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Ein Verbrechen in lichtloser Nacht"

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Der 1935 in Berlin geborene Christoph Meckel, Autor dieser beiden bisher unveröffentlichten Erzählungen, gilt als einer der eigenwilligsten Lyriker der jüngeren Generation.

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Der 1935 in Berlin geborene Christoph Meckel, Autor dieser beiden bisher unveröffentlichten Erzählungen, gilt als einer der eigenwilligsten Lyriker der jüngeren Generation.

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Die Erzählung beschwört den Regen und das Gebirge. Wochenlange Nässe verbirgt ein Geschehen, das vermutlich von Landarbeitern entdeckt wird, im frühen Sommer, und ohne Erklärung bleibt.

Winterwasser stürzt auf die Hänge, zischt in Schauern durch Buchen und Tannen, fällt hundert Meter höher als Schnee in die Fichten, stäubt auf die Steine, dröhnt in die Felswannen, rutscht durch Wurzelhöhlen und Schrunden zu Tal, schießt zwischen gemauerten Bachwänden durch die Ortschaft und durch die Röhren der Brücke in den Fluß.

Es ist der durchdringende Regen des späten Winters. Die Holzplätze, Gärten und Almen sind menschenleer. Die Ortschaft, im Sommer belebt, ist zur Hälfte leer. Der Campingplatz, die Baracken der Gastarbeiter und die Häuser der Touristen sind unbewohnt. In der einzigen Bar wird getrunken und Skat gespielt. Wenige Lieferwagen stehen neben dem Denkmal, Bäckerei und Warenhandlung öffnen spät. Der Holzrauch wird flach und schnell von den Dächern gerissen.

Es ist eine Gegend, in der kein Verbrechen geschieht. Die Pyromanen und Wilddiebe sind bekannt. Der Schrecken ist lautlos und findet in Häusern statt: Trunksucht, Verwahrlosung, Haß, Prügelei und Inzest.

Der Ort des Geschehens ist ein leeres Haus, nicht weit von der Paßstraße, abgelegen am Berg. Wasser tropft von den schadhaften Ziegeln ins Unkraut, rinnt durch die Balkendecke ins Innere des Hauses, auf wertlose Tische und zerdellte Kannen, auf Geräte von Gastarbeitern, Schaufeln und Sicheln, die winterlang ungebraucht unter Spinnweben liegen. Petroleumlampe, Verschlage mit Strohmatratzen. Im Wandschrank Bierflaschen, Gläser und Reste von öl.

Der Morgen ist kalt, die Luft schallt von stürzendem Wasser. Ein Klopflaut erschüttert die Tür und gibt Echo im Haus. Ein Mann bricht Laden und Küchenfenster auf, steigt mühelos ein und verschwindet im Halblicht, setzt Ledermütze, Jacke und Tragbeutel ab, orientiert) sich, friert und macht Feuer im offenen Kamin. Er packt Konserven, Tabak und Schlafsack aus, bleibt unbeschäftigt in der rauchigen Wärme, feuernd, schlafend, das Haus nur bei Notdurft verlassend.

Tage und Nächte gehn unter der Nässe hin, die Zeit scheint dem Menschen keine Rolle zu spielen. Sein Bart ist unausgewachsen, die Kleidung gewöhnlich (Gummistiefel, Pullover und Leinenhosen). Er ist weder krank noch gejagt, weder hungrig noch satt, weder arm noch reich, ein Querläufer ohne Grund. Sein Alleinsein ist natürlich, fast heiter, jung. Ihm scheint nichts zu fehlen. Die Nässe beklemmt ihn nicht.

Die Umgebung des Hauses bleibt naß und menschenleer. Zweimal am Tag fährt ein Schulbus durch das Gebirge, der Verkehr ist unbedeutend und wird nicht beachtet, der Bewohner lebt ohne Befürchtung, entdeckt zu werden (einmal kauft er im Laden der Ortschaft ein).

Fünf Tage später wiederholt sich der Klopf laut, gibt Echo im Haus, überrascht den Bewohner im Schlaf. Ein alter Mann steigt ein, durch dasselbe Fenster. Die Entdeckung, daß ein Mensch das Gebäude besetzt hat, ruft rätselhafte Reaktion hervor. Der alte Mann ist erschrocken und lustig zugleich, weniger erschrocken als bösartig froh, auf eine Weise froh, die den andern nicht freut. Der wird betrachtet mit Scheelsucht und dumpfer Gewißheit.

