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Ein Streik der Frauen

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Warum sprechen wir vom Geburtenrückgang und nicht von der Geburtenentwicklung, wenn wir das generative Verhalten oder die Fruchtbarkeitsrate analysieren? Der Begriff „Rückgang“ ist nicht neutral, er signalisiert eine ganz bestimmte Position, nämlich die, daß es nicht gut ist, wenn die Geburtenzahl abnimmt. Dies wird auch im gängigen bevölkerungswissenschaftlichen Ansatz deutlich, der lediglich die Folge-

Probleme der verringerten Fruchtbarkeit für den Bevölkerungsaufbau analysiert, für die Wirtschaft oder das Bildungswesen, nicht jedoch für das einzelne Individuum und auch nicht nach Motiven für dieses Phänomen fragt.

Ebenfalls kommt nicht zur Sprache, daß eine gleichbleibende oder sinkende Geburtenrate auch positive Auswirkungen haben kann.

Diesem Erklärungsmuster entspricht auch die Vorgangsweise, daß die hohen Geburtenzahlen der beginnenden sechziger Jahre als Vergleichsbasis verwendet

werden, kaum jedoch Vergleiche mit früheren Dekaden hergestellt werden. Dabei handelt es sich doch gerade bei dieser Generation von Eltern um einen „historischen Ausreißer“: 91 Prozent der zwischen 1930 und 1945 Geborenen haben geheiratet, nur acht Prozent von diesen sind kinderlos geblieben, sie sind die kinderreichste Generation dieses Jahrhunderts.

Da Kinderhaben gesellschaftlich überwiegend auf die Frauen reduziert wird, also aus einem „biologischen Faktum eine soziale Konsequenz“ erwächst, stellt sich aufgrund des gegenwärtigen generativen Verhaltens die Frage: Streiken die Frauen?

Der Streik ist eine Erscheinungsform der Arbeitswelt, ein Interessenkonflikt, ausgetragen, um bestimmte Vorstellungen durchzusetzen und Ziele zu erreichen. Auf unser Thema angelegt, könnte dies folgendes heißen:

Daß die Geburtenzahlen einmal Teil von Familie damals wie auch Teil von Familie heute sind, wurde ebensooft erwähnt wie die ökonomischen Gründe, warum Frauen früherer Generationen viele Kinder hatten. Heutzutage ist Elternschaft nicht mehr ein Dienst

an der nachfolgenden Generation, sondern ist zur Lebensform für Mütter (und Väter?) geworden; dies bedeutet Zeit- und Kraftaufwand, da die Phase des Kind(er)habens intensiv gelebt und erlebt wird. Wenige Kinder begünstigen dieses Konzept.

Der Geburtenrückgang wird häufig mit dem Leben in Wohlstand und der weiblichen Berufstätigkeit in Zusammenhang gebracht. Unsere Lebenshaltungskosten sind hoch, gesellschaftliche Normen bestimmen, wie wir zu leben haben und welchen Standard wir den Kindern zu bieten haben, was Ausbildung, Freizeit, Kleidung betrifft. Dadurch sind die Kinderkosten hoch geworden. Nicht aus Wohlstandsgründen „leistet“ man sich keine Kinder, sondern der finanzielle Spielraum verhindert kinderreiche Familien.

Die höhere Bildung, mit der die potentiellen Mütter ausgestattet sind, ermöglicht und erfordert ein selbständiges Planen der Zukunft. Die jungen Frauen orientieren sich nicht mehr an den vorgelebten Verhaltensmustern ihrer Mütter, sondern definieren ihre eigenen Lebenspläne.

Ein höherer Bildungsabschluß verstärkt die Berufsmotivation. Die eigene Berufstätigkeit ermög-

licht finanzielle Unabhängigkeit und eine gewisse Verfügbarkeit über die eigene Zeit, die allein schon durch den Rhythmus Arbeitszeit —Freizeit vorgegeben ist. Dies wird noch verstärkt durch ein gesellschaftliches Wertesystem, das Mobilität, Freizeit und Konsum postuliert.

Ein oder zwei Kinder ermöglichen einer Frau das Kinderhaben und ein Stück eigenes Leben eher, zumal partnerschaftliche Familien- und Haushaltsführung mehr die Ausnahme als die Regel sind, aber „Kinder sind Konkurrenten der Partnerschaftlichkeit. Je mehr Kinder da sind, desto mehr lebt auch anstatt der Partnerschaftlichkeit das alte patriarchalische System in der Ehe wieder auf“ (H. W. Jürgens).

Wenn Frauen, deren Männer sich aktiv an Haushalt und Kinderbetreuung beteiligen, stärker zu einem weiteren Kind bereit sind, könnte dies doch eine Antwort auf die Frage nach dem Grund für einen vermuteten Gebärstreik der Frauen sein.

Die Autorin ist Lehrkraft an der oberösterreichischen Landesakademie für Sozialarbeit. Der Beitrag zitiert gekürzt ihren Aufsatz in der Zeitschrift „Startbahn“

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