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Ein Stück mehr Privilegienabbau ?

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Am 14. Oktober wird der Ehrenbeleidigungsprozeß, den die niederösterreichische Volkspartei gegen Justizminister Ofner angestrengt hat, fortgesetzt. Die verfassungsrechtliche Problematik bleibt offen.

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Am 14. Oktober wird der Ehrenbeleidigungsprozeß, den die niederösterreichische Volkspartei gegen Justizminister Ofner angestrengt hat, fortgesetzt. Die verfassungsrechtliche Problematik bleibt offen.

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Seit jeher unterschied man im Verfassungsrecht zwei Formen der Immunität von Abgeordneten:

• die berufliche Immunität für Handlungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der parlamentarischen Arbeit (z. B. Ehrenbeleidigungen im Rahmen einer Debatte).

• die außerberufliche Immunität, die zwar einen Strafanspruch entstehen ließ, dem jeweiligen Vertretungskörper aber das Recht gab, einen seiner Abgeord-

neten der Strafverfolgung wegen eines Deliktes, das nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der parlamentarischen Tätigkeit stand, zu entziehen — freilich nur für die Dauer seiner Abgeordneteneigenschaft.

Den Auslegungskünsten von Bundeskanzleramt und Justizministerium ist es zu verdanken, daß diese klare Rechtslage sich nun ausgerechnet durch die Verfassungsnovelle 1979, die als Musterbeispiel für „Privilegienabbau“ propagiert wurde, gravierend zugunsten der Abgeordneten geändert haben soll.

Der Juristenstreit um die Auslegung dieser Verfassungsnovelle aktualisiert sich — dank einer couragierten Richterin — nun auch anhand eines praktischen Falles, der ausgerechnet Justizminister Harald Ofner betrifft.

Aufgrund der Privatklage des Landesparteivorstandes der niederösterreichischen Volkspartei kam ein ganz gewöhnliches Strafverfahren wegen „übler Nachrede“ (§ 111 Strafgesetzbuch) ins Rollen, in dem der Justizminister

Beschuldigter ist (FURCHE, 16 1983).

Nachdem Ofner sein Abgeordnetenmandat bereits zurückgelegt hat, könnte dieses Strafverfahren gegen ihn nun ohne weiteres fortgesetzt werden. Dies soll nun durch die erwähnte und — gelinde gesagt — sehr freie Auslegung der Verfassungsnovelle 1979 verhindert werden. Erlässen des Bundeskanzleramtes und des Justizministeriums zufolge soll die außerberufliche Immunität nun plötzlich über den Zeitraum der Zugehörigkeit des Abgeordneten zu seinem Vertretungskörper hinauswirken.

Eine derartige Argumentation wurde deshalb erst möglich, weil durch die Novelle im Artikel 57 Abs. 5 (Bundesverfassungsge-

sefe) der Satz „wenn es der Nationalrat … verlangt, muß die Haft aufgehoben oder die Verfolgung überhaupt auf die Dauer der Gesetzgebungsperiode unterlassen werden“ dahingehend vereinfacht wurde, daß man die Worte „auf die Dauer der Gesetzgebungsperiode“ herausstrich.

Dies erfolgte deshalb, weil die außerberufliche Immunität ohnehin - schon ihrer Natur nach — mit .der Zugehörigkeit zu einem parlamentarischen Vertretungskörper gleichzeitig und automatisch ende, und es dieser Worte daher nicht bedürfe.

Nun wird der Spieß plötzlich umgedreht: weil die Worte „auf die Dauer der Gesetzgebungsperiode“ durch die Verfassungsnovelle 1979 — im Zuge des „Privilegienabbaus“ wohlgemerkt — gestrichen wurden, soll die außerberufliche Immunität plötzlich von einem bloßen, nur für die Dauer der Zugehörigkeit zu einem Vertretungskörper wirkenden Verfolgungshindernis zu einem für alle Zeiten wirkenden persönlichen Strafausschließungsgrund geworden sein.

Diese, dem traditionellen Verständnis der außerberuflichen Immunität diametral entgegengesetzte Auffassung kann freilich dem Gesetz nicht entnommen werden, ohne es vorher mit viel Krampf mühsam in den Text hineininterpretiert zu haben.

Dafür sei nur beispielhaft die Argumentation von Peter Kostel- ka genannt, der in einem Aufsatz in „Der Staatsbürger“ (Beilage zu den „Salzburger Nachrichten“, Folge 13,1983) noch einen Schritt weiter geht.

Kostelka behauptet allen Ernstes, die außerberufliche Immunität habe sich durch die Novelle 1979 von einem Recht des Vertretungskörpers auf seine ordnungs gemäße Zusammensetzung (durch den Schutz einzelner Abgeordneter vor Strafverfolgung für die Dauer ihrer Zugehörigkeit) zu einem subjektiven Recht des einzelnen Abgeordneten gewandelt. Kostelka verwendet in diesem Zusammenhang den niedlichen Begriff des „ewigen Verfolgungshindernisses“.

Ein „ewiges Verfolgungshindernis“ ist freilich keines mehr. Es hat sich - unter der (öffentlichen) Hand — zu einem echten Strafausschließungsgrund gewandelt.

Bei derartigem sprachlichen Geschick verwundert es nicht weiter, daß Kostelka es fertigbrachte, „zusammenfassend festzustellen, daß der Verfassungsgesetzgeber von 1979 die außerbe-

rufliche Immunität drastisch eingeschränkt hat.“

Diese „drastische Einschränkung“ beschränkt sich bei näherem Hinsehen darauf, daß man den Strafverfolgungsbehörden das Recht gab, in den Fällen „offensichtlichen Nichtzusammenhangs“ zwischen der politischen Tätigkeit des Mandatars und dem von ihm verübten Delikt sofort Verfolgungsmaßnahmen zu setzen, ohne vorher beim jeweiligen Vertretungskörper ein Auslieferungsbegehren stellen zu müssen.

Der Versuch, durch den Begriff des „offensichtlichen Nichtzusammenhangs“ zwischen Delikt und politischer Tätigkeit einen Teil der Delikte, die nach früherem Recht bis zur Zustimmungserklärung des Vertretungskörpers unter den Schutz der außerberuflichen Immunität fielen, von vornherein auszuscheiden, brachte nur scheinbar eine Reduzierung der außerberuflichen Immunität.

Einerseits, weil der betreffende Abgeordnete in jedem Fall das Recht hat, auf eine Entscheidung seines Vertretungskörpers über das (Nicht-)Vorliegen eines solchen „Zusammenhangs“ zu bestehen und damit jede Verfolgungsmaßnahme bis zu diesem Zeitpunkt zu verhindern. Andererseits, weil gleichzeitig der verbleibende Rest an Fällen außerberuflicher Immunität, in denen es nicht offensichtlich ist, daß kein politischer Zusammenhang zwischen dem Delikt und der Tätigkeit des Abgeordneten besteht, nun interpretativ von Fällen außerberuflicher Immunität zu solchen beruflicher Immunität gemacht werden soll.

Unter dem Strich ergäbe sich damit sogar ein beträchtlicher Privilegienzuwachs für unsere Volksvertreter.

Eines steht jedenfalls fest: vor dem „Privilegienabbau“ durch die Immunitätsrechtsnovelle 1979 wäre der „Fall Ofner“ völlig klar gewesen. Der Justizminister hätte sich fraglos als Beschuldigter vor Gericht verantworten müssen. Nun scheint das plötzlich nicht mehr so sicher zu sein.

Der Autor ist Assistent am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien.

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