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Ein Wort zum Reformationstag 1979 Der Einheit näher?

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Wären Kirchen wie politische Parteien auf Wechselwähler angewiesen, dann würden bei einer Abstimmung im Jahr 1979 die Katholiken eindeutig das Rennen machen. Was weder Küng noch sonst einem theologischen Lehrer gelang, fiel dem Papst aus Polen in den Schoß: Verständnis und Beteiligung, selbst bei denen, die sich sonst an der römischen Weltkirche nicht genug reiben können.

Der Wandel wird augenfällig, wenn man ihn etwa in den Berichten des „Spiegel“ zur Kenntnis nimmt: von kühler, oft ironisch gefärbter Distanziertheit ist kaum noch etwas zu spüren. Hätte das Erste Vatikanische Konzil nicht bereits vor über 100 Jahren stattgefunden, müßten seine Ergebnisse jetzt verkündet werden - heute würden sie weder eine Abspaltung noch eine Los-von-Rom-Bewe- gung zur Folge haben.

Ist durch Johannes Paul II., diesen so katholischen Papst, die „eine, heilige, allgemeine“ christliche Kirche, welche alle Konfessionen in ihrem Glaubensbekenntnis betonen, mit dem gestiegenen Ansehen des Papstes gleichfalls ihrer Verwirklichung nähergerückt? Am Reformationstag 1979 muß dies für evangelische Christen, aber nicht nur für sie, die wichtigste Frage sein.

Wer kurz nach dem Papstbesuch in

Polen war und dort, als Nichtkatholik und dazu noch als Deutscher mit großer Herzlichkeit zur Teilnahme an ständig überfüllten Gottesdiensten ermuntert wurde, spürte zumindest die geglaubte Einheit fast körperlich.

Eines steht fest: Die Sichtbarkeit des Oberhirten, der Reformation mit das größte Ärgernis, scheidet die Konfessionen längst nicht mehr entscheidend. Wobei hinzugefügt werden muß, daß der Papst aus Polen an geistlicher Autorität weitgehend ernten kann, was seine Vorgänger bereits säten.

Trotzdem wäre nichts verkehrter und der erhofften Einheit sogar abträglicher, als nun eine Heim-nach- Rom-Bewegung zu erwarten. Der Mann auf dem Stuhl Petri ist gewiß der letzte, um dies zu erwarten, auch wenn einige Äußerungen von ihm so verstanden wurden. Je evangelischer sich den Evangelischen das Papsttum und die katholische Kirche darbietet, desto mehr gilt es vorerst, im Raum der eigenen Kirche evangelisch zu sein. Das aber heißt, wortgetreu übersetzt: das Evangelium, die Freudenbotschaft von der Nähe Gottes, Freudehungrigen weiterzureichen und selbst glaubwürdig zu leben.

Also: Keine Steine statt Brot reichen! Steine sind manche theologischen Experimentierkunststücke, mit welchen man die Gemeinden überfordert und obendrein eine orthodoxe Trotzreaktion herausfordert. Steine sind Politaussagen, meist linkslastige, in theologischem Mimikry, welche von 90 Prozent des Kirchenvolks nur mit Unverständnis für soviel Weltfremdheit und zugleich Weltabhängigkeit registriert werden. Steine sind freilich auch manche überständigen Relikte landesherrlichen Kirchentums, die im merkwürdigen Gegensatz zur ökumenischen Bewegung museal überdauern.

Die Freiheit eines Christenmenschen, welche der Reformator Luther beschwor, muß sich in der Freudenbotschaft immer neu bewähren und von ihr zugleich antreiben lassen. Daß trotz gestiegenem Angebot von Lebensfreude an dieser, Zeit und Ewigkeit verbindenden Freude Bedarf ist, bedarf keines Beweises. Der Kirchentag in Nürnberg hat es einmal mehr gezeigt.

Reformation heißt Zurückbildung.

Damit ist eine Gesundschrumpfung untrennbar verbunden - sie ist voll am Werk. Die Gemeinden werden überall, in Ost und West, kleiner: Kirchenblätter sind teilweise auf die Hälfte ihrer Auflagen zurückgegangen. Volkskirche ist nicht die schlechteste, aber auch nicht die einzig legitime Weise, als Christ in dieser Welt mit anderen Christen beisammen zu sein.

Abgesehen von Polen, Kroatien und einigen lateinamerikanischen Ländern muß auch die katholische Kirche mit der gleichen Erfahrung leben lernen - sie vor allem bindet die Konfessionen zusammen. Tritt dann noch das Leiden um des Glaubens willen hinzu, verstärkt sich die Gemeinsamkeit.

Wichtige Schritte auf dem Weg zur „einen, heiligen, allgemeinen“ christlichen Kirche sind bereits getan. Nichts anderes kann uns am Reformationstag mit gleicher Freude und Genugtuung erfüllen.

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