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Ein Werkzeug für den „cordon stalinaire“

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Die sowjetische Weltmacht hatte ihr Okkupationsgebiet zwischen Bug und Elbe längst schon in ein Militärlager verwandelt als am 11. Mai 1955 auf ihr Geheiß in der polnischen Hauptstadt eine Konferenz osteuropäischer Länder zusammentrat. Die Teilnehmer dieses Treffens, die Regierungs- und Parteichefs der Sowjetunion, Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns, Rumäniens, Bulgariens, Albaniens und der DDR schlössen am 14. Mai 1955 -fünf Tage nachdem die deutsche Bundesrepublik dem Nordatlantikpakt beigetreten war - einen

„Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“. Seitdem sucht die kommunistische Propaganda nimmermüde den Eindruck zu erwecken, als sei dieser „Warschauer Pakt“ erst zu einem Zeitpunkt durch die Tatsache erzwungen worden, als die nordatlantische Gemeinschaft das westliche Deutschland als Mitglied aufnahm.

In Wahrheit hatte sich Moskau die Gefolgschaft der Streitkräfte seiner Satelliten bereits in den vierziger Jahren durch ein Geflecht von bilateralen Abkommen gesichert, so daß ein multilaterales Bündnis eigentlich gar nicht nötig war. Diese zweiseitigen Vereinbarungen, die sozusagen das Unterfutter der Allianz darstellen, bestehen fort. Sie wurden inzwischen nur den Wandlungen der politischen, militärischen und technologischen Situation angepaßt. Die faktische Befehlsgewalt über die Truppen der Staaten, die sie in ihren Fesseln hat, bliebe der UdSSR daher auch dann noch garantiert, wenn der „Warschauer Pakt“ - aus welchen taktischen Gründen auch immer - eines Tages aufgelöst werden sollte. Allein Albanien hat sich abgesondert, so daß es seine Bindungen zur Sowjetunion zu zerschneiden und ein Vorposten der Volksrepublik China im Mittelmeer zu werden vermochte. Rumänien hingegen kommt -trotz seiner bisweilen wagemutigen Opposition - von der Kette des übermächtigen Nachbarn nicht frei.

Trotzdem ist das Bündnis der kommunistischen Länder nicht nur eine propagandistische Demonstration des „Sicherheitsbedürfnisses“ der osteuropäischen Nationen, denen vom Kreml pausenlos eingebleut wird, daß sie sich gegen die Kombination aus „westdeutschem Revanchismus“ und „amerikanischem Imperialismus“ wappnen müßten. In seiner völkerrechtlichen Struktur dem Nordatlantikpakt fast buchstabengetreu nachgebildet jedoch in der politischen Substanz völlig andersartig, dient der Warschauer Pakt dem Zweck, die Führung der Armeen des Ostblocks unter dem militärischen Kommando Moskaus zu rationalisieren und zu straffen.

Der „Politische Beratende Ausschuß“, der - zusammengesetzt aus Vertretern aller Mitgliedsstaaten -formell als das Spitzenorgan des Bündnisses gilt, ist in 23 Jahren nur zwölfmal einberufen worden, während er nach einem Beschluß vom Jänner 1956 mindestens zweimal jährlich tagen sollte. Darin zeigt sich, wie wenig dieses Gremium in Wahrheit bedeutet Es hat vornehmlich die Aufgabe, von Zeit zu Zeit - wenn es der Kreml für nützlich hält - die Weisungen der Moskauer Zentrale zu empfangen und als „gemeinsame Beschlüsse“ öffentlich kundzutun.

Das „Vereinte Sekretariat“ ist in Wirklichkeit die politische Führungsinstanz. Es steht stets unter der Leitung eines hohen Sowjetoffiziers, der in Personalunion auch im „Politischen Beratenden Ausschuß“ die Rolle des Generalsekretärs spielt und zugleich als Chef des

Stabes im „Vereinten Kommando“ die Schaltstelle der militärischen Macht besetzt hat. In seiner dreifachen Funktion obliegt diesem Beauftragten des Kreml die autoritäre Lenkung des gesamten Systems sowie seiner politischen, militärischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Maßnahmen.

Das „Vereinte Kommando“ selbst, das - wie alle Organe des Paktes - in der sowjetischen Hauptstadt seinen Sitz hat, steht unter dem Oberbefehl des Stellvertreten-den Verteidigungsministers der UdSSR. Es ist nicht mehr als eine Filiale des Generalstabes der So-

wjet-Streitkräfte, die für die Durchführung der strategischen und operativen Pläne, die in Moskau entworfen werden, sowie für die Ausbildung, Ausrüstung und räumliche Verteilung der Truppen verantwortlich zeichnet.

Die sowjetische Herrschaft über die Streitkräfte der osteuropäischen Länder setzt sich weiter nach unten fort, da sie operativ den vier Heeresgruppen der Sowjetunion - in Polen, in der DDR, in der Tschechoslowakei und in Ungarn -zugewiesen sind. Allerdings gilt diese Regelung lediglich für die „Nationale Volksarmee“ Ost-Berlins bereits in Friedenszeiten, während die Verbände der anderen Staaten des „Warschauer Paktes“ nach dem Wortlaut des Vertrages erst im Kriege unter den Befehl von Generälen der UdSSR treten, sonst aber in der Verfügung ihrer Regierungen bleiben. Doch hat diese theoretische Selbständigkeit in der Praxis wenig zu bedeuten, wie sich beispielsweise im Jahre 1956 in Ungarn erwies.

Ähnlich verfuhr die Sowjetunion, als sie im Jahre 1968 ihre Truppe zur Besetzung der Tschechoslowakei einsetzte und dabei Verbände Polens, der DDR, Ungarns und Bulgariens mit starken Kontingenten zum Mitmachen mobilisierte, so daß diese gegen den befreundeten Bundesgenossen, der lediglich seinen eigenen Weg zum Kommunismus suchte, marschieren mußte. Symptomatisch war in beiden Fällen, daß sich Moskau - als es den ungarischen Aufstand zusammenschlug und die tschechoslowakische Reformpolitik mit der Macht des Militärs erstickte - auf seine Rechte und Pflichten aus dem Warschauer Pakt berief, der aber in Wirklichkeit eine Einmischung der UdSSR in die inneren Angelegenheiten eines „verbündeten“ Landes gar nicht vorsieht. Mithin erfolgte die bisher einzige Anwendung der „sozialistischen Waffenbrüderschaft“, die von der kommunistischen Propaganda immer wieder gefeiert wird, gegen „sozialistische Waffenbrüder“ unter Verletzung des Vertrages, der die juristische Basis dieser Allianz darstellt.

Die bekannte Doktrin, die Leonid Breschnjew zwar gewiß nicht erfand, doch in einiger Klarheit formulierte, brachte den Satelliten der Sowjetunion im nachhinein zur Kenntnis, daß ihre Souveränität, ja nur ihr Wille, ihre nationale Autonomie politisch zu betonen, dort ihre Grenzen hat, wo die UdSSR ihre militärischen Interessen bedroht sieht -sei es durch Eigeninterpretation der Ideologie, sei es durch allzu enge Kooperation mit der Wirtschaft des Westens, seitens der „Verbündeten“. Daher ist der Warschauer Pakt sehr wesentlich ein Werkzeug,- das die Aufgabe hat, den „cordon stalinaire“, den die Sowjetunion um ihr Imperium zog, nach innen - als eine Art Stahlnetz - zu ergänzen, sowie ferner die Stationierung russischer Truppen in fremden Ländern zu rechtfertigen.

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