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Ein Zeuge des Glaubens

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FURCHE: Professor Calciu, Sie waren 21 Jahre im Gefängnis. Aus welchen Gründen wurden Sie eingesperrt?

GHEORGHE CALCIU: Das erste Mal war ich 16 Jahre im Gefängnis. Damals war ich Medizinstudent und habe zusammen mit meinen gleichgesinnten Kameraden der russischen Invasion und der kommunistischen Doktrin Widerstand geleistet. Wir hofften, durch unseren Kampf Rumänien die Freiheit zu gewähren. Wir wurden alle eingesperrt, nach unseren Berechnungen hat man damals etwa eine Million Menschen verhaftet. Eine weitere Million wurde aus ihren Häusern vertrieben und in Zwangsarbeitslager umgesiedelt. Diese Aktion richtete sich vor allem gegen die griechisch-katholische Kirche, die 1948 verboten wurde. Das war der Beginn der Verfolgung.

Nach meiner Freilassung begann ich Französisch und gleichzeitig Theologie zu studieren. 1972 wurde ich zum Professor für Neues Testament am Theologischen Seminar von Bukarest ernannt und zum Priester geweiht. 1977 begann ich, gegen Materialismus und Atheismus zu predigen und das Christentum, vor allem bei der jungen Generation, zu verbreiten. Ich nannte die Philosophie des Materialismus eine Philosophie der Hoffnungslosigkeit, denn wenn man die Materie verfolgt, kommt man schließlich zum Nichts, und gegenüber dem Nichts empfindet man Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.

Und ich predigte: Die einzige Möglichkeit zum Widerstehen und zur Hoffnung ist das Christentum. Ein Jahr später, während der Fastenzeit, verfaßte ich eine Reihe von Predigten, die den gemeinsamen Titel „Sieben Worte an die Jugend" trugen. In diesen wandte ich mich an die junge

Generation, der das kommunistische Regime keine religiöse Erziehung zukommen ließ.

Ich sagte so: „Ihr seid jung, ihr habt das Recht auf Wissen, auf Erkenntnis. Es gibt eine spirituelle Welt, zu der euch der Zutritt durch den Atheismus und die Gewalt des kommunistischen Regimes verwehrt wurde. Ihr seid nicht gläubig, und ihr werdet vielleicht nicht gläubig werden, aber ihr habt ein Recht darauf, diese spirituelle Welt kennenzulernen. Und ich lade euch ein, mit mir in diese Welt einzudringen. Wenn euch das dann überzeugt, dann werdet ihr in dieser spirituellen Welt bleiben, wenn nicht, dann könnt ihr sie jederzeit verlassen."

Es ist mir gelungen, alle sieben Predigten zu halten, obwohl ich ständig von der Polizei verfolgt wurde. Manchmal verbot man mir sogar, die Kirche zu betreten, also habe ich draußen gepredigt. Als die Polizei die Jugend daran hindern wollte, an meinen Predigten teilzunehmen, haben die Jugendlichen die Mauern des Theologischen Seminars überklettert, wo ich meine Ansprachen in der Kapelle abhielt.

Nachdem ich die sieben Reden abgeschlossen hatte, wurde ich aus der Schule und aus der Kirche verjagt, und zwar durch meinen

Patriarchen, auf Anweisung des kommunistischen Regimes und der Geheimpolizei. Am 10. März 1979 wurde ich festgenommen und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt.

FURCHE: Wie war Ihre Lage im Gefängnis?

CALCIU: Auf Anordnung des Gefängnisdirektors Panait wurde ich mehrmals gefoltert; man hat mir vorgeworfen, daß ich für eine

Gruppe von Gläubigen die Messe innerhalb der Haftanstalt zelebriert habe. Während meiner Gefängnisaufenthalte habe ich mehrere Hungerstreiks durchgeführt, als Zeichen des Protestes. 1981 machte ich z. B. einen Hungerstreik in der Dauer von 26 Tagen, um für meine Familie, die unter starker Verfolgung zu leiden hatte, die Ausreise zu erzwingen.

FURCHE: Wurden Sie in schwierigen Situationen von der Kirche unterstützt?

CALCIU: Nein, im Gegenteil -als ich aufgrund zahlreicher Interventionen ausländischer religiöser Organisationen freigelassen wurde, hat mich mein regimetreuer Patriarch sofort laisiert. Für mich blieb nur die Emigration als Alternative.

FURCHE: Wie werden die Gläubigen anderer Konfessionen in Rumänien verfolgt?

CALCIU: Die Verfolgung der Gläubigen gilt für alle Kirchen im Lande. Sehr stark ist davon die griechisch-katholische Kirche betroffen. Ihre fünf Bischöfe betreiben die Seelsorge im geheimen. Im Gefängnis sitzen auch viele Baptisten, wie z. B. der Priester Svatku. Ein Mönch, Pater Algapi Nadjun, wurde im Laufe der letzten Jahre mehrfach in psychiatrische Kliniken eingeliefert. Der Priester Igon Vinkitsch wurde laisiert und mußte genauso wie Stefan Gavrila einen anderen Beruf ergreifen. Gavrila, Vater von acht Kindern, wird ständig von der Polizei überwacht und gezwungen, in großer Armut zu leben.

Die orthodoxe Kirche in Rumänien untersteht gänzlich dem kommunistischen Regime. Die Kommunisten hassen aber den Katholizismus, weil sie seine Kraft, vor allem in Polen, gespürt haben.

Das Gespräch führte Georg Motylewitz.

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