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Ein vielfach Spätberufener

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In der Geschichte der Literatur kommt es selten vor, daß ein Autor bei der Veröffentlichung seines Erstlingswerkes schon im 54. Lebensjahr steht. Bei Heinrich Suso Waldeck war dies der Fall.

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In der Geschichte der Literatur kommt es selten vor, daß ein Autor bei der Veröffentlichung seines Erstlingswerkes schon im 54. Lebensjahr steht. Bei Heinrich Suso Waldeck war dies der Fall.

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Der am 3. Oktober 1873 in Wscherau bei Pilsen Geborene hieß mit seinem bürgerlichen Namen August Popp und stammte aus einer Lehrerfamilie. Nach Heinrich Seuse, latinisiert Suso (1295-1366), dem mittelalterlichen Sänger mystischer Gottesliebe, und dem Mädchennamen seiner Mutter, einer geborenen Waldeck, hat er sich als Dichter benannt, als 1927 sein erster Gedichtband „Die Antlitzgedichte” erschien.

Der junge Popp war nach den Gymnasialjahren in Pilsen und Komotau vorübergehend Finanzadjunkt, dann ging ihm 1895 die Missionspredigt eines Redemptoristen im niederösterreichischen Eggenburg derart zu Herzen, daß er 1896 als Novize dieses Ordens das Theologiestudium im steirischen Mautern begann. Nach der Priesterweihe im Jahre 1900 traf ihn ein schwerer Schicksalsschlag: der Selbstmord seines seelisch kranken Vaters. Des Sohnes angeschlagene Nerven veranlaßten diesen, sich von den strengen Ordensgelübden entbinden zu lassen und Weltpriester zu werden, zunächst in Wien, dann in der Grazer Diözese. Nach 1906 folgte ein Lebensabschnitt, den er in einer späteren Rückschau seine „wirren Jahre” nannte, eine Flucht aus dem Priesterdasein des an schweren Depressionen Leidenden in eine Existenz, die ihn auf die Dauer weder menschlich noch künstlerisch befriedigen konnte. Es sind die Jahre bis 1912, die er zumeist in Dresden als Beamter der Elbe-Dampfschiffahrt zubrachte, Jahre, die für den Biographen noch größtenteils in Dunkel gehüllte sind.

In seelischer und wirtschaftlicher Not kommt Popp 1912 nach Wien, wo der Hauptschriftleiter des Neuigkeitsweltblattes, Kirsch, den völlig Verarmten in seine Redaktion aufnimmt, und zwar, da keine andere

Möglichkeit besteht, als Sportredakteur. Eine entscheidende Wende für ihn bringt eine Aschermittwochpredigt seines einstigen Studienfreundes Franz Luger: Popp wird wieder Geistlicher und wirkt als Weltpriester in St. Othmar im dritten Wiener Gemeindebezirk, als.Religionslehrer an einer Mittelschule, schließlich als Spitalsgeistlicher im Lainzer Krankenhaus, woran später einzelne Stellen seines Romans „Lumpen und Liebende” (1930) erinnern. Doch seine erzählende Prosa (darunter „Hildemichel” und „Marguerite”) und seine Spiele („Das Weihnachtsherz”, „Legende vom Jäger und Jägerlein”) sind, an seiner Lyrik gemessen, nur Nebenwerk.

Zum Lyriker geboren

Wenn sein erster Lyrikband, „Die Antlitzgedichte”, der 1928 den Künstlerpreis der Stadt Wien erhielt, auch lange auf sich warten ließ, so hatte der Dichter doch schon früh zu schreiben begonnen. Er hatte ein feines Gehör für alle musikalischen Nuancen des Lyrischen. Reim und Rhythmus boten sich ihm an, brauchten nicht überlegt zu werden. Aus der Keimzelle eines dichterischen Wortes, eines begnadeten Bildes wuchs das Gedicht und hob die Antithese von Schein und Sein, von Oberfläche und Tiefe in der Synthese des Wortkunstwerkes auf. Er nannte solchen Vorgang magisch und empfand es als eine Lust, sich solcher Magie hinzugeben. Erste Anregungen hatte er schon in der Jugend empfangen von Hölty, Klopstock, Lenau, von Eichendorff und Brentano, besonders aber von den Lateindichtungen der Liturgie.

