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Ein Tiefpunkt ist notwendig

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Monere „Olympier“ — darunter mehr Funktionäre als Sportler — mußten erst in das Land der aufgehenden Sonne fahren, ehe ihnen selbst ein Licht aufging.

Nun steht die Presse und mit ihr die öffentliche Meinung der westlichen Welt in seltener Einmütigkeit hinter dem Gedanken einer Refor-mativen Olympias, wie in den mannigfachen progressiven Entwürfen, etwa jenem einer ehemaligen Ski-rennläuferin aus den USA, die sich selbst vor vier Jahren zum olympischen Meineid hatte zwingen lassen. Ein Risorgimento in dieser Richtung zieht zweifellos neben der sachlichen auch eine personelle Umfunk-tionierung des IOC nach sich — die Kreise des Exklusivzirkels weltfremder Querköpfe werden zerstört, und der Einzug demokratischer Spielregeln im Zusammenhang mit der Beachtung primitivster Rechtsgrundsätze — wie etwa des „audiatur et altera pars“ — ist dann nicht mehr aufzuhalten.

Nicht so optimistisch ist die Entwicklung der nahen Zukunft von der österreichischen Warte aus zu betrachten. In dem Land, dessen Funktionäre vielfach einen verhängnisvollen Hang zu wohltönenden Worten und halben Lösungen aufweisen, greift die Besorgnis Platz, daß nach dem Abebben der phänomenalen Schranz-Hysterie — noch nie gab es solch „ein einig Volk von Schranzen“ — in bewährter Manier der Übergang zur Tagesordnung erfolgt und alles beim alten bleibt. Auch wenn sich die Köpfe der Hauptverantwortlichen an dem blamablen Auftreten Österreichs in Sapporo nach heftigem Wackeln wieder einpendeln sollten, anstatt zu rollen — die Personen selbst sind nur ein Spiegelbild des in seiner Gesamtheit unbefriedigenden Systems.

Wie groß war doch allseits die Hoffnung nach der Gründung des ART (Austria Racing Team), wie hoch wurde die Erwartungen geschraubt, daß der Pool den jahrelangen Firmenstreitigkeiten ein Ende bereiten und daß nach Schaffung einer halbwegs gesunden finanziellen Basis für den Skirennsport das goldene Zeitalter angebrochen sei. Der Pool allerdings entpuppte sich spätestens in Sapporo als Pfuhl, und gerade im ungünstigsten Zeitpunkt wurden die egoistischen Interessen der einzelnen Skifirmen schonungslos demaskiert zum Schaden des Sports und der Athleten. Es ist gewiß kein nationales Unglück, daß Österreich diesmal die kümmerlichste Ausbeute an olympischen Medaillen in seiner traditionsreichen Wintersportgeschichte heimbrachte, doch an.gesichts der von Beginn an zu hoch gesteckten Erwartungen machte sich allseits eine gewisse Enttäuschung breit.

Meist ist ein gewisser Tiefpunkt notwendig, um ein Neuüberdenken der Situation herbeizuführen. Ohne eine tiefschürfende Analyse der Misere andeuten zu wollen, einige der Hauptursachen dafür liegen wohl klar auf der Hand. Es beginnt bei der ungenügenden rechtlichen Basis für das Sportwesen — die verfassungsmäßige Generalklausel zugunsten der Länderkompetenz stellt gerade auf diesem Gebiet einen Hort fruchtloser partikularistischer Rivalitäten und Intrigen dar. Der Anteil nicht zuletzt in dieser Verankerung der Funktionäre an der Krise hat einen gewissen Rückhalt.

Wenn beispielsweise der Tiroler Skiverband einen „Privatkrieg“ gegen die benachbarten Verbände führt, um etwa die Nominierung eines „landeseigenen“ Läufers durchzusetzen, und sich an solchem Tauziehen naturgemäß noch die einzelnen Skifirmen beteiligen, dann muß wohl eines jener seltenen Wunder eintreten, damit sich solche Verhältnisse nicht negativ auf Stimmung und damit auch Leistung innerhalb einer Mannschaft auswirken — von der häufig anzutreffenden Ubersensibilität der Hochleistungssportler ganz zu schweigen. Daß angesichts einer solchen Struktur eine gewissenhafte Vorbereitung kaum durchführbar ist, wen kann das noch wundern? Und wie sehr sich eine gründliche Präparation gerade für außergewöhnliche Verhältnisse — und solche waren in Sapporo zweifellos gegeben — bezahlt macht, läßt sich am Beispiel der Schweiz am besten illustrieren.

Die Entwicklung in Richtung Professionalismus — ob man nun die Armeeathleten der Oststaaten, die College-Sportler der USA, die französischen Zöllner oder österreichische Firmenangestellte anführt — ist ein Faktum, vor dem nur Heuchler und Träumer die Augen verschließen können. Der Unterschied liegt lediglich darin, daß es in Österreich an einer zentralen Koordination oder, brutaler ausgedrückt, an einer starken Hand fehlt, an den rechtlichen, ideellen und finanziellen Voraussetzungen, eine zielführende Aufbauarbeit möglichst unbehindert voneinander widersprechenden Einzelinteressen zu leisten. Das beginnt bereits bei der Talentförderung in der Schulzeit und endet beim Management der Spitzenkönner, wobei bewußt der Ausdruck „Management“ im Gegensatz zu dem landesüblichen leider so häufig „Vermachen“ gewählt ist.

Ob da nicht die Überlegung Platz greifen sollte, das Sportwesen einem zentral geleiteten eigenen Staatssekretariat zu unterstellen?

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