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Ein Stück Himmel

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Luxus und Not, Überfluß und Armut in Brasilien: Die Kirche steht „mitten in“ und nicht „über“ den dortigen Widersprüchen und soll doch Zeichen der Hoffnung, Licht der Völker sein.

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Luxus und Not, Überfluß und Armut in Brasilien: Die Kirche steht „mitten in“ und nicht „über“ den dortigen Widersprüchen und soll doch Zeichen der Hoffnung, Licht der Völker sein.

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Die Diözese Barreiras wurde heuer zehn Jahre alt. Sie liegt im Bundesstaat Bahia, im Nordosten Brasiliens, 1000 Kilometer von der Küste entfernt. Die Diözese hat fast die Fläche Österreichs (72.000 Quadratkilometer) mit etwa 300.000 Einwohnern - aber niemand weiß es genau. Vielleicht erfahren wir es besser bei der nächsten Volkszählung 1990.

In Brasilien werden die Gegensätze und Widersprüche immer größer. Alles läßt sich über dieses Land sagen:

„Die Grundcharakteristik der brasilianischen Gesellschaft ist ihr profunder Dualismus. Einerseits -und das zeigen die wirtschaftlichen Indikatoren - gibt es hier eine moderne Industriegesellschaft, die schon an achter Stelle in der Weltwirtschaft liegt und die sich in den

vergangenen 40 Jahren als sehr dynamisch erwiesen hat (auch wenn das Wirtschaftswachstum in der letzten Dekade deutlich zurückgegangen ist.Anderseits aber - und das zeigen die sozialen Indikatoren - existiert hier eine primitive Gesellschaft auf purem Subsistenzni-veau, und zwar sowohl auf dem Land als auch unter den miserablen Bedingungen der Randexistenzen in den Städten; diese zeigen Grade von Armut und Unwissenheit an, die man nur mit den rückständigsten Gesellschaften in Afrika oder Asien vergleichen kann. Die erste Gruppe ist eine Minderheit, während die zweite Gruppe etwa 60 Prozent der Gesamtbevölkerung umfaßt.“ (He-lio Jaguaribe, Brasil - reforma ou chaos, Rio de Janeiro 1989).

Aber diese Aussagen sind relativ, denn die einzelnen Regionen des Riesenlandes sind sehr verschieden entwickelt. Auch in der gleichen Stadt leben Erste und Dritte und Vierte Welt nebeneinander. Vor allem der Süden (mit Säo Paulo) ist industriell hochentwickelt, der Norden (besonders der Nordosten) ist dagegen die Problemregion des Landes. Aber „Nordosten“ gibt es ebenso in der Peripherie von Rio und Säo Paulo, was aber die Touristen meistens kaum zu Gesicht bekommen.

Die Landwirtschaft kennt noch größere Gegensätze. Neben immensen Latifundien (in meiner Diözese gibt es solche mit 340.000 Hektar) gibt es im Süden und jetzt auch in anderen Gebieten eine hochentwik-kelte exportorientierte Agrarindu-strie, und daneben vegetieren die kleinen Bauern und die Millionen Landlosen, für die die „brasilianische Gesellschaft“ (nämlich die Eliten, die das Land immer regiert haben) eigentlich keinen Platz hat. Man hat manchmal den Eindruck, sie stehen den großen Entwicklungsplänen im Weg. Das sind aber mindestens 20 Millionen Menschen. Auch die Indianer sind ja ein „Hindernis“!

Daher geht die Landflucht, die Konzentration der Bevölkerung in den Großstädten, ungebrochen weiter - mit all den sozialen Folgen. „Mitten in“ (nicht „über“) diesen Widersprüchen steht auch die Kirche und soll Zeichen der Hoffnung und Licht der Völker sein!

Meine Bischofsstadt Barreiras zeigt all das im kleinen. Barreiras war bis vor wenigen Jahren eine unbekannte Kleinstadt im Landesinneren. Seit etwa 1982 bildete sich westlich von Barreiras eine neue

Agrarfront. Sie wird getragen von Brasilianern aus dem Süden (deutscher, italienischer und polnischer Abstammung) und von Japanern (und dem von Japan finanzierten Projekt JICA: Japan International Cooperation Agency).

Hier geht es um den Anbau von Sojabohnen, großteils für den Export. Barreiras ist das einzige städtische Zentrum der Region mit jetzt rund 90.000 Einwohnern und rapidem Wachstum. Der Sojaboom schafft hier eine doppelte Gesellschaft. Die Exportwirtschaft verdient gut. Man nennt das dann „Fortschritt“ oder „Entwicklung“, aber es liegt auf der gleichen Linie wie der Kaffee-, Kautschuk- und Zuckerrohrboom. Es war immer eine kleine Gruppe, die an dieser Monokultur gut verdient hat und verdient. Die Masse des Volkes wird erzogen, diesen sogenannten Fortschritt zu bewundern, hat aber keine Chance, daran teilzunehmen.