Antlitzgedichte! Viele Einzelzüge stehen im Antlitz des Menschen: Die Stirne kann Hohes und Heiliges denken, aber auch Satanisches ersinnen; die Augen können leuchten in maßloser Beglückung, aber auch schreckhaft starren in Augenblicken der Urangst der Kreatur. Die Falten des Gesichtes haben lust- und leidvolle Erfahrungen gefurcht. Und dann ist der Mund da, aufblühend im Kuß und Gegenkuß der Liebe, aber auch bitter sich schließend in Enttäuschung und Ekel, Hohn und Haß. Von all dem geben die, Antlitzgedichte” Zeugnis. Da ist „Der Ahn”, der alte Bauer, der schon zwischen Diesseits und Jenseits steht, da sind die „Sündenschlin-ger”, die Selbstgerechten, die sich eitel in ihrer Tugend bespiegeln, da ist „Der König im Bad”, der in seiner Nacktheit unerbittlich vor die Schein-Sein-Problematik gestellt wird, da ist „Der Kardinal”, in dessen Wesen sich Hoheit und Demut vereinigen. Als ein Beispiel solcher Begegnungen das Gedicht „Ein fremdes Mädchen”:

Es geht hier nicht um ein impressionistisches Augenblicksbild; in diese Tiefendimension kann nur ein durch Alter und Leid Gegangener gelangen. Das Fremde - das lesende Mädchen weiß nichts von einem Betrachter -wird dem Dichter zum inneren Eigentum, das er als Geschenk einer begnadeten Schau aufnehmen und in seine Ewigkeit tragen kann. Doch nicht nur Menschliches hat Antlitz, auch die Dinge in Natur und Alltag tragen es, weil sie ein Teil der Schöpfung sind.

Im Jahre 1937 wurde dem Dichter der Große österreichische Staatspreis für Literatur verliehen. Literarische Freunde hatten sich um ihn geschart, zu denen unter anderen Rudolf Henz, Oskar Katann, Friedrich Sacher, Ernst Scheibelreiter und Herbert Strutz gehörten, gelegentlich auch Richard Billinger und Paula Grogger. Im Cafe Goethehof, später im Fichtehof in Wien kam man zusammen, zur Aussprache über künstlerische Dinge, zu Lesungen, zur Erörterung philosophischer und religiöser Fragen - Suso Waldeck, dem sein Leiden, Angina pectoris und Diabetes, oft schlaflose Nächte bereitete, in denen er nicht allein sein wollte, sehnte sich nach solchem Beisammensein mit Freunden vom Abend bis oft in die frühen Morgenstunden hinein, wobei er allen ihm Nahestehenden, zu denen sich auch der Verfasser dieser Zeilen zählen durfte, sein Künstler- und Menschenherz öffnete. „Bohemien Gottes” pflegte man ihn in diesem Zusammenhang zu nennen.

Eine Art Alters-Exil

Die,se Zeit war vorbei, als im März 1938 die Deutschen in Österreich einmarschierten. Die „Geistliche Stunde”, in der Suso Waldeck ein Sprachrohr zur Öffentlichkeit in „Radio Wien” gefunden hatte, wurde eingestellt. Man brachte dann den kranken Dichter, dem das Wasser immer höher zum Herzen stieg, durch Vermittlung von Freunden in die Stille des oberösterreichischen Mühlviertels, in das Filialkloster der „Töchter des göttlichen Heilands”. Es war gut gemeint und doch für ihn eine Art Exil, weil er den literarischen Kontakt mit gleich-gesinnten dichterischen Freunden schmerzlich vermissen mußte, trotz der rührenden Pflege vor allem der Schwester Lioba, der er mit bewegenden Versen Dank sagte. Das Herz dieses Leidgeprüften war dem Leiden anderer immer geöffnet, das bekunden Gedichte aus der Zeit seiner Tätigkeit in der Spitalsseelsorge, wo er den Ärmsten der Armen begegnete.

Im Sommer seines Todesjahres 1943 war der Besuch des befreundeten Josef Weinheber mit seiner Gattin Hedwig die letzte Freude seines Lebens. Mit diesem Lyriker traf er sich ttotz mancher Gegensätze in dessen Ruf: „Öffnet die Herzen! Vom Bösen / kann nur die Sprache erlösen.” Am 4. September 1943 starb Suso Waldeck. Er ruht auf dem Friedhof von St. Veit. In Wien erinnert eine 1953 enthüllte Gedenktafel an der Außenwand der Kirche Maria am Gestade an ihn. Die Wiederbelebung seiner seit Jahrzehnten vergriffenen Dichtungen steht noch aus.

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