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Ein Weltreisender der Leidenschaft

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Zum 75. Geburtstag des englischen Erzählers Graham Greene veröffentlicht die FURCHE eine Betrachtung aus dem Nachlaß des ungarischen Essayisten und Romanautors Läszlö Nėmeth. Es sind kaum unterschiedlichere Temperamente zu denken als der britische Kosmopolit und der ungarische Philosoph eines „dritten Weges”; gerade deshalb besitzt ihre Begegnung auf diesen Spalten einigen kulturhistorischen Reiz.

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Zum 75. Geburtstag des englischen Erzählers Graham Greene veröffentlicht die FURCHE eine Betrachtung aus dem Nachlaß des ungarischen Essayisten und Romanautors Läszlö Nėmeth. Es sind kaum unterschiedlichere Temperamente zu denken als der britische Kosmopolit und der ungarische Philosoph eines „dritten Weges”; gerade deshalb besitzt ihre Begegnung auf diesen Spalten einigen kulturhistorischen Reiz.

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Ich bin kein Romanleser, aber von Graham Greenes Romanen habe ich relativ viele gelesen. Aus diesen Erlebnissen, verteilt über zwanzig und etliche Jahre, stellten sich in mir zwei Bilder zusammen. Das eine ergab sich aus dem Inhalt der Romane: demnach haben die Graham-Greene-Romane ein Rezept. Das will keine Mißbilligung sein. Das Werk kann derart zwangsvorstellungsmäßig aus dem Schriftsteller hervorbrechen, daß sich die Leiden Schaft der Struktur des Werkes, ja sogar seinem Inhalt und seiner Erscheinung immer wieder aufzwingt.

Bei Graham Greene lautet das Rezept wie folgt: Da ist einmal ein zumeist exotisches Land, welches den höllischen Charakter des irdischen Daseins gleichsam konzentriert, als brennenden Ofen oder verfaulenden Morast um die darin Lebenden zieht; und dann gibt es einen Helden, den Schwäche, Trunksucht und Unkeuschheit laut christlicher Nomenklatur zum Sünder stempeln würden, und aus dessen sündhafter Natur die Pflicht, die Güte, die verborgene, nicht spektakuläre Tugend eine Tat herauspreßt, die ihn zum Heiligen macht. So teilt in „Die Macht und die Herrlichkeit” während der mexikanischen Religionsverfolgungen der arme, versoffene Priester die Sakramente aus und wird dann zum Märtyrer. So nimmt der englische Polizei- mąjor in „Das Herz aller Dinge” dem Seelenfrieden zweier Frauen zuliebe in der miasmatischen afrikanischen Kolonie den Selbstmord - seinem katholischen Glauben zufolge die Verdammnis - auf sich, und so reift in einem anderen Roman dia junge Ehebrecherin zur Heiligen heran. In seinen jüngsten Romanen sind die exotischen Höllen die auch aus den Zeitungen berüchtigt gewordenen Länder: das Vietnam des französischen Kolonialkrieges, das Kuba vor Castro; wichtiger als die Entfaltung des Heiligtums ist die politische Entlarvung, und aus dem eigenartigen Legendenschreiber wurde ein Reporter im höheren Sinne des Wortes.

Der andere Eindruck gilt dem Handwerker: demnach ist Graham Greene der größte Cocktaü-Mixer, dem ich je begegnet bin. Bekanntlich hat er nicht nur Romane geschrieben, sondern auch Unterhaltungslektüren, man könnte sagen, er betrachtete das Schreiben edler Schmöker als eine Aufgabe. Maßstab der hohen Qualität eines Schmökerschreibers ist das Interessante: er muß Spannung und Erwartung aufrechterhalten, doch je breiter das voraussichtliche Publikum, umso mehrerlei Interessantes löst er in seinem möglichst kompakten Getränk auf. Diese Suche nach Interessantem ist eine Praxis, der sich Graham Greene auch in seinen seriösen Romanen bedient. Er schreibt relativ kurze Romane; auch mit seiner Aufgliederung, der Zerstückelung der Kapitel durch Kapitelchen, wül das kurze Buch betonen, daß alles was ein anderer auf einen ganzen Bogen ausdehnen würde, er auf knappen drei Seiten fertigbringt: er serviert uns ein konzentriertes Getränk. Die Story hat das Anregende des Krimi: Verbrechern oder Spionage; auch die Spezialisten der Sexualität bekommen ihre aufreizende Entdeckung; da gibt es exotische Landschaften, religiöse Erlebnisse, Politikum - alles was auch ein Schmökerschreiber einsetzt, auf allerhöchster Stufe. Ein Zauberkünstler des Mixens, der seine Leser mit seiner Inspiration umwerfen will und auch kann.