Der Junge bleibt hinhaltend höflich und wartet ab. Er weiß, wo er ist, der andere erkundigt sich. Er bietet zu essen an, und der andere frißt. Er schüttet Wasser ins Glas, und der andere schluckt. Er hat geschlafen, der andere ist erschöpft. Er hat keinen Nebengedanken, der andere verbirgt sich. Die Nässe erübrigt Begründung oder Erklärung für die Anwesenheit des einen und des anderen. Es versteht sich von selbst, daß ein Mensch sich Zugang verschafft, an Essen und Trinken teilnimmt, sich wärmt und schweigt.

Man sitzt in der Wärme und schweigt, dann raucht man und redet. Die füchsische Wachheit des Alten befremdet den Jungen. Der Eingedrungene kann eine Waffe besitzen, es genügt, daß er wenig sagt und den anderen belauert. Die Verständigung schleppt sich hin durch zögernde Sätze. Das Ungesagte staut sich im Raum und füllt ihn, es gehört dem Alten, der Junge hat nichts zu verbergen.

Der Alte lacht unfroh und häufig, das Lachen ersetzt seine Sprache. Er redet in Andeutung von zermürbten Knochen, von Sauhatz, Nachtflucht, Verfolgung und Killerei. Er deutet an, daß er was zu fürchten hat. Sein Gelächter dreht Wut und Furcht in Bedrohung um. Der Junge spürt Unbehagen und zieht sich zurück. Der Alte nennt ihn Grünschnabel, Spucke und Schwein. Was hat er denn ausgefressen, wer ist er schon. Was kann er schon sein, im Ganzen, ein kleiner Dreck. Die Augen des schimpfenden Alten sind wässrig und eng. Seine Haut ist mitgenommen, die Kleidung verbraucht.

Die Nacht fängt an, man umschleicht sich, zögernd und lauernd. Die Geduld des Jungen wird weiter mißbraucht, der Alte verflucht ihn. Uber den Tisch weg packt er seinen Arm. Der Junge schüttelt die Hand ab und warnt ihn, springt auf. Das kommt dem Alten zurecht, daß der Grünschnabel aufspringt. Einer muß dran glauben, und wenn er es selbst ist.

Den heiser gelästerten Sätzen ist zu entnehmen, daß er Vernichtung will um jeden Preis. Er braucht sie für sich allein, er sucht seinen Mörder. Na los, bring mich um - worauf wartest du, leg mich um. Er packt einen Prügel vom Holzstoß und haut auf die Stühle. Der Junge steht an der Wand mit blutleeren Fäusten, er ahnt, daß Verteidigung sein Ende sein kann.

Der Alte ruft, daß er Schluß macht - oho, daß er weg will. Nicht auf die gewöhnliche Art wie die Tiere im Unkraut. Nicht auf die Art, die winselt und Frieden schließt. Daß ich dir einen Mord verpasse, du. Daß du mich umbringst, Scheißkerl, das wirst du behalten. Du wirst den Mord nicht vergessen, wer umbringt, vergißt nicht. Daß ich dir Totschlag und Tod vermache. Daß du mit heulender Schnauze weiterkommst. Daß du dreckiger lebst und länger als ich. Daß du mich umlegst, es bleibt was von mir auf der Erde.

Er packt ihn am Hals und versucht zu treten, der andere zwingt sich zur Notwehr. Der Alte will stürzen, den Kopf auf dem Boden zerschlagen. Er will zu Ende kommen — oho, ans Ende. Daß du mich endlich umbringst, du Miststück willst leben. Leben wirst du, aber wie — oho.

Nach einer Stunde ist der Junge geschlagen, beginnt sich zu wehren, reißt den Holzprügel an sich. Ratlosigkeit, drei Schläge gegen den Alten, Verzweiflung fiebernd und feucht im Gesicht. Daß ihn die Wutkraft des Alten ins Unrecht setzt, er selber zuschlägt, schuldlos, das ist sein Entsetzen. Ein Faustschlag macht ihn zum Mörder, der Alte stürzt; zerschlägt den Nacken an einer Bodenkante, und liegt bewegungslos, ohne Laut und Blutspur.

Der zum Mörder Gemachte ist allein mit dem Toten. Wasser gurgelt und sprüht in der lichtlosen Bergnacht. Was noch geschehen kann, geschieht, der Mörder packt ein, Tabak und Decke, vergißt die Konserven im Wandschrank. Er verläßt das Haus durch das Fenster, verschwindet im Regen, das niederbrennende Feuer verglüht in den Scheiten. Der Tote liegt kälter werdend im kalten Raum. Den Rest besorgen die Tiere und die Zeit.

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