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Ein Zeitgenosse von vorgestern

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Ein Griff in entlegene Regale bringt überraschende Entdeckungen. Da liest man:

„Der Garten ist naturgemäß an eine langsame Entwicklung gebunden. Ein Haus wird in einem halben Jahr vollendet. Ein Garten, um sich zu vollenden, braucht die zwanzigfache Zeit. Schon diese Rücksicht muß ihn kostbar erscheinen lassen. Und doch wird nichts so leicht der Spekulation oder irgendeinem banalen Zweck geopfert wie das unersetzliche Gut eines Gartens. Eine alberne Ausrede auf ein eingebildetes Verkehrsbedürfnis — und schöne Bäume, die ein Menschenalter zu ihrer Entwicklung gebraucht haben, werden unbedenklich gefällt. Es ist wie ein Mord. Die Stadt braucht Vegetation. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf.“

Weiter im gleichen Text. Da heißt es: „Das demokratische Zeitalter, egoistisch und kurzsichtig, will rasch leben und rasch verzehren, als käme nach ihm die Sündflut.“

Erstaunliche Aktualität aus antiquarischem Bestand. Dieses Zitat entstammt nämlich einem bereits 1907 erschienenen Buch. Es trägt den beziehungsreichen Titel „Wenn du vom Kahlenberg ...“ und enthält Betrachtungen über das Wiener Stadtbild aus historischer Sicht mit Prognosen. Jener Mahner, der so aussagebeständig in die Zukunft blickte, hieß Joseph August Lux. Nach individuellen Studien in London und Paris in die Heimat zurückgekehrt, schloß er sich spontan der Secession an. Luxens Ehrgeiz: ein John Ruskin der Wiener Moderne zu werden.

Er redigiert die Zeitschrift „Das Interieur“, die ihrem Namen vollauf gerecht wird, in Bild und Text eine wahre Mustersammlung und beispielhafte Darstellung österreichischer Raumkunst nach 1900 ist. Er schließt Freundschaft mit Josef Hoffmann und begründet ein Perio-dicum für Architektur. Der Titel „Die Hohe Warte“ will doppelsinnig aufgefaßt sein: symbolisch als Fixierung eines Standpunkts zur Beobachtung des Baugeschehens der Zeit und konkret als Ortsbezeichnung für jenen Teil Döblings, wo damals, im Einklang mit der biedermeierlichen Szenerie, als Manifestation des neuen Stilwillens die Häuser für den Maler Carl Moll und aufgeschlossene Großbürger entstehen.

Joseph August Lux möchte aufklären, erzieherisch wirken, gültige Maßstäbe setzen, das Bewußtsein einer kulturellen Mission, die er zu erfüllen hat, steigert sich in seinen Schriften nicht selten zum beschwörenden Ton weltlicher Predigten. Er will den Leuten, möglichst vielen Leuten, ins Gewissen reden. Wenn er etwa sagt: „Der Mangel an Schönheit beeinträchtigt unsere Daseinsfreude und unsere' Arbeitsfreude. Wir leiden unter der beständigen peinigenden Einwirkung der Häßlichkeit, ob in den Werken der Technik oder der Architektur“, dann steht er imaginär in einer Phalanx mit Konrad Lorenz, Roland Rainer und anderen unserer „unbequemen Zeitgenossen“.

Sein Leben lang schreibt er so emsig, wie etwa Rudolf von Alt oder Adolph von Menzel malten, realisiert einen Buchplan nach dem anderen, wirft sich voll Eifer auf die heterogensten Themen, verfaßt im Alleingang ein ganzes Sortiment an Programmatischem und Epischem, dazu auch Lyrik und Bühnenwerke. Das meiste davon bleibt nun freilich bloße bibliographische Registrierung von Titeln, ohne spürbare Nachwirkung, literarhistorische Einordnung von einem kaum mehr zu überbrückenden Abstand aus. Neuerliche

Aufmerksamkeit hingegen gebührt jenen Werken, die Lux etwa bis zum Ersten Weltkrieg publizierte. Es sind viele Fragen, die ihn bewegten.

