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Ein Welt-GULAG

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Über die Behandlung Andersdenkender in der Sowjetunion gibt es eine umfangreiche Literatur. Eine Reihe in letzter Zeit erschienener Publikationen weitet das Erscheinungsbild des GULAG jedoch in beängstigendem Maße aus. Der Verfasser des folgenden Beitrages befaßt sich anhand dieser Literatur mit den Schweigelagern der anderen kommunistischen Diktaturen. Wenn man überdies die Konzentrationslager nichtkommunistischer Terrorregimes zwischen Chile und Uganda, Persien und Indonesien und wie sie alle heißen, einbezieht, ergibt sich tatsächlich das grauenhafte Bild einer den Erdball umspannenden Lagerwelt.

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Über die Behandlung Andersdenkender in der Sowjetunion gibt es eine umfangreiche Literatur. Eine Reihe in letzter Zeit erschienener Publikationen weitet das Erscheinungsbild des GULAG jedoch in beängstigendem Maße aus. Der Verfasser des folgenden Beitrages befaßt sich anhand dieser Literatur mit den Schweigelagern der anderen kommunistischen Diktaturen. Wenn man überdies die Konzentrationslager nichtkommunistischer Terrorregimes zwischen Chile und Uganda, Persien und Indonesien und wie sie alle heißen, einbezieht, ergibt sich tatsächlich das grauenhafte Bild einer den Erdball umspannenden Lagerwelt.

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In seinem Buch „Köchin und Menschenfresser” schreibt André Glucksmann, Vertreter der „nouvelle philosophie”, Ex-Marxist, enttäuschter Mai-Marschierer von Paris und Maoist a. D.: „Wir können nicht umhin, festzustellen, daß es nicht um eine Eigenart von Russen oder Deutschen geht, auch nicht um einen absolut originellen Wahnsinn. Auf verschiedenen Stufen und je nach historischen Umständen und den lokalen Gewohnheiten, produziert und reproduziert unser Jahrhundert eine ihm allein zustehende Erfindung: das Konzentrationslager.”

Die Existenz der Konzentrationslager der Volksrepublik China wird nicht einmal jener Minderheit bewußt, die ansonsten sehr stolz auf ihre Intelligenz ist. Es ist nicht bekannt, daß selbst die zweifellos großartige Gefan- genen-Hilfsorganisation Amnesty International, erst kürzlich mit dem Friedensnobelpreis ausgestattet, sich mit den Menschenrechten beziehungsweise deren Mißachtung in der Volksrepublik China befassen würde. Und während sich über die Verkaufspulte der Buchhandlungen seit Jahren eine Flut von mehr oder minder klugen, zum guten Teil im Schnellverfahren verfaßten Reiseberichten und

Analysen meist panegyrischen Stils über die VR China ergießt, ging die bisher einzige authentische Publikation über die Lager der Volksrepublik China fast unter: Bao Ruo-wangs Buch „Gefangener bei Mao”. Der Autor des fesselnden, bisher einzigen Reports vom gelben GULAG, in dem nach Schätzungen etwa zehn Millionen Menschen ihr Leben fristen, hatte das Glück, einer französisch-chinesischen Ehe zu entstammen, was nach der Aufnahme der französisch-chinesischen Beziehungen 1964 nach siebenjähriger Haft zu seiner Freilassung führte.

Die erstaunliche Unkenntnis des

Westens über den gelben Archipel GULAG dürfte nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen sein, den der Autor folgendermaßen beschreibt: „Es gibt über die Arbeitslager eine einfache, grundsätzliche Wahrheit, die im Westen unbekannt zu sein scheint: Für alle, abgesehen von einer Handvoll Ausnahmefalle (zu denen ich gehöre), ist das Gefängnis eine ständige, endgültige Einrichtung. Die Männer und Frauen, die zur Umformung durch Arbeit verurteilt sind, verbringen den Rest ihres Lebens in Lagern, zuerst als Gefangene und dann, wenn ihre Strafzeit abgelaufen ist, als .freie Mitarbeiter* 1.” So etwa lebt der inzwischen vom Gefangenen zum „freien Mitarbeiter” gewordene katholische Bischof Schanghais, Ignatius Kung Pin-mei (im Jahre 1957 verhaftet!), seit einigen Jahren unter Polizeiaufsicht in Schanghai und arbeitet dort als Toilettenputzer. Keine einzige Menschenrechtsorganisation hat sich für ihn bisher eingesetzt. Briefe, die der Autor dieser Zeilen nach Schanghai schrieb, blieben, wie zu erwarten war, unbeantwortet.

