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Eine Ära geht zu Ende

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Kurt Steyrer meint, es sei alles offen. Das ist Zweckoptimismus. Er wird am kommenden Sonntag nicht Bundespräsident, wenn er nur sozialistische Protestwähler des ersten Wahlganges bei der Stange hält.

Kurt Steyrer gewinnt an diesem 8. Juni nur, wenn Waldheim-Wähler vom 4. Mai in der Uberzeugung, daß der Vorsprung ihres Mannes der ersten Wahl ohnehin beruhigend groß sei, aus Trägheit nicht zur Wahl gehen. Und das ist unwahrscheinlich.

Kurt Waldheim hat seinen Konkurrenten um das höchste Amt im Staat im ersten Wahlgang um rund sechs Prozent hinter sich gelassen. Der Vorsprung kann schmelzen, aber die Chancen Steyrers, den Spieß umzudrehen, sind nur theoretische.

Somit wird die politische Landschaft Österreichs an diesem 8. Juni eine tiefgreifende Veränderung erfahren. Die Sozialistische Partei, die längst die Wiener Hofburg als eine Art Erbhof für von ihr nominierte Kandidaten betrachtet hat, muß sich nicht nur mit diesem Verlust, sondern auch mit der ersten empfindlichen Wahlniederlage seit 1966 abfinden. Muß erst recht einen Bundespräsidenten akzeptieren, gegen den sie einen Vernichtungswahlkampf geführt, den sie nach allen Regeln politischer Demagogie heruntergemacht hat.

Ich möchte nicht in der Haut von Bundeskanzler Fred Sino-watz stecken. Kann er nach allem, was passiert ist, noch guten Gewissens Kurt Waldheim in die Augen schauen? Der Wahlkampf läßt sich nicht ungeschehen machen, nicht mit einem widerwilligen Händedruck.

Verändern wird sich die politische Landschaft aber auch — und das in jedem Fall - durch ein neues Amtsverständnis, das in die Wiener Hofburg einzieht. Stand am Beginn des Wahlkampfes bei beiden Kandidaten der Stichwahl die Amtsauffassung des amtierenden Bundespräsidenten als Vorbild im Vordergrund, änderte sich das Bild grundlegend. Der aktive Bundespräsident, von Waldheim als Zielvorstellung zuerst besetzt, wurde schließlich auch Steyrers Zielsetzung.

Der Nachfolger von Rudolf Kirchschläger wird - vorausgesetzt, daß dieses Amtsverständnis nicht nur in Sprechblasen Ausdruck gefunden hat - die bisher geübte Distanz des Bundespräsidenten zur Tagespolitik aufgeben.

Damit werden wir von der ungeschriebenen Spielregel unseres politischen Lebens, daß der Bundespräsident zu den Tabuthemen der Auseinandersetzung gehört, Abschied nehmen müssen. Das darf den neuen Mann dann aber auch nicht stören.

Ein aktiver Bundespräsident — Erwartungen sind geweckt, Mut ist gefordert. Für ihn und unser demokratisches System bedeutet das eine Bewährungsprobe. Und eine Ära geht zu Ende.

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