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Ein Zwischenhoch

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Kaum je in der kurzen Geschichte des Staatsvertragsheeres hat ein Vorhaben so unterschiedliche Beurteilung erfahren wie die Herbstmanöver 1974. Die Zensuren reichen von „sehr gut“ bis „ungenügend“. Wobei die Soldaten, das eigentliche Testobjekt, bessere Noten erhielten als die Prüfer, die verantwortlichen Generale.

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Kaum je in der kurzen Geschichte des Staatsvertragsheeres hat ein Vorhaben so unterschiedliche Beurteilung erfahren wie die Herbstmanöver 1974. Die Zensuren reichen von „sehr gut“ bis „ungenügend“. Wobei die Soldaten, das eigentliche Testobjekt, bessere Noten erhielten als die Prüfer, die verantwortlichen Generale.

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So hat eine Zeitung, die sich in ihren Aussagen meist auf die Meinung der obersten Ränge des Ministeriums bezieht, das Kriegsspiel schlicht als „überflüssiges Scheingefecht“ abgetan, während ein Wiener Massenblatt, das sich nach den Aus- bildunigstoten des Sommers in Negativurteilen überbot, das Heer nun besser als seinen Ruf sieht. Unschlüssig über den Wert dieser Übungen waren sich nicht nur die Journalisten — sondern offenbar mehr noch die Militärs selbst.

Dabei scheint allerdings die Rechnung eines Mannes voll aufgegangen zu sein: die des Armeekommandanten. Das Bundesheer ist wieder ins öffentliche Bewußtsein gerückt. Daß dies eines seiner Hauptziele gewesen ist, hat General Spannocchi nie geleugnet. Je mehr allerdings dieses Heer mit Spannocchi personifiziert wind, desto größer werden die inneren Reibungen im Heer.

Vorsichtig, um nicht zu sagen unschlüssig, war auch das Urteil der Politiker. Während die Regierungspartei der erwarteten Kritik durch ein offenes Eingeständnis die Spitze zu nehmen suchte (SP-Abgeordne- ter Blecha: „Für den Verteidigungsfall noch nicht voll gerüstet“), ist sich die große Oppositionspartei in ihrem Urteil über die Manöver und ihre künftige Linie in der Wehrpolitik noch unklar. Das mehrfach angekündigte Wehrkonzept, äußeres Zeichen einer staatspolitischen Alternative, ruht noch in den Aktenschränken.

So blieb auch ein ehrliches Urteil über den gestellten Übungskrieg dem Mann Vorbehalten, der ihn inszeniert hat. Über den Wert der Übungen gestand General Span-

nochi sich selbst Mängel in der Ausbildung der Soldaten ein. Er konnte dies um so leichter, als die Ausbildungsnormen im Ministerium aufgestellt werden und bis vor knapp drei Jahren noch jener Mann für die Ausbildung verantwortlich war, der nun dem gesamten Bundesheer vorsteht: Brigadier-Minister Lütgendorf. Wie sein Generalsvorbild de Gaulle beim Kriegsspiel in Uniform erschien, so. zog auch Lütgendorf über die von ihm vertretene Heeres- reform nur sehr hauitfeme Bilanz. Er läßt vorerst die Zeit über sein Urteil entscheiden. Und in einem Jahr ist er sowieso nicht mehr Minister.

Zeit hat dieses Heer freilich nicht mehr viel, will es nicht den Vertrauensbeweis, den ihm die Bevölkerung angesichts von Manöverde- monstrationen immer wieder, allerdings in zunehmend kleineren Dosen verabreicht, gänzlich verspielen.