In den chinesischen Straflagern, über denen das Wort Maos: „Lao Gai” (Umwandlung durch Arbeit), steht, gibt es keine physischen Torturen oder willkürlichen Exekutionen. Lediglich, so berichtet Bao Ruo-wang, sei der Friseur des Lagers vor den Augen der Häftlinge wegen eines homosexuellen Annäherungsversuches erschossen worden. Dafür aber gibt es Arbeit bis zur totalen Erschöpfung.

Kaum anzunehmen, daß China-Reisende, die den Fortschritt in China nicht genug loben können, bedenken, was Bao Ruo-wang sagt: „Arbeitslager in China sind wie ein Vertrag, den man für das ganze Leben schließt. Sie sind für die Nationalökonomie viel zu wichtig, als daß man sie mit Durchgangspersonal in Gang halten könnte. Es waren Strafgefangene, die das riesige Ödland der Mandschurei urbar machten, ein Vorhaben, das bis dahin erfolglos geblieben war, und ein Beweis dafür, daß auch eine Staatsfarm im Sow- chosen-Stil gewinnträchtig arbeiten kann; Strafgefangene waren es, die in China die Kunststoffindustrie aufgebaut haben und einige der größten Fabriken und landwirtschaftlichen Einrichtungen in Gang halten; und Strafgefangene sind es auch, die den Reis anbauen, den Mao ißt. (Ich habe auf der Zweigstelle Nr. 3 der Tsching- Ho-Staatsfarm, nordöstlich von Tientsin, diesen Reis mit eigenen Händen angebaut.)”

Von einer anderen Art GULAG berichte der jüngste Amnesty-BeriCht sowie der Sammelband „Gesicht zur Wand” und Tina Österreichs Werk „Ich war RF”. Es handelt sich um die DDR. Laut Amnesty International büßen dort etwa 6000 politische Häftlinge in den Gefängnissen von Bautzen, Torgau, Brandenburg und Dessau, weil sie „solch fundamentale Rechte, wie sie die UNO-Menschenrechtsde- klaration aufführt”, in Anspruch nehmen wollten. Artikel 13 dieser Erklärung versichert zum Beispiel: „Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren.” Aber in der DDR ist die sogenannte „Republikflucht” ein Schwerverbrechen. Seit Mai dieses Jahres wird auch Fluchthilfe als „staatsfeindlicher Menschenhandel” geahndet und kann in besonders schweren Fällen sogar mit lebenslanger Haft bestraft werden. Doch staatsfreundlicher Menschenhandel ist nicht nur erlaubt, er wird auch von der DDR-Führung im großen Stil betrieben. So hat die Bundesrepublik für Milliarden harter D-Mark unzählige Häftlinge freigekauft, die dann in den Westen abgeschoben wurden.

Wie es einem Menschen in dem DDR-Gulag ergehen kann, schildert der erschütternde Kassiber des Häftlings Siegmar Faust, den Robert Ha- vemann publik gemacht hat. „Ich möchte mit jedem Polithäftling Chiles oder Spaniens tauschen. Terror, Folterungen, Repressalien, Schikanen werden immer schlimmer. Warum läßt sich hier keine UNO-Kommission ein? Laßt alle Glocken läuten! Ich friere, ich muß hungern, habe Seh-, Herz-, Kreislauf- und Schlafstörungen und verblöde langsam, aber sicher. Habe ja nun schon über 23 Monate Einzelhaft und 63 Tage Folterarrest kennengelernt. Was noch? Wofür? Wenn Ihr mir wenigstens Mut machen könntet ”

Monate nach Havemanns Intervention bei Honecker wurde Faust, dem „staatsfeindliche Hetze” vorgeworfen wurde, in die Bundesrepublik abgeschoben. Die von Faust zitierte UNO blieb auch stumm, als im Sommer dieses Jahres Fidel Castro im Fernsehen freimütig zugab, daß in Kubas Gefängnissen und Arbeitslagern noch „einige Tausend” Häftlinge schmachten. Einer dieser Häftlinge, dem es durch beharrliche Interventionen seiner Regierung gelungen ist, freizukommen, der französische Photograph Pierre Golendorf, berichtet in seinem jüngst erschienenen Buch über Schätzungen, die von achtzig- bis zweihunderttausend politischen Häftlingen in Kuba sprechen.

