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Ein Wendepunkt, der keiner war

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Einen Wendepunkt hatte US-Präsident Carter vor zwei Wochen in einer Fernsehansprache angekündigt - einen Wendepunkt in der Geschichte der amerikanischen Nation und in der Entwicklung seiner eigenen politischen Geschicke. Und viele glaubten es ihm auch, nachdem sie ihren Präsidenten mit entschlossenen Gesten und fester Stimme am Fersehschirm mitverfolgen hatten können. Doch die Euphorie hielt nicht lange an: Wenige Tage nach der „Wiedergeburt“ des politischen Führers der Vereinigten Staaten waren die Amerikaner verwirrter denn je zuvor. Ein von ihm selbst befohlenes Rücktrittsangebot seiner Regierung zerstörte die Hoffnung auf eine Wende.

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Einen Wendepunkt hatte US-Präsident Carter vor zwei Wochen in einer Fernsehansprache angekündigt - einen Wendepunkt in der Geschichte der amerikanischen Nation und in der Entwicklung seiner eigenen politischen Geschicke. Und viele glaubten es ihm auch, nachdem sie ihren Präsidenten mit entschlossenen Gesten und fester Stimme am Fersehschirm mitverfolgen hatten können. Doch die Euphorie hielt nicht lange an: Wenige Tage nach der „Wiedergeburt“ des politischen Führers der Vereinigten Staaten waren die Amerikaner verwirrter denn je zuvor. Ein von ihm selbst befohlenes Rücktrittsangebot seiner Regierung zerstörte die Hoffnung auf eine Wende.

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1977 saßen noch 80 Millionen Amerikaner vor den Bildschirmen, als Carter zum ersten Mal vom „Energiekrieg“ sprach. Heuer im April, nach drei weiteren Reden, waren es nur noch 30 Millionen. Und so mußte nach dem Energiegipfel in Tokio, wo sich alle anderen Führer der größten Industrienationen der westlichen Welt zu drastischen Maßnahmen verpflichtet hatten, in den Vereinigten Staaten ebenfalls etwas Dramatisches geschehen.

Und dramatisch war die mit Spannung erwartete Fernsehrede Carters vor etwas über zwei Wochen dann auch: Von „Blut, Schweiß und Tränen“ war da die Rede, von der schlimmsten Vertrauenskrise, die Amerika je befallen habe, von der US-Hauptstadt Washington als politischer Insel ohne Zugang für die Bürger.

Nur die vielseitigen Qualitäten des Landes könnten Amerika aus der Energiekrise herausführen und die Malaise beenden, die über dem Land brüte: Sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen und aus dieser Leistung neue Hoffnungen und Optimismus schöpfen - das erhoffte Carter für die USA und nicht zuletzt auch für sich selbst.

Mit dieser Rede war scheinbar ein neuer Stil geboren worden: Ein neuartiger Versuch, gemeinsam mit dem Publikum die Seele zu prüfen und von der materiellen Oberfläche abzulenken. Dennoch war vielen klar, daß damit noch nicht die Führungspersönlichkeit gekommen war, nach der sich scheinbar das ganze Land sehnt.

Dennoch wurde die Aufmerksamkeit in geradezu aufdringlicher Weise in diese Richtung gelenkt, aus allen Richtungen hörte man es rufen: „Seht euren neuen Führer! Er spricht vernehmlicher, er will euch aufrütteln, er weiß um eure geheimsten Wünsche und Ängste.“

Als dann die erste Euphorie abgeklungen war, blieb zwar der Eindruck, daß ein strebsamer Anlauf genommen worden war, blieb aber auch die Erkenntnis, daß alles viel komplizierter ist, als es der Präsident in seiner Fernsehansprache dargestellt hatte. Und schon spürte man die Angst vor Entscheidungen in der Führungsspitze der Vereinigten Staaten, weil jedes Detail zwar gesehen und verfolgt wird, dadurch aber die große Gefahr entsteht, daß man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. ,

Und dann kam Jimmy Carters politischer Schachzug, mit dem offenbar alle Zweifler an seinen Führungsqualitäten zum Schweigen gebracht werden sollten. Er verordnete seinem Kabinett eine Radikalkur, indem er die gesamte Regierung zum Rücktritt aufforderte und dadurch einige Schlüsselministerien „säubern“ konnte:

Auf der Strecke blieben die Minister Galifano (Gesundheit, Erziehung, Wohlfahrt), Bell (Justiz), Blu- j menthal (Finanzen), Schlesinger (Energie) und Adams (Verkehr). Allein die Georgianer im Weißen Haus -also die Politiker aus Carters Bundesstaat Georgia - blieben von der Säuberungsaktion unbeschadet, ja stellen mit Hamilton Jordan jetzt sogar offiziell den Stabschef im Weißen Haus.

Carter hatte mit diesem Ministermassaker wohl Gutes gewollt, aber ringsum nur wiederum neues Entsetzen über seine Politik hervorgerufen. Zur schwelenden Energiekrise kam jetzt unverkennbar auch noch eine Regierungskrise hinzu, und der Sympathiebarometer Carters1, der auch das Vertrauen in den Präsidenten widerspiegelt, sank auf einen neuerlichen Tiefpunkt: Hatten nach der Fernsehrede in einer New-York-Times/CBS-Umfrage wieder 37 Prozent der Befragten den Politiker Carter positiv bewertet, fielen die Sympathiebekundungen vier Tage nach der großen Säuberung wieder auf sein historisches Tief von 26 Prozent zurück - derselbe Prozentsatz, wie vor seiner Rede.

Und auch an den Börsen zeigte sich, wie Carters Regierungsumbildung in breitesten Kreisen aufgefaßt wurde: Der Dollar fiel, die Spekulanten flüchteten in Gold, das mit 302 Dollar pro Feinunze einen Rekordpreis erreichte.

Was die Kritiker dem Präsidenten besonders anlasteten: Daß er einen Mann wie Hamilton Jordan zum zweitmächtigsten Mann der amerikanischen Administration gemacht hatte, einen Mann, der ob seiner schlechten Manieren in ganz Washington berüchtigt ist, zwar bei Carters Machtübernahme als politischer Wunderknabe aus dem Süden angekündigt worden war, auf der nationalen Bühne dann aber kaum politischen Spürsinn, geschweige denn besondere politische Qualitäten an den Tag gelegt hatte. Was den demokratischen Kongreßabgeordneten Charles Wilson aus Texas zu der sarkastischen Anmerkung veranlaßte: „Meine Güte, Sie sägen die mächtigsten Bäume ab und behalten die Affen.“

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