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Ein Über-Trajansforum

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Das Kunsthistorische Museum feierte am 17. Oktober seinen 100. Geburtstag. Der Bau war 1891 lange überfällig, denn die Burg hatte schon im 17. Jahrhundert zum größten Teil musealen Charakter, wie Alphons Lhotsky in der leider vergriffenen Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen des Hauses 1941 meinte.

Museen entstehen, wenn große Räuberhauptmännereinsammeln, was ihre Besitzgier erregt, oder wenn Ergriffene etwas retten, was sie liebevoll vor weiterer Plünderung und Zerstörung bewahren wollen, weil sie das Gewesene als Sinnvolles erkennen, vor dem es sich lohnt, „mit dem Hut in der Hand zu stehen" (Schopenhauer). Täglich wird heute irgendwo ein Museum für irgendetwas eröffnet, vielleicht fühlt oder fürchtet die Menschheit ihr Ende und möchte das, was sie für ihr Kostbarstes hält, für das Nachleben nach ihrem Tode aufbewahren.

Der schäbige Etikettenschwindel, der seit einem Vierteljahrhundert mit dem in der Kunstwissenschaft, die mit der Geschichte der Kunst zu tun hat, unbrauchbaren Wort „Historismus" betrieben wird, hätte in Gottfried Semper, dem Architekten der beiden Museen und der in jeder Hinsicht verunglückten Neuen Burg gewiß einen bitteren Feind gefunden. Das Rehabilitieren der von Semper für unerläßlich und heilsam gehaltenen Zersetzung verrät das nur psychoanalytisch aufhellbare Problem der Kunstgeschichte, die sich selbst für eine Geisteswissenschaft hält und doch leider in vielem barbarischen Umgang mit der Kunst pflegt. Die Kunst weiß selbstverständlich, daß die manichäische Alternative, zuerst das Fressen, dann die Moral, das Al-lerunmoralischste ist, was gedacht werden kann, denn das Leben und Lieben des Geistes ist unmöglich ohne das Wohnen des Geistes in der Kunst, das Gloriolen, Mandorlen, Höfe, Häuser, Städte und eben Museen baut für die Schutzflehenden, die auf dem Schlachtfeld des Lebens verloren gingen.

Die Gelehrten, die nach dem Tode des alten Kaisers Ferdinand (1875), dem die Kunstschätze des Hauses Habsburg gehörten, endlich daran gehen konnten, das seit 1857 geplante Museumsviertel einzurichten, wußten natürlich, daß die alte Betroffenheit des Menschen vor dem Bild Christi, der Madonna und aller anderen geschichtlichen Sujets nicht mehr wiederherzustellen war und versuchten folgerichtig, ein Bildungszentrum des Reiches aufzubauen. Semper wurde 1869 berufen, die Wettbewerbsprojekte, mit denen niemand zufrieden war, zu beurteilen.

Er war zur Erleichterung der Verantwortlichen klug genug, den riesigen Auftrag selbst an Land zu ziehen, indem er vorschlug, was schon von Siccardsburg und Van der Null 1858 im Projekt zur Stadterweiterung getan hatten, die Burg mit den Museen zusammenzuschließen und zwischen dem Leopoldinischen Trakt und den Hofstallungen ein geschlossenes Über-Trajansforum zu errichten, das die bürgerlichen Bauten der Ringstraße energisch in die Schranken weisen konnte. Franz Joseph ließ bauen, ohne auf die Neue Burg innerlich Wert zu legen - er soll jedesmal, wenn er durch den äußeren Burghof fuhr, auf die andere Seite geblickt haben.

Ringstraße und Lastenstraße und das Gefälle des Areals, das beim Thronsaaltrakt vier Meter tiefer liegt als an der Lastenstraße, machten den Architekten schwer zu schaffen, und so blieb das Werk, dem Kunsthistoriker „prometheisch-luziferische" Züge bescheinigen, liegen: niemand hatte jemals etwas anderes erwartet als majestätische Platzwände.

1908 verbot Franz Joseph endlich jedes Weiterbauen an dem riesigen „Steinhaufen", über den sich die Zeitungen furchtbar aufregten. Lhotsky's minutiöse Schilderungen lesen sich wie eine Herzmanovsky-Orlando'-

sche Kulturgeschichte des „Wien um 1900".

Selbst Otto Wagner amüsierte sich 1898 mit einem Projekt, die Hofburg fertigzustellen, und einen neuen, mit einer großen vergoldeten Kuppel versehenen Thronsaaltrakt anstelle des Leopoldinischen Traktes zu errichten, und die Museen mit Brücken über die Lastenstraße an einen riesigen dritten Exedrenbau anzuhängen, der dort zu stehen kommen sollte, wo Fischer von Erlachs Hofstallungen aus unerfindlichen Gründen etwas schief stehend sich noch heute befinden.

Wagners Schüler setzten noch 1912 die Hofburg Sempers und Wagners Variante, versehen mit einer Wagners Kapuzinerkirche (1898) und dem alten Museumsprojekt (1880) abgeschauten Kuppelkirche als Vatikan auf den Ölberg in Jerusalem. Zehn Jahre vorherhatte Hans Mayrdie Burg dort mit einer riesigen Betonkirche versehen, wo jetzt der Flakturm in der Stiftskaserne steht. 1912 war aber die Selbstzersetzung der alteuropäischen Welt schon etwas zu weit gediehen, als daß solche Projekte auch nur bemerkt hätten werden können.

Das Kunsthistorische Museum hat bisher allen Anschlägen der Kunst-Politiker widerstanden, und der Wut, auch noch Museen zu musealisieren, Ausstellungen zum Thema Ausstellung zu veranstalten und aberwitzige Millionen von ahnungslosen Touristen durch die Sammlungen zu treiben, die nur den Fußboden wegstiefeln, mit altösterreichischer Beamtenlist das Leben schwer gemacht. Es möge sich, zum Geburtstag sei das dem Jubilar gewünscht, vor allzuvie-len Aktivitäten, Privatisierungen, noch exzessiverer Verkaffeehäuserung und der Manie, Renaissancebarette zu verkaufen, bewahren, damit es 2091 noch vorhanden sei.

Der Autor ist Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

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