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Ein treuer Diener vieler Herren

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Vor 25 Jahren hat Andrej Gromyko die Leitung der sowjetischen Außenpolitik übernommen und auch behalten. Er ist damit der bei weitem dienstälteste Außenminister der Welt.

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Vor 25 Jahren hat Andrej Gromyko die Leitung der sowjetischen Außenpolitik übernommen und auch behalten. Er ist damit der bei weitem dienstälteste Außenminister der Welt.

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In der 64jährigen Geschichte der Sowjetunion ist Andrej And-rejewitsch Gromyko der sechste Außenminister, fünfter Nachfolger von Leo Trotzki, der mit Lenin die Revolution gemacht, aber dann Stalin im Machtkampf unterlegen ist. Wjatscheslaw Molo-to w leitet von 1939 bis 1949 und 1953 bis 1956 wenigstens formell die Außenbeziehungen.

Mit Gromykos Amtsantritt am 15. Februar 1956 wurde ein neuer Politikertyp mit der Außenpolitik unter dem Hammer-und-Sichel-

Emblem betraut. Gromyko ist durch und durch Berufsdiplomat, keineswegs von der harten und kompromißlosen Art eines Molo-tow oder Litwinow.

Der Aufstieg Gromykos setzt unter Stalin ein, ohne daß der spätere Außenminister schon so hoch gestiegen wäre, wie der vor drei Wochen verstorbene Michail Sus-low. Botschafter in den Vereinigten Staaten, Mitglied der sowjetischen Delegationen in Jalta, Potsdam und Teheran und ständiger sowjetischer Vertreter der Sowjetunion im Sicherheitsrat sind die wichtigsten Stationen des damals noch jungen Gromyko.

Als stellvertretender Minister ist Gromyko verlängerter Arm und Vollzugsorgan seiner Herren Molotow, Wy schinski und Schepi-low. Durch kluge politische An-

gleichung und absolute Loyalität übersteht er die spontane und widersprüchliche Personalpolitik Chruschtschows - ein Merkmal, das er später auch auf Breschnew überträgt.

Gromyko gehört zur sowjetischen Delegation beim Versöhnungsbesuch in Belgrad, er begleitet Chruschtschow nach Westeuropa und in die Vereinigten Staaten. Versöhnungsversuche

mit den aus dem sowjetischen Lager ausscherenden Chinesen sind mit dem Namen des Außenministers verbunden.

Praktisch keine außenpolitische Aktion des Kreml unter Chruschtschow und Stalin wird ohne Gromyko vollzogen. Das heißt auch Rückschläge: der Jubilar leitet den Rückzug nach dem Kuba-Abenteuer.

Die Freundschaft Breschnews erringt der gebürtige Weißrusse als ergebener Vollzieher der Westpolitik des Generalsekretärs. Nicht zuletzt deshalb wurde Gromyko 1973 ins Politbüro geholt. Dadurch ist Gromyko nicht nur am Vollzug der Außenpolitik beteiligt, sondern in den Ent-scheidungsprozeß selbst einbezogen.

Von diesem Zeitpunkt an wird der diplomatische Verkehr mit den Staaten der Welt von Gromyko selbst entschieden. Er trägt persönlich die Verantwortung für die Außenpolitik, in Abstimmung mit dem Generalsekretär, der sich dieses Ressort persönlich reserviert hat.

Gromyko als Außenminister prägt einen Stil, der vordem im Kreml unbekannt gewesen ist. Zunächst verfügt er über Fähigkeiten, die sonst in der Kremlführung nicht allzu oft anzutreffen sind. Er beherrscht Fremdsprachen und ist ein blendender Red-' ner, dem auch der Humor nicht fehlt Im Zeitalter derer, die ihre

Reden und Antworten vom Blatt ablesen, eine nicht immer gern gesehene Eigenschaft.

Der Herr über die sowjetische Diplomatie und die Schar jener, die mit geheimdienstlichen Aufgaben betraut sind, ist flexibel und menschlich ansprechender. Er ist Personifikation des einst von Lenin entworfenen Rezeptes im Umgang mit der Außenwelt: „Es ist notwendig, die stärkste Ergebenheit an die Ideen des Kommunismus mit dem Können zu verbinden, unabwendbare praktische Kompromisse einzugehen, zu lavieren, zuzustimmen, Zick-Zack-Wendungen und Rückzug zu praktizieren."

In der strategischen Zielsetzung ist Gromyko genau so hartnäckig wie beim Feilschen um Vertragsformulierungen. Allerdings verbreitet sich unter ihm der taktische Spielraum.

Gromyko — das heißt ein Vierteljahrhundert sowjetische Außenpolitik. Durch seine Person und die Länge seiner Amtstätigkeit ist auch in der Außenpolitik garantiert, was von einer überalterten Kremlführung zum Leitsatz gewählt worden ist: Stabilität und Kontinuität.

Der Tod von Suslow hat die Frage des Uberganges zur NachBreschnew-Ära wieder besonders in den Mittelpunkt gerückt. Gromykos Chancen, wenn schon nicht als Nachfolger, so doch als Königmacher steigen. Einmal befragt, was mit verfrühten sowjetischen Staatspensionären geschehen ist, antwortete Gromyko: „Unser Politbüro ist wie das geheimnisvolle „Bermuda-Dreieck": Wer hinausgeworfen wurde, verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen."

Ein derartiges Schicksal ist Gromyko, selbst schon tief in den Siebzigern, erspart geblieben. Als Diplomaten fehlt ihm die Hausmacht, um selbst die Spitze zu erklimmen. Wer immer es sein wird, er findet in Gromyko einen treuen Diener.

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