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Ein tragischer Projekteschmied

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Die Humanität von Heers publiz istischen Würdigungen des Lel:>enswerkes und der Persönlichkeiten von Menschen, die er schätzte, die diesen Arbeiten zugrundeliegende humane Grundüberzeugung, hat er selbst in einem Interview erläutert. Es ist dies eine Stelle, die vielleicht auch zu erklären vermag, wie es zu so manchen seiner widersprüchlichen Haltungen gegenüber einzelnen Personen

kommen konnte, aber auch, wie einige seiner auf den ersten Blick unverständlichen Würdigungen entstanden sein mögen.

Denn seine Grundtendenz, daß er in solchen Te????ten über · jema11deri fast immer nur das Positive und so gut wienie das Negative und Tragische, das' er,· wie auch in seinem eigenen Fall, lieber umschwieg, wird noch oft zu beobachten sein:

" Ich glaube, man kann meine Arbeiten nicht wirklich verstehen, wenn man nicht gerade auch noch in den kritischsten bemerkt, daß.es mir um ein requiem in aeternum geht. In diesem·Sinne unterscheide ich mich von Österreichern und anderen Typen geschichtsfremder Menschen. Noch die auf den ersten Blick kritischste Auseinandersetzung mit historischen Erscheinungen ist von mir aus eine Würdigung. Ich unterscheide allerdings . zwischen' akademistischen Laudationes ( ! ) und einer Würdigung, die wirklich im Gesamtprozeß, in der

Tragödie der Menschheitsgeschichte, von der wir nur wenige Akte, meistens nur Bruchstücke von Akten kennen, steht. Da versuche ich mit meinen bescheidenen Mitteln gerade auch in kritischen Auseinandersetzungen Menschen zu würdigen. Also in meiner inneren Sprache kommen Worte wie fertigmachen, liquidieren und so weiter nicht vor, ebenso wie ich nicht an Erfolg glaube, an letzten Erfolg. Nur bemühe ich mich, das Tragische meiner Existenz vielmehr zu umschweigen als hinauszuschreien."

Österreich und Deutschland sind, wie Heer sie immer beschrieben hat, nicht nur Länder, in denen mit Vorliebe Menschen publizistisch fertiggemacht und abgewürgt werden, sondern in'· denen auch, was vor allem für Österreich gilt, di???? verschiedensten kreativen Projekte und Ideen sehr gerne nicht ernstgenommen, ignoriert oder ihre Realisierung beziehungsweise Finanzierung hinausgeschoben oder eingestellt werden.

Heer, der, wie er schrieb, „kulturpolitische prospektive Entwürfe schockweise für die ministeriel ·len Papierkörbe und für andere Institutionen" machte und daher bei dieser Gegenheit Österreich als einen Papierkorb bezeichnete, konnte . davon wahrlich ein Lied singen. Eines dieser Projekte war ein Ende der sechziger Jahre für Robert Jungk eingerichtetes und minimalst dotiertes kleines Institut für Zukunftsforschung, für das sich Heer beim damaligen Bundeskanzler Klaus einsetzte und das bald wieder eingestellt werden mußte.

Ein anderes d????eser etwas später . noch beschriebenen Projekte, an denen Heer beteiligt war, war das ungefähr zur gleichen Zeit von Simon Wiesenthal projektierte Institut zur' Erforschung des Antisemitismus in.Österreich, für das auch heute noch hier nicht das geringste Interesse besteht. Eine weitere faszinierende Idee, die scheinbar nie über das Stadium der Projektie..: rung hinauskam, und die im Zusammenhang mit seinem ein Jahrzehnt später bei Ivan Illich vorgetragenen „Dialog der Untergründe" steht, beschreibt Heer 1963 in einem Brief an seinen amerikanisch- jüdischen Freund Arthur A. Cohen. Diese Zeilen sind auch ein wichtiges Zeugnis für das repressive und bedrückende gesellschaftliche Klima im Österreich dieser Jahre, für die einsame und hochumstrittene, deshalb auch umso tapfrere Position Heers, die er selbst oft als trost- und ausweglos empfinden mußte:

„Die letzten acht Monate haben mich erschöpft, und bis an den Rand der Selbstzerstörung gebracht. Zuerst war es das langsame Dahinsterben meines Vaters und meiner Stiefmutter, dann die ständig sich steigernden Cabalen und Intriguen, die sich nach Weihnachten zur offenen Verfolgung steigerten, und

um Ostern mir fast meine Stellung in Österreich gekostet hätten. Letzter äußerer Vorwand war meine Stellungnahmezu Hochhuths Stück ,Der Stell\�ertreter' „ .

Als Gegengewicht gegen alle Angriffe, Invektiven et cetera habe ich an meinem Hauptwerk ,Europa, Mutter der Revolutionen' gearbeitet . . . Ich möchte Sie um folgende Hilfe bitten: ich möchte in Wien ein Forschungszentrum für europäische Geistesgeschichte gründen, mit dem Schwerpunkt auf Untergrundforschung, europ. u. a. Antisemitismus etc. mit,zwei Abteilungen A) historische Untergründe (12.-19. Jahrhundert), B: zeitgeschichtliche (politische, religiöse, mentale Untergründe, die ja im kommenden gaullistischen Europa etc. wie auch im orthodox-kommunistischen und häretisch-kommunistischen Osteuropa von großer Bedeutung sind. Nun kann ich von den Mördern und Mitmördern hier aus verständlichen Gründen kein Geld für diese Erhellung ihrer Vergangenheiten bekommen. • Können Sie mir in Amerika behilflich sein? (Ich sprach vor kurzem mit Erich Fromm über dieses Projekt). "

Leider ist Cohens Antwort auf diese nach wie vor, ja heute in besonderem Maße aktuelle Idee nicht überliefert, und d????e Reaktionen darauf werden, da sowohl er als auch Fromm nicht mehr leben, wohl wie so vieles in der - selbst jüngstvergangenen - Geschichte nie mehr eruierbar sein.

Die Schreibung der Zitate folgt der originalen Friedrich Heers.

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