Ein endgültiges Urteil über den gravierenden Einschnitt in die Struktur des Heeres, den. die Wehngesetzänderung des Jahres 71 gebracht hat, konnte dieses Manöver sicher noch nicht erlauben. Zwei Dinge zeichnen sich bereits ab, die künftig beachtet werden müssen: während bisher das Heer in der Auswahl seiner Reservisten auf jene zurückgreifen kannte, die während ihrer neun Monate eine positive Dienstleistung erbracht hatten — und damit eine gewisse Wehrungerechtigkeit provozierte — wird es künftig auf alle Sechs- Monate-Diener zurückgreifen müssen. Nicht zu übersehende Rückwirkungen auf die Planungen der Militärs wird auch jene Bestimmung des neuen Wehrgesetzes haben müssen, die Wiederholungsübungen nur alle zwei Jahre zuläßt. Besonders die „Raumgebundene Landwehr“ sollte bei Manövem im geplanten Übungsgebiet üben können. Das war diesmal vielleicht ein bloßer Schönheitsfehler. In Zukunft könnte er, so er nicht zu beheben ist, das System der Landwehr und damit das neue Wehr-r gesetz ad absurdum führen. Noch mehr Einfluß auf die Bilanz der Heeresreform könnte die Zahl derer nehmen, die freiwillig mehr Wiederholungsübungen leisten und sich zum Unterführer-Kader ausbilden lassen. Bleiben diese Idealisten aus, bleibt der Regierung auch der Erfolg der Heeresreform versagt.

Selbst der Umstand, daß bei den Manövern vielfach noch Reserve- Kader eingesetzt waren, die nach den alten Wehrbestimmungen rekrutiert wurden, konnte den Augenzeugen die Schwachstelle der Armee nicht verbergen. Sie liegt auf der untersten Ebene, jejier der Trupp- und Gruppenkommandanten. Zu erken- , nen war sie in erster Linie bei jenen Einheiten, die stärker mit Reservisten aufgefüllt waren Hier stellte sich auch das richtige gefechtsmäßige Verhalten (in einer Umgebung, in der man nicht a priori auf einen Einsatztest vorbereitet ist) erst nach einigen Tagen ein. Ein Grund mehr für die Richtigkeit der Überlegung, daß diese Eignungsprobe nicht hinter den Kulissen von gamisonsnahen Übungsspitzen stattfand.

Neben der Ausbildung stand auch die Ausrüstung des Heeres auf dem Prüfstand. Dieser Test fiel, generell gesprochen, überzeugender als jener der Ausbildung aus. Besonders das in den letzten Jahren angeschaffte österreichische Gerät bewährte sich in den Strapazen der Fünftageübun- gen ausgezeichnet. Vergessen waren Bilder vergangener Manöver, wo veraltete Fahrzeuge aus dem Geschenkkorb der Besatzer in den Straßengräben standen. So kam das Paradestück der Armee, die Mauter- ner Panzergrenadierbrigade, ohne einen einzigen Fahrzeugausfall bis Mariazell.

Trotzdem .sind auch hier einige chronische Schwächen des Heeres geblieben, die seine Einsatzbereitschaft arg in Frage stellen .An erster Stelle die Schwäche bei der Fliegerabwehr, vor allem bei den gepanzerten Einheiten, und die seit der Aufstellung des Bundesheeres latente Schwäche der Artillerie.

Das „Hoch“, in dem sich dieses Heer nach den Abschlußparaden in verschiedenen Orten Österreichs befand, ist trotz der Positivkritik in der Öffentlichkeit nur ein „Zwischenhoch“.

Es richtig zu nützen, müßte dennoch den Einsatz aller Verantwortlichen lohnen.

Einsatzbereitschaft ist auf allen Ebenep vorhanden. Auch und gerade auf der unteren Ebene, wenn sie richtig angesprochen wird. Man sollte die Gelegenheiten, die sich jetzt bieten, nicht vorbeigehen lassen. Denn der Augenblick ist für die Gewinnung neuer Kräfte überaus günstig. Ein kühlerer Wind auf dem Arbeitsmarkt hat dazu geführt, daß viele Menschen, und nun auch junge Menschen, die Sicherheit eines Arbeitsplatzes in den verschiedenen öffentlichen Diensten wieder zu schätzen gelernt haben. Wobei vor allem Arbeitsplätze besonders attraktiv erscheinen, die nicht nur eine sichere Existenz, sondern auch ein Betätigungsfeld für einen gewissen Idealismus bieten. Einsatzbereitschaft wird langsam wieder modern. Das Bundesheer muß davon Gebrauch machen.

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