„Die Materialisierung unserer Kultur drückt sich in dem gänzlichen Verzicht auf die innere Bildung aus. Obwohl wir äußerlich und materiell einen so ungeheuren Vorsprung gewonnen haben. Deutschland, in seiner äußeren Macht so stark im Steigen begriffen, wird diese Materdali-sierung fortsetzen, solange dieses Steigen währt. Es wird in dieser Zeit keine glücklichen Menschen schaffen. Es wird noch ein paar Jahrzehnte dauern, bis ein äußerer Stillstand eintritt. Dann wird man sich vielleicht an das erinnern, was wir heute sagen. Wahrscheinlich dürfen wir nicht hoffen, vor 1950 oder 1960. Dann wird jener Stillstand eintreten, der ja biologisch in jedem Wachstum erfolgen muß.“

Diese weitgesteckten Zukunftsperspektiven aus dem Jahr 1910 zeigen, unter Berücksichtigung aller „Fehlerquellen“ und „Abweichungen“, die Lux nicht voraussehen konnte, ein Entwicklungsbild, das, soweit es die mittlerweile sprichwörtlich gewordenen „Grenzen des Wachstums“ betrifft, eigentlich nur der zeitlichen Korrektur von rund eineinhalb Dezennien bedarf. Immer wieder stößt man bei der Lektüre seiner vergessenen programmatischen Schriften auf Gedankengänge, die direkte Bezüge zu unserer Gegenwart aufweisen. Schlagen wir eine nachträglich besonders aktuelle Textstelle auf:

„Die noch erhaltenen Ortschaften am Fuß des Kahlenbergs — Dornbach, Neuwaldegg, Gersthof, Pötz-leinsdorf, Neustift am Walde, Sieve-ring, Grinzing, Heiligenstadt — haben zum großen Teil ihren Kulturcharakter bewahrt, obgleich die Schabionisierung von der Stadt aus auch hier riesige Fortschritte gemacht hat. Dort gilt es, Bestehendes zu erhalten. Man müßte sich vor dem Grundfehler des voreiligen Zerstörens und Schabionisierens hüten, was leider nicht zu erwarten ist.“

Heimatliebe, nicht als Einengung der Horizonte auf das Lokale, ohne jeglichen provinziellen Zug, vielmehr als eine selbstverständliche Bindung, wie sie gerade der Weitgereiste, Weltläufige um so stärker empfindet, ist für Lux einer der Angelpunkte seiner persönlichen Anschauungen. Es ist die Epoche des Aufschwungs der Volkskunde, die Zeit, da die „Kunst der Anonymen“ entdeckt wird, eine Hinwendung, die besonders von der großstädtischen Moderne und deren künstlerischen Protagonisten ausgeht. Konservative Haltung ist für Lux das natürliche Resultat seiner Beobachtungen und Überlegungen. Sein besonderes Interesse gilt damals auch der Photographie und in diesem Zusammenhang äußert er Erwägungen, die gerade heute wieder in Erinnerung gebracht werden sollen:

„Die Amateurphotographie kann erheblich an der künstlerischen Bildung mitwirken, nämlich als Mittel, zahllose künstlerische Schönheiten der Heimat zu buchen, um sie solcherart der Vergessenheit, dem Unverständnis und dem Vandalismus zu entreißen. Jeder Ort, wo einzelne Amateure leben, könnte so ein Bildermuseum der wurzelhaften Kunst des Volkes besitzen. Denn jedes Land, jede Stadt, jedes Dorf ist reich an volkstümlichen Kunstformen. Im Dorf ist das größte und interessanteste Kunstwerk das Bauernhaus selbst, sowohl in bezug auf seine Lage, Bauart und Durchbildung im Inneren wie im Äußeren. Jedes Detail mag irgendwie belangreich sein.“

Lux meint damit eine systematische Erfassung und bildliche Bestandsaufnahme von Realien — was man heute Photodokumentation nennt, im Burgenland und auch andernorts bereits praktiziert und in den Dienst der Denkmalpflege wie der Raumplanung stellt.

