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Ein Weltbürger der Musikkultur

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Das milde Licht barocker Kronlüster mit ihren Hunderten Kerzen scheint über seinen Menuettsätzen, Giguen, Gavotten und Passacaglias zu liegen. Leises Rauschen schimmernder Seiden und Brokate mischt sich mit verwehten Fetzen höfischer Konversation. Virtuosen und kleine Solistengruppen — im Wettstreit mit prunkvoll auftrumpfenden Strei-chertutti - zaubern „al fresco” — Impressionen der Jahreszeiten, Allegorien der Schönheit, des Geistes und Fleißes und den Olymp mit seinen kapriziösen Göttern in die fürstlichen Salons und Spiegelgalerien: Das könnten die Bilder sein, die einem unwillkürlich beim Hören der Concerti grossi Georg Friedrich Händeis einfallen.

Bilder und Atmosphäre, die auch die etwa vierzig italienischen Opern bestimmen, die Händel etwa ab seinem 20. Lebensjahr komponierte: beginnend 1705 in Hamburg mit „Almira”, „Nero”, „Florindo” und „Daphne”, dann ab 1707 in Florenz und Venedig Werke wie „Rodrigo” und,.Agrip-pina”, schließlich ab 1710 in Hannover und seit 1712 in London als Erster Kapellmeister Georgs I., des gerade zum König von England aufgestiegenen Kurfürsten von Hannover, die großen Oratorien.

Der aus Halle gebürtige Deutsche führte als Komponist, Dirigent, mehrmals gescheiterter Opernunternehmer und Meisterintrigant Englands Musikkultur und Opernbetrieb zu glanzvollsten Höhen. Er war ein Musiker, der eitlen Majestäten und prunkliebenden Aristokraten mit seinen weltzugewandten, sinnenfreudigen Werken unaufhörlich huldigte. Drängt sich da nicht besonders die Frage auf, was uns heute noch an diesen Werken fasziniert? Denn wenn auch heute gelegentlich der eine oder andere mutige Opernintendant eine von Händeis allegorischen Hof- und Staatsaktionen wie „Julius Cäsar”, „Xerxes” oder „Rodrigo” auf die Bühne bringt, so bleiben das doch stets Akte sensibler Opernarchäologie.

Händel lebt in seinen Concerti und in den Oratorien, im „Messias”, „Saul”, „Samson”, „Belsa-zar”, „Judas Maccabäus”, „Jeph-ta”, die in England in einer lebendig gebliebenen Aufführungstradition immer wieder ihre Stärke bewiesen. Er hat den „gelehrten” Stil deutscher Tradition, die italienische Bravour, das französische Hofschaugepränge und englisches Chorleben zu einer unverwechselbaren Einheit - seiner „Weltsprache” - verschmolzen.

Anders als viele Komponisten seiner Zeit schrieb Händel einen volkstümlichen Stil, „Ausdrucksmusiken”, die nicht nur allegorische Typen, sondern Gefühle, barocke Affekte, vermittelten, die heute noch berühren. Wenn Johann Sebastian Bach den aus dem „Meisterhandwerk” hervorgehenden Künstler verkörperte, der höchste Kunst in der Vergeistigung von Form und Inhalt anstrebte, so wurde der weltzugewandte Händel zu seinem barok-ken Widerpart — zum Inbegriff des freien, aus dem Bürgertum aufsteigenden Weltbürgers, der Europa - unter Aneignung aller Stilmittel — mit großer Geste eroberte.

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