Diese Gegensätze wirtschaftlicher und sozialer Art führen zu Spannungen und Konflikten in der Kirche und mit der Kirche. In dem Maß, in dem die Kirche zugunsten der Armen, der Landarbeiter, für gerechte Löhne, zugunsten der Menschenrechte Stellung bezieht, gerät sie unweigerlich in Konflikt.

Und was heißt hier - soziale Reformen? Ist es da genug, die katholische Soziallehre zu lehren? Der Sozialismus hat angeblich abgewirtschaftet, „unser“ Kapitalismus hier ist aber verantwortlich für die schreienden Ungerechtigkeiten. Wir spüren recht deutlich, daß ein großes Defizit an sozialökonomischen und politischen Theorien besteht: Welche Gesellschaft sollen wir an-

streben? (Diese Frage stellt sich ja auch in den sich umformenden Oststaaten Europas.)

Seit Jahren haben wir uns in der Diözese für die Rechte der Landarbeiter eingesetzt, für die Landreform. Dies hat uns große Schwierigkeiten gebracht und praktisch zum Bruch mit den politisch und wirtschaftlich Führenden geführt. Daß die Patres und der Bischof dabei als Kommunisten bezeichnet werden, ist eher kurios.

Nach dem Ende der Militärherrschaft gab es immer wieder Perspektiven oder menschliche Hoffnungen auf „Befreiung“, Demokratisierung des Landes, Aussichten auf eine Agrarreform, soziale Reformen und so weiter. Inzwischen ist das alles steckengeblieben, die Form der Demokratie hat nicht zu mehr Gerechtigkeit geführt. Während das privat organisierte Fernsehen eine Scheinwelt des Konsums vorgaukelt, schreiben die Zeitungen täglich von den vielen ungelösten Problemen.

Die Mörder des Gewerkschafters Chico Mendes und deren Hintermänner sind bis heute nicht verurteilt. “Ein Rechtssystem, das nicht funktioniert, ist ein Trauma. Als Bischof bin ich täglich mit diesen

Fragen konfrontiert, erlebe diese Probleme seit zehn Jahren und sehe nur ganz selten Lösungen. Besonders bedrückend ist, daß es für Jugendliche auf dem Land einfach keine Arbeit gibt.

Japaner finanzieren in unserem Gebiet - was? Straßen, Elektrifizierung und Lagerhäuser für Soja. Und ich frage mich: Wer finanziert unser Krankenhaus? Es ist das einzige in der Diözese, hat 130 Betten und ist seit zwei Jahren im Umbau, es fehlt an Geld. Wer finanziert Wohnungen, damit der Stadtrand nicht völlig in Elendsviertel umgewandelt wird? Wer finanziert die Wasserversorgung?

Wir als Kirche, was sollen wir tun? Im Juli begleitete ich auf dem Lastwagen die Landarbeiter zur Wallfahrt nach Born Jesus da Lapa (400 Kilometer von hier). Heuer war das Thema: „Wurzeln in der Erde -Kämpfe und Gesetze des Volkes“. Das Volk muß sich seiner Wurzeln bewußt werden und sie stärken. Denn das Land verlieren, heißt auch den Glauben verlieren, die eigene Kultur verlieren. Nur wer fest verwurzelt ist, kann auch in Zukunft bestehen.Und die Menschen in der Stadt, schon „entwurzelt“, wie sollen die überleben? Es gibt nur den Weg der Gemeinschaftsbildung in den verschiedenen Formen - Glaube lebt mit und durch Gemeinschaft. Und in einer Zeit, da wenig menschliche Hoffnungen da sind, muß die Verwurzelung im Glauben stärker werden, die Mystik des Glaubens wachsen.

Die Bischöfe schrieben in einem Dokument im April: „Der Christ hat aufgrund seines Glaubens Motive zur Hoffnung: Gott macht sich als Retter gegenwärtig in der Geschichte; er inspiriert immer neue Kräfte zum Aufbau einer neuen Welt nach seinem Plan der Liebe.“ (Ethische Erfordernisse einer demokratischen Ordnung, Brasilia 1989)

Wir lernen wieder: Es gibt keine schnellen Erfolge. Die Kirche braucht den langen Atem, die geduldige alltägliche Arbeit: Erwachsenenbildung, religiöse und politische Bildung, Einüben der Gemeinschaft. Die Kirche darf dabei freilich keine Sprünge zurück machen, sonst verliert sie ihre Glaubwürdigkeit. Aber in der geduldigen, steten Arbeit liegt die Hoffnung. Die Kirche muß mit den Menschen gehen, mit-gehen, vielleicht manchmal schweigend, aber solidarisch, verständig, barmherzig, orientierend. Und sie muß die Oase sein, wo man feiern kann, wo ein Stück „Himmel“ da ist, das gibt Kraft zur Ausdauer, zum Überleben.

Der Alltag ist für viele Brasilianer grau und sehr staubig, kirchliche Gemeinschaft muß der Raum sein, wo man sich „trifft“ und sich so mit Gott treffen kann.

Der Autor ist als Benediktiner des Stiftes Kremsmünster in die Mission gegangen und seit zehn Jahren Bischof von Barreiras.

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