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Ein vergeblicher Koalitionskuhhandel

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Die in Israel bereits gefeierte große Koalition ist doch nicht zustande gekommen. Denn Schamirs Parteigenossen sagten ein entschiedenes Nein zu den vom Likud-Führer ausgehandelten Bedingungen.

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Die in Israel bereits gefeierte große Koalition ist doch nicht zustande gekommen. Denn Schamirs Parteigenossen sagten ein entschiedenes Nein zu den vom Likud-Führer ausgehandelten Bedingungen.

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„Nach vier Wochen Koalitionskuhhandel sind wir wieder am Ausgangspunkt angekommen", sagte am vergangenen Montag morgens tieftraurig der Listenführer des sozialdemokratischen Maarach Shimon Peres zu seinen Parteifreunden. Drei Tage vorher hatte das ganze Land bereits die große Koalition zwischen dem Maarach und dem rechtsgerichteten Likud gefeiert, wobei die zwei großen Blocks, die zusammen 85 der 120 Parlamentsmitglieder stellen, je zwei Ministerposten hätten erhalten sollen.

Shimon Peres sollte in den ersten 25 Monaten Ministerpräsident sein, Yitzhak Schamir in den folgenden 25 Monaten, erstmals wäre somit ein Rotationsprinzip angewandt worden.

Offen blieb nur noch die Frage der Neuansiedlungen in den besetzten Gebieten. Auch hier war der sonst so hartnäckige Schamir bereit, mit sich reden zu lassen; denn, so Schamir: „Es gibt so oder so kein Geld für Neuansiedlungen." Zwei Juristen, einer aus der Likud-, einer aus der Maarach-Parlamentsfraktion, sollten hier eine für beide Seiten annehmbare Formel ausarbeiten.

Diese Bedingungen wurden in ungezählten Vier-Augen-Gesprächen zwischen Peres und

Schamir ausgehandelt. Von Peres wurden sie auf Schamirs Bitten hin dann schriftlich an Ort und Stelle im King-David-Hotel in Jerusalem formuliert, und Schamir schrieb sich diese Grundlagen für eine neue Regierung auf einem Bogen Papier für sich selbst ab. Denn nicht einmal ein Stenograph hatte an den Geheimgesprächen teilnehmen dürfen.

Schamir willigte auch ein, daß der ehemalige Ministerpräsident des Maarach bis zur Ubergabe der Regierung 1977 an den Likud, Yitzhak Rabin, viereinhalb Jahre lang während der Zeit der großen Koalitionsregierung als Verteidigungsminister fungieren sollte.

Doch Schamir mußte erst einmal das Einverständnis seiner Minister-Kollegen in der Cherut-Partei und im gesamten Likud-Block einholen.

Am Sonntag, dem 2. September, versammelte Schamir seine Li-kud-Minister im Ministerpräsidentenbüro in Jerusalem und verkündigte ihnen stolz die ausgehandelten Bedingungen für eine große Koalition. Kaum war Schamir mit seinem Latein am Ende, brach der große Sturm los.

Als erster meldete sich Verteidigungsminister Mosche Arens zu Wort. Dieser hatte noch einige Tage zuvor feierlich erklärt, daß er für eine große Koalition zwischen Maarach und Likud auf sein hohes Amt verzichten würde. Jetzt aber attackierte er Schamir, wie er sich gegenüber Peres verpflichten konnte, ohne vorher die Einwilligung seiner Partei eingeholt zu haben. Und dann sprach er sich gegen die Ubergabe des Verteidigungsministeriums an Rabin aus.

Auch der stellvertretende Ministerpräsident David Levi war Feuer und Flamme gegen Schamirs Abmachungen mit Peres. Alle anderen Minister folgten ihm. So ließen die Likud-Minister fast kein gutes Haar mehr an den von

Schamir und Peres ausgearbeiteten Bedingungen.

Einer von ihnen meinte: „Heute haben wir die Mehrheit der Fraktionen hinter uns." Und: „Wir allein müssen die Bedingungen diktieren."

Sie diktierten sie tatsächlich: Entweder soll Schamir die gesamte Amtszeit über Ministerpräsident der großen Koalition sein oder es soll eine einjährige Rotation eingeführt werden. Auch das Verteidigungsministerium soll entweder in der Hand des Likud bleiben, oder auch hier soll eine einjährige Rotation vorgenommen werden.

Es war klar, daß ein solcher Vorschlag nicht akzeptabel und nicht ausführbar ist. Aber die diversen Likudminister hatten plötzlich gemerkt, daß viele von ihnen auf ihre hohen Posten verzichten müßten, wenn eine große Koalition zustande käme. Keiner von ihnen war hierzu bereit.

Maarach beschloß nun seinerseits, daß er unter diesen Bedingungen in keine große Koalition geht. Denn auch in der Ansied-lungsfrage hatte der Likud plötzlich seine Ansichten geändert. Er stellte nun zur Bedingung, daß die neue Regierung a priori die Errichtung von 26 neuen Siedlungen in den arabisch dicht bevölkerten Gebieten, die von Israel besetzt sind und früher bereits von der Likudregierung bestätigt worden waren, erneut bestätigen müsse.

Alles in allem: Der Likud war zu einer großen Koalition bereit -aber nur, wenn diese praktisch als Likudregierung fungierte. Die mühevoll ausgehandelten Kompromisse wurden von Schamirs Parteigenossen zurückgewiesen, der Traum der großen Koalition war damit ausgeträumt.

Nun bleibt noch die Möglichkeit einer kleinen Koalition für Peres offen. Doch auch hier gibt es große Schwierigkeiten, denn die kleinen religiösen Parteien stehen alle eher rechts und bekamen vom Likud bereits den Himmel auf Erden versprochen, wenn sie mit ihm zusammengingen. Der Maarach kann lange nicht so viele Kompromisse mit den Religiösen eingehen.

Peres hat noch zehn Tage Zeit für die Bildung einer Regierung. Dann ist auch die zweite Frist abgelaufen, die er vom Staatspräsidenten Chaim Herzog zur Bildung einer Regierung erhalten hatte. Dann wird es entweder Neuwahlen geben oder der Staatspräsident wird Schamir beauftragen, ein neues Kabinett zu bilden.

Die alte Regierung des Likud, die inzwischen als Ubergangsregierung weitermacht, funktioniert in keinem Fall. Die Wirtschaftslage verschlechtert sich von Tag zu Tag. Wirtschaftsreformen, obwohl schon ewig geplant, werden nicht in Angriff genommen.

Allein im August sah sich die Regierung gezwungen, weitere 180 Milliarden Schekel zu drucken, die nicht gedeckt sind. Die Devisenreserven, die sich bisher auf drei Milliarden Dollar belaufen haben, sind auf 2,4 Milliarden Dollar im August gesunken, das heißt, weitere 600 Millionen Dollar wurden verausgabt. Die Arbeitslosigkeit wächst von Tag zu Tag. Der Judenstaat aber ist weiter ohne handlungsfähige Regierung, und die Inflation galoppiert in schwindelnde Höhen.

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