Golendorf selber meint, die Zahl zwanzigtausend sei realistischer, davon seien allein in der Provinz Havana etwa acht- bis neuntausend Menschen eingekerkert. Er wundert sich über die Unwissenheit der internationalen Organisationen, da doch, wie er meint, die großen Häftlingslager wie El Principe, La Cabana, El Morro, Guanajay oder Boniato sich kaum verheimlichen lassen. Der bekannte Zeitungsphotograph, militanter Linksextremist und Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs, hatte sich anfangs vollkommen mit der kubanischen Revolution identifiziert. Doch allzu rasch mußte er deren wahres Gesicht kennenlernen.

Als der Dichter Heberto Padilla am System Castros Kritik übt, wird er zur Selbstkritik gezwungen. Golendorf, der Padillas Gedichtband nach Frankreich bringen will, wird ohne jeden Anhaltspunkt als CIA-Agent verhaftet und nach endlosen Verhören schließlich zu zehn Jahren Kerker verurteilt.

Der „tropische GULAG” hat Golendorf vom Sozialismus gründlich geheilt. Er ist aus der Kommunistischen Partei ausgetreten. Heute sagt er: „Dieses System impliziert das politische Vergehen ebenso wie der Kapitalismus die Prostitution.”

Für naive Idealisten wie den südamerikanischen Priesterdichter Ernesto Cardenal, der Castros Kuba verherrlicht, hat der ehemalige Linksextremist heute nur noch ein mildes Lächeln. Übrigens: seit 1959 schmachtet in Kubas Kerkern auch Castros einstiger Revolutions-Gefährte Huber Ma- tos, nur weil er sich ein freies und nicht kommunistisches Kuba vorgestellt hatte.

In einem Brief, den im vorigen Jahr die New York Times veröffentlichte, schrieb Matos aus dem Gefängnis: „Ihr alle glaubt, daß letztlich der Tag kommen wird, an dem die kubanische Regierung ihre Häftlinge freilassn wird. Aber wir, die wir die Dinge mit den Augen der Erfahrung sehen, denken anders. Wir sind überzeugt, daß wir ein Leben lang im Kerker bleiben werden. Eure Kritiken fußen auf logischen Prämissen. Doch die logischen Prämissen sind im Falle Kuba nicht gültig.”

Wenn Golendorf aus der Erfahrung bestätigt, was Glucksmann als Theoretiker feststellt, nämlich, daß das Konzentrationslager zum Wesen des Marxismus gehört, wird diese These auch von politischen Häftlingen aus den jungen afrikanischen Staaten mit marxistischer Staatsführung bestätigt. Einer der erschütterndsten Berichte über Folter und Terror in den Lagern Afrikas ist der Bericht des deutschen Braumeisters Adolf Marx, der im Zusammenhang mit einem Putschversuch in Guinea von den Schergen Sekou Tourés in das berüchtigte Folterlager Conakrys, in das Camp Boiro, gebracht wird. Mit unvorstellbarem Sadismus versucht man ihm dort ein Geständnis zu entlocken. Erst auf Intervention der Bundesregierung kommt Marx, von Folter und Haft gezeichnet, frei.

Sein Mithäftling, der Erzbischof von Conakry, Raymond Marie Tschidim- bo, sitzt noch heute. Sein Los ist unbekannt. Als Marx noch in Haft war, betätigte sich der Erzbischof als Lagerfriseur.

Die endlosen Qualen des Weltgulag erfahren im Schicksal des kambodschanischen Volkes ihre kaum zu überbietende Steigerung. Der Völkermord, den dort die Kommunisten auch heute noch hinter einer hermetisch abgeriegelten Grenze vollführen, wird in seinem Ausmaß erst nach und nach bekannt.

KÖCHIN UND MENSCHENFRESSER - über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentrationslager. Von André Glucksmann. Wagenbach-Verlag, Berlin 1977, 180 Seiten, öS 88,55.

GEFANGENER BEI MAO, von Bao Ruo-wang. S. Fischer-Verlag, Frankfurt/Main 1977, Fischer-Taschenbuch 1898, öS 67,70.

ICH WAR RF, von Tina Österreich. Seewald-Verlag, Stuttgart, 352 Seiten, öS 229,46.

GESICHT ZUR WAND - Berichte und Protokolle politischer Häftlinge in der DDR. Von Jörg Lolland und FrankS. Rö ding er. Seewald-Verlag, Stuttgart 1977, 204 Seiten, öS 152,46.

VERFLUCHT, WER UNS VERGISST - gefoltert für Deutschland, von Adolf Marx. Derscheider-Verlag.

SEPT ANS A CUBA, von Pierre Golendorf. Editions Pierre Beifond, Paris 1977.

PEACE WITH HORROR - the untold Story of Communist Genocide in Cambodia, von BarronIPaul. Hodder and Stoughton, London 1977.

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