkten und wir- ken noch immer nach, doch mein neuer Freund György ertrug den Verlust seiner Heimat mit einem heiteren Stoizismus, den er von seinen jüdischen Vorfahren geerbt hatte. Das hieß jedoch nicht, daß er sich mit der Welt, so wie sie war, abfand.

Er hätte sich sicherlich dagegen gewehrt, als ein engagierter Schrift- steller bezeichnet zu werden, und doch war er als Romanautor, Er- zähler, Dramatiker, Kritiker, Re- dakteur und Herausgeber einiger Zeitschriften auf vielfache Weise engagiert, nicht im Sinne einer Ideologie, sondern im Sinne eines altmodisch gewordenen Humanis- mus, der von den Ideologen ver- schiedener Provenienz immer wie- der unterdrückt wird.

Die Zeit der großen Worte, unter denen die Wirklichkeit verschüttet wurde, war für uns endgültig vor- bei. Es hieß nun, durch Selbster- kenntnis, ganz bescheiden, im klei- nen Rahmen, aber zielbewußt und beharrlich einen neuen Anfang am Bau der allgemeinen Menschenlie- be zu machen, dessen Bausteine die Menschen sind. Lange bevor sich der endgültige Zerfall der kommu- nistischen Diktaturen abzuzeich- nen begann, trug er durch persönli- che Kontakte in den Ländern des sogenannten Ostblocks, vor allem in Ungarn, einiges zur Veranke- rung und Verbreitung des Freiheits- gedankens bei, der nicht einmal bei uns im Westen eine Selbstverständ- lichkeit geworden ist, weil wir nach wie vor im Obrigkeitsdenken be- fangen sind.

Györgys Waffen waren nicht nur sein klarer und präziser Stil, son- dern auch sein Humor und seine Selbstironie, die ihm halfen, über tausenderlei Widerstände - er war ja eine Art Tschusch wie ich - und über viele Rückschläge hinwegzu- kommen. Er war, wie wir alle, kein Held, aber er war tapfer und flei- ßig, ja tapferer und fleißiger als die meisten von uns im Kampf gegen die Dummheit, der aussichtslos zu sein scheint. Es blieb ihm als Stoi- ker nichts anderes übrig, als sich in die große Schlammschlacht zu begeben.

Ich habe ihn geliebt so wie er war, mit all seinen Widersprüchen, Schwächen und Tugenden, zu de- nen vor allem seine Geduld gehör- te, ich habe ihn geliebt wie einen eigenen Bruder. Den Ausdruck „die Tschuschen-Brothers" hat er für uns beide geprägt. Wir wurden tat- sächlich oft miteinander verwech- selt, weil für die Österreicher oder die Deutschen ein Tschusch so gut aussah wie der andere. Das machte uns nichts aus - wir waren nicht eitel und hatten zudem ein echtes verwandtschaftliches Gefühl für- einander.

Ich kannte seine Eltern, seine Frauen und seine Kinder, die alle zu einer großen Familie gehörten. Er sprach mit meinen Eltern, so- lange sie noch lebten, ungarisch, und sie freuten sich darüber. Er war ein Stück des größeren Öster- reich, das aus Wien eine nach allen Seiten hin offene, liberale und men- schwürdige Stadt zu machen ver- spricht. Ich werde unsere nächtli- chen Gespräche über diese zarte, aber durchaus realisierbare Utopie vermissen, die durch instinktlose Politiker hoffentlich nicht zunich- te gemacht wird.

Genauso wie es mir schwer fiel, einen Anfang zu finden, habe ich auch Schwierigkeiten mit dem Ende meiner Rede, weil alle Worte ange- sichts des Todes brüchig und schal klingen. So kann ich nur hoffen, daß mein Freund und Bruder Györ- gy gewußt* hat, wie sehr ich ihn geliebt habe. Er wird mir fehlen bis ans Ende meiner Tage.

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