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EIN VORREITER IN DER VORSORG EM EDI ZI N

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Vorarlberg ist eines der wohlhabensten Bundesländer. Aber die Vorarlberger sind auch bereit, ihren Wohlstand solidarisch zu teilen. In vorbildhafter Weise stellt das Ländle Budgetmittel für die soziale Wohlfahrt zur Verfügung. Das Dossier stellt einige Schwerpunkte der Sozialpolitik des Landes vor. Redaktionelle Gestaltung: Im Josef Graisy

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Vorarlberg ist eines der wohlhabensten Bundesländer. Aber die Vorarlberger sind auch bereit, ihren Wohlstand solidarisch zu teilen. In vorbildhafter Weise stellt das Ländle Budgetmittel für die soziale Wohlfahrt zur Verfügung. Das Dossier stellt einige Schwerpunkte der Sozialpolitik des Landes vor. Redaktionelle Gestaltung: Im Josef Graisy

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Im Jahre 1964 wurde in Vorarlberg der Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin als gemeinnütziger Ärzteverein gegründet. Die Gründer gaben ihm die Aufgabe, „die Gesundheit der Bevölkerung des Landes zu erhalten und wiederherzustellen", das heißt Vorsorgemedizin und Rehabilitation zu betreiben. Diese beiden Bereiche sind auch heute noch die zwei Säulen, auf denen der Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin ruht.

Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Tätigkeit des Arbeitskreises war einerseits die Kooperation mit dem Land, den Gemeinden, den Sozialversicherungsträgern und anderen, andererseits der freiwillige Zusammenschluß vieler Ärzte für ein gemeinsames neues Ziel, nämlich die Vorsorgemedizin, die damals selbst als Begriff noch beinahe unbekannt war.

Eine weitere Bedingung, die wesentlich für das Erreichen möglichst weiter Bevölkerungskreise war, war der Entschluß, keine eigenen Vorsorgepraxen oder-ambulatorien zu gründen, sondern die Programme so zu gestalten, daß sie möglichst von jedem Arzt in der Praxis ausgeführt werden können. Die Arztordinatio-nen in den Städten und Dörfern des Landes sollten gleichzeitig Orte der heilenden (kurativen) und vorsorgenden (präventiven) Medizin sein.

Dies war und ist das Erfolgsrezept des Vorarlberger Modells der Vorsorgemedizin, getragen von Ärzten, die sich für diesen neuen Zweig ihrer Tätigkeit einsetzten, und von der Bevölkerung, die im Laufe der Zeit ein besonderes Gesundheitsbewußtsein entwickelt hat.

So nehmen derzeit 18 bis 22 Prozent der Bewohner unseres Landes zwischen dem 20. und 60. Lebensjahr jährlich eine Vorsorgeuntersuchung zur Früherkennung von Krebs-, Stoffwechsel-, Kreislauferkrankungen in Anspruch. 46 Prozent aller Frauen ab dem 20. Lebensjahr gehen regelmäßig zur gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung. Bei den Schutzimpfungen gegen Kinderlähmung, Wundstarrkrampf, Diphterie sowie Masern-Mumps kann auf eine durchschnittliche Beteiligung von zirka 85 Prozent verwiesen werden und bei den Kindergarten- und Schuluntersuchungen werden praktisch alle Kinder erfaßt.

Als zusätzliche Programme zu den vorgenannten Erwachsenen-Vorsorgeuntersuchungen erfreuen sich das Mammographie-Screening- (Brustuntersuchung bei Frauen ab dem 40. Lebensjahr), das Hautvorsorgeprogramm und ein Programm für Frauen nach den Wechseljahren, genannt „Frauen 50 PLUS", eines regen Zuspruchs.

Mit der Einführung des Zahnpro-phylaxeprogrammes im Jahre 1989 wurde ein weiterer wichtiger Schwerpunkt im Bereich der Vorsorgemedizin gesetzt. Eine wesentliche Aufgabe stellt dabei die zahnprophylaktische Tätigkeit in den Kindergärten und Volksschulen dar. Speziell ausgebildete Zahngesundheitserzieherinnen besuchen regelmäßig die Kindergärten sowie Schulen und demonstrieren dort in kindgerechter, spielerischer Form das richtige Zähneputzen, sprechen über gesunde Ernährung und beraten die Kindergärtnerinnen sowie Lehrpersonen betreffend die Fluo-rideinnahme und dergleichen mehr. Im Jahre 1990/91 konnten bereits alle Kindergärten und immerhin 65 Prozent der Volksschulen zahnprophylaktisch betreut werden.