Im Roman „Die Stunde der Komödianten” ist die Hölle auf Erden die Negerrepublik Haiti, die die gleichnamige Insel Westindiens mit dem seither berühmt gewordenen San Domingo teilt. Das Negersein macht die Hölle womöglich noch schwärzer - naive Negerfreundschaft wird in diesem Roman nur durch einen amerikanischen Vegeterianer-Apostel repräsentiert, der auch seine im neuen Land gewonnenen erschütternden Erfahrungen in die Sprache des resoluten Humanismus Umsetzen wilL Die Geschehnisse werden von einem dortigen Hotelier erzählt, der Brown heißt, als Internationaler in Miami geboren und bei den dortigen Jesuiten erzogen wurde, um nach manchem Ungemach und etlichen Berufsversuchen in Haiti zu landen, wo seine Mutter, eine Kurtisane, ihm ihr Hotel vermacht, woraus er ein glänzendes Sporthotel machen will, doch durch den Wahlsieg und die Schreckensherrschaft eines Diktators werden seine Gäste abgeschreckt. Auch er selbst kehrt erst nach längerem Aufenthalt in New York ins leere Hotel zurück, wohin ihn die Erinnerung an seine Geliebtereine südamerikanische Botschafterin, zurückbringt.

Er ist aber auch gar kein Held, nur das Sprachrohr (ein bißchen auch das Abbild) des Verfassers in diesem Roman v-. der wahre Held ist ein Abenteurer namens Jones, oder wie er sich selbst nennt: Major Jones, der auf dem holländischen Schiff unterwegs nach Haiti mit nicht alltäglicher Lebhaftigkeit die Passa giere mit seinen etwas der Poesie verdächtigen Geschichten über die burmanischen Kämpfe unterhält und schon auf dem Schiff ins Blickfeld der witternden Behörde gerät. In Haiti läuft er mit seinem Empfehlungsschreiben der Polizei direkt in die Hände, um dann gerade diese mit seinem Gesch ftsplan zu übertölpeln. Vor seinen Verfolgern rettet ihn unser Brown in die amerikanische Botschaft, wo er in suspekter Weise jeden bezaubert, bis ihn schließlich sein eifersüchtig gewordener Retter durch Einlösung seiner Prahlereien ums Leben bringt. An der dominikanischen Grenze versammeln sich um den Neffen des in den Tod gehetzten Volkswohlfahrtsministers ein paar Dutzend Aufständische, aus denen Major Jones zur Absetzung des Diktators eine Armee organisieren soll. Nur um den liebgewonnen Lügner, der, wenn auch je in Burma gewesen, doch niemals ein Mąjor war, als Soldaten unmöglich zu machen, befördert Brown diesen unter Einsatz seines Lebens zum verabredeten Treffpunkt, und da die Begegnung einigen Tontons das Leben kostet, flieht er dann nach San Domingo.

Da ist nun die Verklärung des Rollenspielers: er gewinnt nicht nur die Zuneigung der Menschen, sondern trotz seiner militärischen Unbewandertheit auch den Glauben der Aufständischen und stirbt in der Schlacht an der Grenze den Heldentod. Wenn Jones auch nicht gerade ein Heiliger wird, so entwächst doch dem Sünder - nach Pirandellos Art - die Tugend: der Komödiant wächst an die aus eigenen Lügen geschaffene Rolle heran, den Abenteurer erhebt der Wunsch nach Liebenswür digkeit, Güte und Heldenmut, de seine Lügen durchdringt… die Poe sie gewinnt Glaubwürdigkeit in Herzen und im Tod der Menschen.

Im Cocktail fehlen freüich nich die erlesenen Würzen. Die reli giöse Erregung wird durch eil Ritual aus Haiti repräsentiert. Die pc litische Pikanterie ist die Entlarvun, der Yankees. Freilich gibt es aucl Prügel und Folter - offenkundig Experten wählen unter den vei schiedenen starken Getränken.

Am auffallendsten ist aber docl Graham Greenes figurschaffend Kraft: Er zeigt vorzügliche, komplex und dennoch einprägsame Gestalten freilich müssen auch sie jen Schwelle des Interessanten errei chen, unter der kein Einlaß in Gra ham Greenes Welt. Wer das Wachru fen des. Interesses für Durchschnittsmenschen für den Prüfstein der darstellenden Kraft hält, mag auch den Erfolg dieser Menschendarstellung als romantischen Mißbrauch betrachten, wie etwa den Erfolg des Porträtisten, der sich lauter Modelle mit Adlernasen, hervorgetretenem Kinn und eckigen Backen auswählt - doch der Romantiker bestimmt eher nur die Wahl der Figuren; die subtil schattierten Nuancen der Schatten - all dies zeugt von der Hand eines großen Meisters.

Der Epiker bleibt zwar Epiker - in Kenntnis mehrerer Romane entsteht im Leser aber auch von ihm ein lyrisches Porträt. Graham Greenes Büdnis, durch seine Schriften uns eingeflößt: das eines Weltreisenden, der mit morbider Zuneigung die finsteren, exotischen Winkel einer veränderlichen Welt aufsucht - sein Gesicht ist genau das Gegenteil des unausgegorenen Gesichts des stillen Amerikaners, tüchtig zerfurcht von Spuren der Erfahrung, Leidenschaft, des Alkohols und der Liebe. Hier steht ein Sünder oder allenfalls einer, der die Sünde auf sich nimmt, der aber einen seltsamen Sinn für die im Morast blühende Tugend, für die wirkliche Größe hat - gleichsam das Bild eines Helden in der Manier des Lord Byron.

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