Getreu seinen Prinzipien und auf den Erfahrungen der „Wiener Werkstätte“ weiterbauend, der er seit ihrem Entstehen eng verbunden ist, wirkt er entscheidend bei der Gründung des „Deutschen Werkbunds“ mit und schafft schließlich in Heller-au bei Dresden eine Lehrlings-Kunstschule. Lux, der Unermüdliche, der es übrigens gern hört, wenn man seinem Namen die lateinische Bedeutung des Lichtes, des Erhellens der Dinge unterlegt, hat auf diesem Gebiet für eine breitere Basis der Stilbildung zweifellos wichtige Arbeit geleistet. Diese praktische Auswirkung seiner. publizistischen Tätigkeit ist sein historisches Verdienst um die kulturelle Entwicklung in Deutschland und Österreich.

1910 finden wir den Autor in München und auf Reisen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg schreibt er zwei Architekten-Monographien aus der unmittelbaren Sicht des Wegbegleiters. Der erste dieser beiden Bände ist dem bereits 1908 verstorbenen Joseph Maria Oblrich gewidmet, erfaßt also ein abgeschlossenes CEuvre und ein bis zum Ende überschaubares Leben. Das zweite Buch gilt einem damals noch Lebenden, wenngleich auch da ein gerundetes Ge-samtwerk behandelt wird: dem Schaffen Otto Wagners. Es ist die erste Darstellung des Patriarchen der neuen Wiener Architektur. Streng wie Karl Kraus, geht Lux in der Einleitung mit der Mentalität seiner Landsleute ins Gericht und auch diese Sentenzen unseres Zeitgenossen von vorgestern klingen nach mehr als einem halben Jahrhundert keineswegs überholt:

„Wien besitzt so ein eigenartiges

Talent: es geht geflissentlich den großen Menschen der Heimat aus dem Weg und zieht aus, um den Kleinen Mann zu entdecken. Diese Entdeckung des Kleinen Mannes ist die heimliche Tragik Wiens. Es kam die Herrschaft der Mittelmäßigkeit, die unser prächtiges Wien auf ein provinzielles Niveau herabzudrücken droht. Wien ist unter der schlimmen Despotie des Kleinen Mannes nur an Umfang und Masse gewachsen, nicht an Größe und Schönheit. Die wüste Spekulationsbauerei, der amorphe Häuserplunder ausgedehnter, gottverlassener Bezirke, die ganz ungroßstädtischen, pfründnerhaften Lösungen neuzeitlicher Bauaufgaben — was hat das alles mit der alten Kultur zu tun?“

Lux befaßt sich auch mit der nun vor einigen Jahren von Otto Antonia Graf neuerlich durchforschten Gemeinschaft der Schüler Otto Wagners. Diese beiden Monographien markieren den Abschluß von Luxens eigentlicher Tätigkeit als Kulturkritiker und Beobachter seiner Zeit. Er macht sich in Anif bei Salzburg ansässig, im südlichen, schönsten Teil der Stadtlandschaft, der Ebene zwischen Hellbrunn und dem Untersberg. Dort wirkt er weiterhin fast nur mehr literarisch, freilich nicht, ohne den Gefahren einer thematisch sehr sprunghaften Vielschreiberei und der gelegentlichen Erstarrung in einer „Meister“-Pose zu entgehen.

Demonstrativ publiziert er ein „Goldenes Buch der Vaterländischen Geschichte“, das bald, 1938, ebenso demonstrativ auf dem Salzburger Domplatz verbrannt wird. Lux verschwindet wegen „monarchistischer Umtriebe“ für einige Zeit im KZ Dachau und wird nach seiner Entlassung als Autor zur Unperson erklärt. Dafür hortet er in seinen Schränken neue Manuskripte, von denen allerdings auch nach 1945 das meiste unveröffentlicht bleibt. Aus dem so Heutigen von einst ist ein Gestriger geworden. 1947 stirbt er sechsundsiebzigj ährig. Doch jener Joseph August Lux, der gegen Hybris, Verständnislosigkeit und leichtsinnige Preisgabe kultureller Substanz kämpfte — er sollte unter uns noch immer Rat und Stimme haben.

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