Seit etwa zehn Jahren befaßt sich der Arbeitskreis intensiv mit der Arbeitsmedizin. Eine überregionale arbeitsmedizinische Versorgungs-beziehungsweise Betreuungseinrich-tuhg wurde im Sinne des Arbeitnehmerschutzgesetzes etabliert, geleitet von einem Spezialisten der Arbeitsmedizin. Hauptaufgabe dieser Einrichtung bildet die Beratung und Fortbildung der angeschlossenen Betriebsärzte sowie die Realisierung umfassender arbeitsmedizinischer Schwerpunktaktionen. Derzeit gehören dieser arbeitsmedizinischen Versorgungseinrichtung rund 85 Prozent der Betriebe an, die gemäß Paragraph

22 des Arbeitnehmerschutzgesetzes verpflichtet sind, einen betriebsärztlichen Dienst einzurichten.

Mit all diesen Grundprogrammen konnten im Laufe der Jahre durchaus erfreuliche, in Zahlen auch darstellbare Erfolge erzielt werden. Beispielsweise sank nach über 15jähriger gezielter Krebsprophylaxe in Vorarlberg die Sterbehäufigkeit beim Gebärmut-terhals-Krebs auf beachtenswerte 9,1 Fälle per 100.000 Lebende weiblichen Geschlechts beziehungsweise um nahezu 70 Prozent!

Andererseits sind auch Grenzen sichtbar geworden. So wurden in der Folge Gruppenprogramme entwik-kelt, die Personen weiterhelfen sollten, bei denen Risikofaktoren festgestellt wurden (Übergewicht, hoher Blutdruck, Fett- oder Zucker-Stoffwechsel-Störungen und andere), und die allein auf sich gestellt eine Änderung ihres Lebensstils nicht schafften. Solche Gruppenprogramme gibt es für übergewichtige Erwachsene und Kinder, eine Rückenschule für Haltungsschwache und Personen mit Wirbelsäulenbeschwerden, Koronar-gruppen für Patienten nach Herzinfarkt oder mit Herzinfarktrisiko und für Diabetiker.

In einem dritten Schritt will der Arbeitskreis noch weiter gehen und bereits das Entstehen von Risikofaktoren verhindern. In diesem Sinne wurde ein Programm zur Gesundheitsförderung in den Kindergärten und Schulen entwickelt, das in Zusammenarbeit mit Eltern, Lehrern und Ärzten bereits bei den Kindern Fehlentwicklungen vermeiden helfen soll.

Außerdem läuft seit mehreren Jahren in fünf Vorarlberger Gemeinden die Nahrauminitative „Gesunder Lebensraum", deren Ziel es ist, möglichst viele Bürger in den Gemeinden zu motivieren, Verantwortung für ihre Mitbürger im Hinblick auf Gesundheit, Soziales und Umwelt zu übernehmen.

Ein wesentliches Anliegen muß für den Kreis natürlich auch das Zigarettenrauchen sein,das als einer der wichtigsten Risikofaktoren für Krebs- und Herzgefäßerkrankungen gilt. Hier kann der Schwerpunkt einer auf längere Sicht erfolgreichen Strategie nur darin bestehen, die Jugend vor dem Beginn des Rauchens zu bewahren. So werden derzeit mehrere Aktivitäten in den Schulen geplant, die diesem Ziel dienen sollen.

Wir können sagen, daß seit der Gründung des Arbeitskreises für Vorsorgemedizin durch das Zusammenwirken der in der Vorsorgemedizin tätigen Ärzte mit einer gesundheitsbewußten Bevölkerung eine wesentliche Verbesserung der Gesundheit im Lande feststellbar und dokumentierbar ist. Jedoch ist allen Beteiligten klar, daß das angestrebte Ziel noch weit entfernt ist.

Der Autor ist Vorsitzender des Arbeitskreises für Vorsorge- und Sozialmedizin in Bregenz.

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